Angst vor der Inflation – nicht in der Schweiz

Die steigenden Preise sind ein Thema, das den Menschen in Nordamerika, auf den britischen Inseln und auch in der Euro-Zone zunehmend zu denken gibt: Dort erreicht die Teuerung mittlerweile Werte über 6 beziehungsweise über 5 Prozent. Die Bevölkerung spürt an der Tankstelle und an der Ladenkasse, dass eine neue Zeit angebrochen sein könnte. Mehr und mehr Menschen befürchten, dass die Teuerung nicht nur «transitorisch» ist, wie die meisten Experten kürzlich noch sagten, also nicht nur ein vorübergehendes Phänomen. Sondern, dass nun eine Schraube droht. Dass ein Teuerungsschub den nächsten auslöst und am Ende eine Lohn-Preis-Spirale die Notenbanken zwingt, stärker einzugreifen. Was wiederum die Erholung abwürgen würde. Nichts da von «Roaring Twenties». Aber in der Schweiz? Hier zeichnet die Nationalbank ein deutlich anderes Bild. Ihre kurzfristige Inflationsprognose, heute veröffentlicht, liegt zwar um 0,4 Prozentpunkte höher als noch im September – wegen gestiegener Importpreise, vor allem für Ölprodukte sowie für Güter, die von Lieferengpässen betroffen sind. Doch schon in einer etwas längeren Frist ist die SNB-Inflationsprognose praktisch unverändert. Für 2021 erwartet die Notenbank insgesamt eine Teuerung von 0,6 Prozent, für 2022 einen Wert von 1,0 Prozent – und für 2023 dann bereits wieder tiefere 0,6 Prozent. Inflationserwartung tief selbst für das SNB-ZielDie Prognosen liegen also weit entfernt von den Zahlen aus den USA, England oder der Euro-Zone. Und sie sind auch tief, wenn man das SNB-eigene Ziel von null bis 2 Prozent zum Massstab nimmt. Eine bessere Punktladung könnte die SNB gar nicht erzielen. Und so rechnet in der Schweiz derzeit auch niemand mit steigenden Zinsen, im Gegenteil: Die Rendite der zehnjährigen Bundesobligationen sinkt seit etwa eineinhalb Monaten wieder (siehe Grafik). Lag sie Anfang November mal knapp unter der Null-Grenze, so rentieren die «Eidgenossen» inzwischen wieder mit etwa minus 0,3 Prozent. Die Anleger sind bereit, höhere Preise zu bezahlen. Rechneten sie mit einem Teuerungsschub, wäre das nicht so. An der kurzen Frist hat der Saron zwar etwas zugelegt (also der Zins, den Banken kurzfristig für Einlagen bekommen). Allerdings sind die Unterschiede da eher homöopathisch: Von minus 0,73 Prozent legte der Saron auf zuletzt minus 0,7 Prozent zu. Zugleich fällt eines auf an der neusten Lagebeurteilung der Nationalbank: Sie strahlt einen fast schon erstaunlichen Optimismus aus. Als ob es Omikron nicht gäbe, sagt die SNB fürs laufende Jahr ein BIP-Wachstum von 3,5 Prozent voraus. Der Wert liegt also höher als noch vor drei Monaten – und es ist eine Zahl, die fast schon an die legendären Zeiten der Hochkonjunktur erinnert. Weiter sieht das Basisszenario der SNB-Ökonomen vor, dass sich die Erholung im nächsten Jahr fortsetzt: plus 3 Prozent im Jahr 2022, so der Wert. Dies allerdings unter der Einschränkung, dass Bund und Kantone keine weiteren Corona-Massnahmen ergreifen, «welche die Wirtschaftsaktivität zusätzlich beeinträchtigen würden». Dann aber sollte die Arbeitslosigkeit noch einmal etwas zurückgehen – sie liegt derzeit bei 2,5 Prozent – und die Auslastung der Produktionskapazitäten sollte sich in den nächsten Monaten noch stärker normalisieren. Warum sind sich die Profis so sicher, dass die Inflation nicht in die Schweiz durchschlagen wird? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen bestehen wenig Anhaltspunkte, dass unsere Teuerung hausgemacht ist. Und damit hat die Geldpolitik der Nationalbank auch wenig direkte Auswirkungen auf die Konsumgüter-Preise. Teurer wurden bisher vor allem importierte Waren, insbesondere – wie die SNB selber anmerkt – die Energie: Gas-, Erdöl- und Strompreise haben massiv zugelegt. Die Gründe dafür sind vielschichtig, haben aber unter anderem mit einer gestiegenen Nachfrage aus Fernost und tiefen Lagerbeständen in Europa zu tun. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass diese importierte Inflation recht einfach über den Wechselkurs beeinflusst werden kann. Wertet sich der Franken weiter auf, was aufgrund der höheren Preisstabilität in der Schweiz zu erwarten ist, vermindert das automatisch die Preise der importierten Waren. Und damit die importierte Inflation. Schleifen lassenOder einfach gesagt: Lässt die Nationalbank den Franken-Euro-Kurs ein wenig schleifen, löst sich damit automatisch ein Teil des Inflationsproblems. Das ist nichts anderes als die – neu interpretierte – bisherige Argumentation der Nationalbank, wonach sie den Kurs gesteuert habe, um eine Deflation in der Schweiz zu verhindern. Leidtragende dieser Konstellation sind exportorientierte Unternehmen, die wenig Möglichkeit sehen, ihre Preise tief zu halten. Sie werden den sinkenden Euro-Kurs zu spüren bekommen. Auch Investoren, die ihr Geld im Ausland angelegt haben, sollten sich fragen, ob sie dabei genügend gegen Inflation abgesichert sind. Zwar werden sie wohl zunehmend höhere Erträge auf Zinsen sehen, doch dürften diese wieder von der Teuerung und den Wechselkursen relativiert werden. Die grösste Gefahr bildet da aber eher eine Abschwächung der (Welt-)Konjunktur, die zu realen Bewertungskorrekturen führen könnte. Gewinner sind die Konsumentinnen und Konsumenten, die weiterhin mit tiefen Preisen für ihre Einkäufe leben können. Mittelfristig gilt das Augenmerk der Nationalbank vor allem einem Faktor: Ziehen irgendwann auch die Löhne in der Schweiz an, weil sich Arbeitnehmende und Unternehmen auf steigende Preise einstellen? Dann könnte die berühmte Lohn-Preis-Spirale auch hierzulande dazu führen, dass eine bisher nur importierte Teuerung zu einer anhaltenden Inflation wird. Bisher gibt es dafür hierzulande aber wenig Anzeichen, anders etwa als in den USA.

Angst vor der Inflation – nicht in der Schweiz

Die Schweiz, das Geldparadies