Es war ein besonderes Zückerchen, das die Bank Wegelin & Co. ihren Angestellten servierte.
Letztes Jahr nahm die ganze Belegschaft an einer Verlosung teil. Den Gewinnern winkte ein Aufenthalt in New York. Und zwar nicht in irgendeinem Hotel, sondern just in jener Wohnung, welche die Bank in der Nähe des Ground Zero jahrelang für Geschäftsreisen gemietet hatte. Von dort konnten die Mitarbeiter den Ausblick auf die Strassenschluchten Manhattans geniessen.
Diese Zeiten sind vorbei. Das Appartement wurde gekündigt, und kein Wegelin-Mitarbeiter setzt mehr freiwillig einen Fuss auf amerikanischen Boden. Die New Yorker Justizbehörden werfen Mitgliedern der ältesten Schweizer Privatbank vor, Steuerflüchtlingen aus den USA beim Verstecken von rund 1,2 Milliarden Dollar geholfen zu haben. Ist der Anklageschrift zu glauben, bedienten sich die beschuldigten Banker Methoden, die schlecht zum konservativen, seriösen Selbstbild der Bank passen.
Atemberaubendes Wachstum
Im Kräftemessen mit den übermächtigen USA stehen die Bankiers aus St. Gallen mit dem Rücken zur Wand. Das schmerzt umso mehr, als das Geldhaus sich auch sonst in einer heiklen Phase befindet. Die schnelle Expansion in neue Geschäftsbereiche rächt sich. In der Schweiz ringt Wegelin mit schwindenden Margen und einem Geschäftsmodell, das im garstigen Marktumfeld an seine Grenzen stösst.
Im Jahr 2005, als gemäss dem Bezirksgericht in New York die ersten Kontakte zwischen Wegelin und amerikanischen Kunden stattfanden, sah die Welt noch ganz anders aus. Die 1741 gegründete Privatbank legte unter der Ägide der beiden geschäftsführenden Teilhaber Konrad Hummler und Otto Bruderer ein atemberaubendes Wachstumstempo vor.
In zahlreichen Schweizer Städten ging sie mit Filialen vor Ort auf Kundenfang. Sie begleitete die Landnahme an Orten wie Chur, Locarno, Schaffhausen oder Winterthur jeweils mit beachtlichem Werbeaufwand. Es ist ein Ausbau in die Breite, der viel Geld verschlingt. Zugleich forcierte Wegelin ihr Angebot an Finanzprodukten, wo sie unter der Führung des Schweden Magne Orgland mit innovativen Lösungen zu glänzen vermochte.
«Aussenminister» Hummler verlieh der Bank zudem als Autor, als zeitweiliges Mitglied des Bankrats der Nationalbank und von 2008 bis 2011 als Präsident der Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers eine pointierte Stimme, die weit über St. Gallen hinaus gehört wurde. «Innenminister» Bruderer kümmerte sich um das operative Geschäft und das Risikomanagement.
Allen Neuerungen zum Trotz stand Wegelin sinnbildlich für die umsichtigen Schweizer Privatbankiers, die mit dem eigenen Vermögen für die Bank haften. Die 2008 einsetzende Finanzkrise entlarvte die aggressive Expansion jedoch zunehmend als Schönwetter-Strategie.
Das zeigt sich exemplarisch bei der Marktdurchdringung in der Schweiz. Neue Standorte sind zwar schnell eröffnet. Bis sie aber profitabel arbeiten, braucht es zwei bis fünf Jahre mit hohen Anfangsinvestitionen - in guten Märkten. Im heutigen Umfeld sinkender Margen dürften neuere Niederlassungen wie jene in Winterthur noch länger auf den Büchern der Bank liegen.
Dass Wegelin bevorzugt Akademiker rekrutiert und hohe Löhne zahlt, trägt nicht gerade zur Minderung des Geschäftsaufwandes bei. Das schlägt sich heuer im Bruttogewinn nieder. Dieser sank 2011 gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent auf über 40 Millionen Franken.
Das Wachstum über Filialen hatte noch eine weitere Konsequenz. Weil die Filialleiter in der Regel zu Teilhabern befördert wurden, erweiterte sich das Führungsgremium laufend. Mittlerweile zählt die Bank 18 operativ tätige Teilhaber. Das macht eine straffe Führung zunehmend schwierig. Ehemalige Angestellte berichten, die Filialleiter benähmen sich «wie kleine Könige».
Risse zeigen sich auch im zweiten Wachstumspfeiler, dem Geschäft mit Finanzprodukten. Im Gegensatz zu anderen Banken hatte Wegelin während der Finanzkrise zwar keine Unfälle mit eigenen Fonds oder Derivaten zu beklagen. Rückzüge von Kunden und das schlechte Abschneiden einzelner Strategien führten jedoch dazu, dass sich die Vermögen im Asset Management von einem einstelligen Milliardenbetrag aus halbierten. Allein die Vermögen der Wegelin-Fonds schwanden zwischen Mitte 2010 und Ende 2011 von 1,7 Milliarden auf 700 Millionen Franken.
Das weitaus gewichtigere Private Banking konnte diesen Aderlass nicht wettmachen. Die von Wegelin verwalteten Kundengelder sanken von insgesamt 26 Milliarden im Jahr 2010 auf 23 Milliarden Franken im letzten Dezember.
Kaum Linderung in dieser Lage versprechen Ausbruchsstrategien wie die 2010 gegründete Nettobank -im Gegenteil. Der Idee, Privatbankdienste online anzubieten, blieb bisher der Erfolg versagt. Auch dieses Jahr resultiert beim virtuellen Geldinstitut ein Verlust; die «akquisitorischen Ziele» seien nicht erreicht worden, heisst es. Trotzdem wird an der Nettobank festgehalten. Derweil versucht Wegelin, das Schiff mit rigorosen Sparmassnahmen wieder flottzubekommen. Stellen wurden zwar keine gestrichen, aber die Boni für 2011 wurden durchs Band halbiert.
Schwieriger zu kontrollieren sind die Folgen, die sich aus dem Offshore-Geschäft im Ausland ergeben. Wegelin gab sich hier lange als vehemente Verfechterin des Bankgeheimnisses. Noch 2009 erklärte Hummler gegenüber der «Süddeutschen Zeitung»: «Ob der Kunde das Geld in Deutschland versteuert hat, interessiert mich nicht.»
Gelder aus Betrugsskandal
Solche Sprüche wurden im Ausland offensichtlich gehört -und nicht nur von Steuerflüchtlingen. Wie Akten der Staatsanwaltschaft Würzburg zeigen, fanden auch Gelder in der Höhe von 205266 Euro aus dem Betrugskandal rund um Hedge-Fonds-Manager Helmut Kiener auf indirektem Weg zur Bank Wegelin in St. Gallen. Im August 2011 verfügten die deutschen Staatsanwälte die Pfändung des Kontos. Dazu sagt Wegelin, man stehe mit den Behörden seit langer Zeit in Kontakt und habe selbst aktiv zur Aufklärung beigetragen.
Im Rechtsstreit mit den Behörden der Vereinigten Staaten sieht sich Wegelin dagegen als Opfer, an dem die Supermacht ein Exempel statuieren will. «Es wird verkannt, dass bis heute weder in den USA noch in der Schweiz eine gesetzliche Pflicht dazu besteht, den Steuerstatus eines Kunden abzuklären», heisst es bei der Bank. Dem entgegen steht, dass ein Entscheid wie jener von 2008, US-Kunden von der UBS zu übernehmen, gemäss den Abläufen bei Wegelin von einer Mehrzahl der Teilhaber unterstützt werden muss.
Verunsicherte Kunden
Mittlerweile hat die Bank Kontakt mit den amerikanischen Behörden aufgenommen. Wegelin steht in ihrer misslichen Lage zumindest nicht allein da: Zehn andere Banken, darunter Credit Suisse, befinden sich in Verhandlungen mit dem Justizdepartement in Washington, um eine Strafklage (das sogenannte Indictment) abzuwenden. Dies ist der Weg, den auch die Schweizerische Finanzmarktaufsicht Finma bevorzugt. «Der Fall zeigt die Notwendigkeit, in Gesprächen unter Behörden einen Rahmen für eine Einigung zwischen Banken und den US-Behörden zu schaffen», heisst es vonseiten der Behörde.
Wegelin steht unter Zugzwang, denn der Makel im amerikanischen Markt lastet auf dem Tagesgeschäft: Die Berater an der Front haben alle Hände voll zu tun, um verunsicherte Kunden zu beruhigen, berichten Angestellte. Ob die Kundschaft dafür Gehör findet, wird sich weisen.
Die CD-Aufnahmen der Wegelin-Konzertreihe, welche die Bank noch letzte Weihnachten versandte, sind in diesen Tagen nur mehr das Echo besserer Zeiten.
Geschäfte im Schatten der UBS-Affäre
Gemäss den US-Behörden unterhielt die Bank Wegelin seit 2005 Kontakte mit US-Kunden. 2008 habe sich die Bank entschlossen, einen Teil der undeklarierten amerikanischen Vermögen der UBS zu übernehmen. Die Grossbank kam damals wegen ihrer Geschäfte mit amerikanischen Steuerflüchtlingen ins Visier der USA.Miami Vice Das FBI beschattete einen Wegelin-Direktor und verhaftete ihn im Oktober 2010 in Miami. Er wurde später für versuchte Geldwäscherei verurteilt und von der Bank entlassen. Sein Geständnis bringt die St. Galler auf den Radar der Amerikaner. Bereits Mitte 2009 hatte Wegelin öffentlich den Ausstieg aus dem US-Geschäft verkündet.
Zum Jahresauftakt 2012 klagt die New Yorker Staatsanwaltschaft drei Kundenberater von Wegelin an. Sie hätten US-Kunden geholfen, unversteuertes Geld in der Höhe von 1,2 Milliarden Dollar zu Wegelin in die Schweiz zu transferieren. Die Anklageschrift erwähnt insbesondere, dass die Banker aktiv um Schwarzgeld geworben hätten. Die Bank Wegelin hält die Fakten der Anklageschrift für «überprüfenswert». Derzeit befinden sich die drei angeklagten Wegelin-Männer in der Schweiz. Solange sie sich nicht in den USA einem Prozess stellen, stockt das Verfahren.
Nur Tage später wird publik, dass die USA eine mögliche Anklage gegen Wegelin erwägen.
Das US-Justizdepartement wirft Wegelin und zehn weiteren in der Schweiz ansässigen Banken vor, Schwarzgeld von Amerikanern entgegengenommen zu haben. Die amerikanischen Justizbehörden fordern nun von den betroffenen Instituten Informationen zu deren US-Kundschaft. Credit Suisse, Basler Kantonalbank und HSBC mussten bis Ende letzten Dezember Datenmaterial liefern; für die übrigen Institute gilt der 23. Januar 2012 als Stichtag. Bereits im Frühling sind die auf diesen Daten basierenden Forderungen aus den USA zu erwarten
Busse Als wahrscheinliches Szenario gilt, dass die USA gegen Bedingungen auf eine Anklage verzichten. Dazu dürften ein Schuldeingeständnis sowie eine Strafzahlung für entgangene Steuereinnahmen gehören.