Wer Umwälzungen auf Arbeitsmärkten beschreiben will, braucht ein Buzzword. Eines, das verschiedene, sich möglicherweise sogar widersprechende Trends knackig zusammenfasst. Genauso ist es bei der Great Resignation. Also bei der grossen Kündigungswelle, die in den USA und Grossbritannien gerade erfolgt und daher früher oder später auch bei uns eintreffen muss. 

Tatsächlich haben in den USA zwischen Juli und Oktober knapp 17 Millionen Menschen ihre Stelle verlassen. Allein im November haben 4,5 Millionen Personen ihren Job gekündigt. Das sind so viele wie noch nie in einem Monat. Die Kündigungsquote, also die Zahl der Kündigungen in Prozent der Beschäftigung, ist auf rekordhohe 3 Prozent gestiegen. Auch im Vereinigten Königreich ist die Zahl der Stellenwechsel, die nicht auf Entlassungen zurückzuführen sind, so gross wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. 

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Und was passiert bei uns? Im Euro-Raum geben die Zahlen keinen Hinweis auf die Great Resignation. In der Schweiz hat die Beschäftigung wieder das Vorkrisenniveau überschritten. Im dritten Quartal wurden bei steigender Erwerbsbeteiligung gegenüber Vorjahr 75’000 Stellen geschaffen. Die Welle entwickelt sich hier nicht einmal im Ansatz. 

Gelten für uns andere Regeln?

Als dünner Beleg für einen Stimmungswandel muss die Umfrage eines Personaldienstleisters herhalten, die ergibt, dass sich 50 Prozent der Schweizer Arbeitnehmenden (bei 800 Befragten) eine neue Stelle wünschen. Werden sie kündigen? Intern wechseln? Nichts tun? Niemand weiss es. 

Ist denkbar, dass wir der Great-Resignation-Welle aber doch nicht entkommen – weil auch für die Schweiz Trends gelten, die von Corona ausgelöst wurden?

Etwa, dass die Pandemie das Verhältnis vieler Menschen zu ihrem Job verändert hat. Dass sie sich komplett neu orientiert haben, ihren Lebenssinn ausserhalb des Homeoffice sehen. Oder dass Menschen erst jetzt die Kündigung nachholen, die sie seit März 2020 aufgeschoben haben. Ist das Abflachen des Omikron-Schreckens vielleicht der Anfang der Welle?

Wer die Firmen verlässt

Wenig spricht dafür. So lag der Fokus der Kriseninstrumente in Europa darauf, bestehende Arbeitsverhältnisse zu erhalten, zum Beispiel mit Kurzarbeit. Und nicht wie in den USA darauf, Menschen mit Schecks zu unterstützen. Auch eher weit hergeholte Erklärungen, etwa dass durch Homeschooling massenhaft Menschen aus dem Job gedrängt werden, passen bei den kurzen Schulschliessungen in der Schweiz nicht. 

Die Great Resignation ist daher für die Schweiz nicht zu erwarten. Ganz anders als die Great Isolation, bei der sich Hunderttausende in Quarantäne begeben müssen und damit die Wirtschaft lähmen. 

Viel hilfreicher wäre es für Firmen und Personaler jetzt, wenn sie nicht die «Great Resignation», sondern die «Little Kündigungen» in ihrem Betrieb mal genauer unter die Lupe nehmen würden. 

Wer hat eigentlich das Unternehmen in den letzten Monaten verlassen? Sind es Menschen am Anfang, Ende oder Höhepunkt ihrer Karriere? Auf welchem Managementlevel, wie sieht es mit der Gender-Quote aus? Und was weiss man über die Gründe? In vielen Firmen müssen allein für diese Zahlen erst mal Daten gesammelt werden. Und muss der Offboarding-Prozess neu aufgestellt werden. Und wie wäre es mit einem «Great Retention»-Programm für die Mitarbeitenden, die man unbedingt halten will?

Dann braucht man auch keine Angst vor irgendwelchen Wellen zu haben. 

Stefan Mair
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