Drängen auf À-fonds-perdu-Gelder wächst

Mit der zweiten Infektionswelle verdüstert sich die Lage der KMU wieder. Die Nachfrage bricht ein. Zum Beispiel bei der Eiche Metzgerei in Basel, einem Familienbetrieb mit 35 Angestellten und 115-jähriger Geschichte. Sie verlor bereits im Frühjahr einen Viertel des Umsatzes. Im Sommer konnte sie aufholen und hoffte auf das Weihnachtsgeschäft. Doch am Dienstag verbot die Basler Regierung den Weihnachtsmarkt. «Wir haben die Standgebühren bereits bezahlt. Doch jetzt stirbt die Hoffnung, dass wir wenigstens im Dezember den Vorjahresumsatz erreichen könnten», sagt Mitin haber Karl Eiche. Entlassen habe er niemanden, trotz herben Verlusten, sagt er stolz. «Doch den Corona-bedingten Wertschöpfungsverlust ersetzt mir niemand.» Er zehrt von Reserven, die für ein innovatives Projekt vorgesehen waren. Dauert die Krise bis Frühling, sei das Geld weg. Einbruch deutlich spürbar bei KMU und im Export So dürfte es Zehntausenden Firmen gehen. Der Treiber für die Umsatzeinbrüche sind regionale Behörden, die Lockdowns erzwingen, obwohl auf Bundesebene der Konsens besteht, dass ein zweiter Lockdown verhindert werden sollte. Am härtesten sind die Zwangsschliessungen in Genf: Wie im März sind seit Dienstag alle Geschäfte und Dienstleister bis auf den Lebensmittelhandel zu. Auch die Waadt, das Wallis, der Jura, Neuenburg und Freiburg schliessen fast alles. Selbst die Exportindustrie berichtet über grosse Probleme. Zwar werde die Branche nicht in einen Lockdown gezwungen, aber der Einbruch sei «sehr deutlich spürbar», heisst es beim Verband der Exportbranche, Swissmem. Die Erholung des dritten Quartals sei infrage gestellt. Derweil hält der Bundesrat an seiner Linie fest: Die Kurzarbeit, der Erwerbsersatz und die Härtefallhilfe müssten als Covid-19-Hilfen genügen. Dies bekräftigten Finanzminister Ueli Maurer am Mittwoch. Neuauflage der Covid-19-Kredite gefordert Doch dabei dürfte es kaum bleiben. Der Direktor der Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) und Chef der Covid-19-Taskforce Wirtschaft des Bundes, Jan-Egbert Sturm, forderte eine Neuauflage der Covid-19-Kredite. Diese Massnahme sei «wirksam, schnell, unbürokratisch, effizient». Sie müsse aber erweitert werden. Sie könnte für ganze Wirtschaftssektoren zum Tragen kommen. Hier verzweifelte Härtefälle – da 23 Milliarden Franken: KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm sagt, dass der Bund ein Nachfolgeprogramm zu den ausgelaufenen Covid-19-Krediten lancieren sollte. Denkbar wäre, so Sturm, dass Firmen zuerst Kredite aufnähmen, die je nach Wirtschaftsgang einer Branche später nur teilweise zurückbezahlt werden müssten. So könnte man etwa dem hart getroffenen Tourismus unter die Arme greifen, dessen Verluste sich auf geschätzte 10 Milliarden belaufen. Unterstützung erhält Sturm vom Nordwestschweizer Ökonomen Mathias Binswanger. Er sagt, dass Darlehen grundsätzlich richtig seien, weil sonst viel Geld am falschen Ort lande. Aber es müsse die Möglichkeit bestehen, Kredite in À-fonds-perdu-Beiträge umzuwandeln. Bestimmten Branchen, die hart betroffen sind, könnte man erleichterte Bedingungen für eine solche Umwandlung gewähren. «Darüber sollte Bundesbern nachdenken.» Unternehmer Eiche nennt zwei Bedingungen: «Firmen, die nachweislich von ihren Reserven leben und niemanden entlassen haben, sollen einen Teil dieser Kredite nicht zurückzahlen müssen unter der Bedingung, dass kein Angestellter innert zwölf Monaten entlassen wird.» Seine Begründung: So spare der Staat Geld und Betriebe wie seiner würden diese Kredite in die Anschaffungen stecken. «Darüber sollte Bundesbern nachdenken», fordert Eiche. Als prominenter Fürsprecher meldet sich Christoph Brutschin, der Präsident der Konferenz der kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren (VDK), zu Wort: «In dieser ausserordentlichen Situation muss auch über À-fonds-perdu-Beiträge diskutiert werden.» So kommt eine heisse Frage erneut aufs Tapet. Selbst die Gewerkschaften bewegen sich. Dies zeigt der Schwenk der Dachgewerkschaft Travailsuisse, eines der vier Topsozialpartner des Bundes. Für die Unterstützung ganzer Branchen oder Betriebe aus mehreren Branchen und Kantonen reiche der Härtefallfonds nicht, sagt Präsident Adrian Wüthrich. «Mit den regionalen Lockdowns braucht es wieder mehr Massnahmen, so wie im Frühling, um Wertschöpfungsverlust zu kompensieren und Arbeitsplätze zu sichern.» Guy Parmelin wehrt Hilfen ab, die nicht zurückgezahlt werden Mächtig Gegensteuer dürften Maurer und Parmelin geben. Parmelins Staatssekretariat für Wirtschaft ist ein notorischer Gegner nicht rückzahlbarer Stützmassnahmen. Und Maurers Ziel ist, das Staatsdefizit so tief wie möglich zu halten. Sie erhalten Unterstützung von Economiesuisse und gewissen Ökonomen, allen voran Avenir Suisse. Die Denkfabrik lehnt À-fonds-perdu-Beiträge ab. Corona sei ein Naturereignis, das man wirtschaftlich nicht aus der Welt schaffen könne. Die Firmen müssten sich anpassen. Man könne die Wirtschaft nicht einfach «einfrieren». Damit werde der Umbau verhindert und sie verknöchere. Auch der Freiburger Ökonom Reiner Eichenberger ist skeptisch. Höhere Staatsausgaben seien nie gratis. Wenn der Bund sich stärker verschulde, um solche Beiträge auszuzahlen, müsse die Folgegeneration dafür aufkommen. Er sieht nur eine positive Wirkung solcher Beiträge: Dass der Staat und die Bürger endlich die Kosten behördlich angeordneter Schliessungen erkennen würden. «Die Politik muss realisieren, dass der Lockdown extreme Kosten hat.» Angst vor KMU-Sterben Die Gegner sagen, dass Firmen ein [Bedingter Trennstrich] gehen sollten, wenn sie Corona-bedingte Einbrüche nicht verkraften. Deshalb inte [Bedingter Trennstrich] ressiert vor allem eine Zahl: jene der betrieblichen Reserven. Doch weder der Bund noch die KOF haben Zahlen. Die «Handelszeitung» hat ausgewählte KMU diverser Branchen befragt, die sie wiederholt porträtierte. Sechs haben geantwortet. Die Firmen haben Umsatzeinbussen von 5 bis 27 Prozent erlitten im Vergleich zum Vorjahr. Sie haben von ihren Reserven gezehrt und Anschaffungen zurückgestellt. Einige berichten von ungesunder, betrieblicher Querfinanzierung. Sie sind sich einig, dass die Covid-19-Kredite keine Lösung seien. Ein solcher erhöhe bloss die Schuld, ohne Vorteile zu bringen. Vier der fünf Firmen bejahen À-fonds-perdu-Beiträge, zwei Unternehmer lehnen sie ab und folgen den Argumenten der Avenir Suisse und Eichenbergers. Einige haben trotz Kurzarbeit Leute entlassen, andere sagen, dass Entlassungen auf die Dauer unumgänglich seien. «Was jetzt passiert», ärgert sich Unternehmer Eiche, «ist, dass selbst kerngesunde KMU mit der Zeit eingehen, während Grossbetriebe wie Coop und Migros profitierten.» Diese Tendenz gelte es aufzuhalten.