Geopolitische Verwerfungen, die mit der Digitalisierung verbundenen Chancen und Risiken, der Klimawandel, die steigende Regulierungsdichte und eine fundamental veränderte Arbeitswelt stellen Unternehmen vor Herausforderungen mit ganz neuen Dimensionen. Dies führt zu einschneidenden Veränderungen – laut PwC passen zwei Drittel der Unternehmen derzeit ihr Geschäftsmodell an. Die Anpassung von Unternehmensstrategien hat jedoch einen signifikanten Einfluss auf die Art der eingekauften Versicherungen und Risikofinanzierungen und verändert die Erwartungen an Versicherungsbroker.
Christian Leder ist Chief Commercial Officer bei Aon.
Pandemie hat Sinneswandel beschleunigt
Die Risiken sind insgesamt komplexer und anspruchsvoller geworden, wie unter anderem die Lieferkettenproblematik zeigt. Dies gilt insbesondere für multinationale Unternehmen. Der Begriff «Risiko» wird von vielen Unternehmen daher wesentlich differenzierter wahrgenommen und oftmals auch quantitativ bewertet. Es überrascht nicht, dass Firmen derzeit mehrheitlich bewusst einen risikobasierten Ansatz beim Einkauf einer Versicherungslösung wählen. Die Pandemie hat diesen Sinneswandel der Unternehmen beschleunigt. In einem Umfeld steigender Versicherungsprämien und Selbstbehalte sowie der Einschränkung von Deckungen und Kapazitäten steht bei der Auswahl einer Versicherungslösung die bestmögliche Balance zwischen Risikoappetit und Tragfähigkeit sowie deren Struktur im Zentrum. Das vorrangige Ziel ist es heute, die Volatilität zu reduzieren und die Risiken kontinuierlich im Griff zu behalten – oft mit erweitertem «Risiko-Horizont-Scanning». Dazu sind Ansätze im Risikomanagement gefragt, die auf neuesten Erkenntnissen basieren, um auch sogenannte «emerging risks» − also neuartige Risiken mit noch nicht vollständig abschätzbaren Auswirkungen − in die Lösungen einzubauen. Auch Themen wie holistisches Enterprise-Risikomanagement, Krisen- und Business-Continuity-Management haben in der Prioritätenliste des Managements an Prominenz gewonnen.
Vom Vermittler zum Sparringspartner
Vor dem Hintergrund veränderter Gegebenheiten müssen Broker ihre Dienstleistungen in Richtung einer allumfassenden Beratung anpassen und vermehrt in Human Capital investieren. Für eine hochqualifizierte Beratung benötigen Broker-Experten nicht nur Fachwissen im Risiko- und Finanzmanagement, sondern müssen auch Szenarien modellieren können. Vor allem aber sollten sie erworbenes Spezialwissen aus verschiedenen Industrie-Branchen mit einem umfassenden Verständnis für die jeweilige Wertschöpfungskette des Unternehmens mitbringen, um ihre Kunden auf Augenhöhe beraten zu können. Auch ist eine solide Vernetzung des Brokers sowohl in der Branche des Unternehmens als auch im globalen Versicherungsmarkt heute noch wichtiger. Hinzu kommt, dass Firmen heute zur Planung und Entscheidungsfindung vermehrt breit abgestütztes Datenmaterial aufgrund der erhöhten Komplexität der Risiken benötigen. Versicherungsbroker sollten hier noch stärker als früher auf ihre Datenbanken zurückgreifen und relevante Daten entsprechend aufbereiten. So können Unternehmen durch die Kombination von qualitativen und quantitativen Elementen fundierte Entscheidungen im Risikomanagement und in der Risikofinanzierung treffen.
Mehr Fokus auf People-Business
Überdies verändert der zunehmende Fokus der Unternehmen auf die Mitarbeitenden (People) und damit verbundene Themen wie Wohlergehen und Resilienz der Beschäftigten sowie die steigende Bedeutung des Talentmanagements die Tätigkeit von Brokern hin zu einer umfassenderen Beratertätigkeit. Der Broker wird so auch im Bereich Risk and People zum echten Partner der Unternehmen bei der Umsetzung von Unternehmensstrategien. Der Bedarf an neuen und vielseitigeren Kompetenzen zeigt sich zudem im aktuellen «War for Talents», der auch in der Broker- und Versicherungsindustrie stattfindet.
Die Disziplin des Platzierens von Versicherungspolicen bleibt im Kern natürlich erhalten. Allerdings suchen viele Kunden heutzutage Lösungen, die umfassendere Fähigkeiten und Spezialwissen des Brokers voraussetzen.