Universal-Schweiz-Chef Ivo Sacchi hat zwei turbulente Jahre hinter sich. Erst musste der Präsident des Produzentenverbandes der Musikindustrie, Ifpi Schweiz, im September 2010 eine Millionenbetreibung des Musiksenders MTV wegen offener Gebühren aus dem Weg räumen - dank eines 500’000-Franken-Vergleichs.
Dann im April 2011 eröffnete die Wettbewerbskommission (Weko) eine Vorabklärung. Der Verband der Schweizer Musikindustrie soll Parallelimporte von Musik behindert haben. Seither ist Sacchi gefordert.
«Haltlose» Vorwürfe
Verbandsintern demonstrierte der Vorstand Zuversicht: «Wir sind überzeugt, dass die Ifpi Schweiz in keiner Weise gegen das Kartellrecht verstösst [...]», die Vorwürfe seien «haltlos», lautete die Botschaft an die 31 Mitglieder, zu denen neben Sacchis Universal unter anderen auch Warner, Emi, Sony oder Musikvertrieb gehören.
Im Juni leitete die Weko dann eine volle Untersuchung ein und wenig später trat auch noch der damalige Ifpi-Geschäftsführer wegen einer Steueraffäre zurück. Ivo Sacchi musste neben Universal nun auch noch die Zügel bei Ifpi in die Hand nehmen.
Sacchis Aufgabe wird nicht einfacher. Diverse Dokumente, die «Handelszeitung Online» vorliegen, zeigen: Obwohl das Bundesgericht seit 1998 in einem Leitentscheid Parallelimporte für zulässig erklärte, zwang die Ifpi ihre Mitglieder seit mehr als zehn Jahren zu einem faktischen Parallelimportverbot. Firmen ausserhalb des Verbandes versuchte man den Marktzugang zu erschweren. Ifpi Schweiz schätzt den Marktanteil ihrer Mitglieder auf «ca. 92, eher 95 Prozent».
Hoffen auf Vergleich
Letzten November war die Ifpi-Spitze guter Dinge, dass die Weko zu einem Vergleich bereit ist. Man informierte die Mitglieder, dass der Verband mit der Behörde Gespräche über eine «frühzeitige Erledigung der Untersuchung» verhandelte: «Zurzeit besteht die Möglichkeit, dass das Untersuchungsverfahren vergleichsweise erledigt werden kann.»
Einige Tage später überbrachte Sacchi seinen Mitgliedern eine weitere Botschaft: Der Vorstand habe erfahren, «dass das Sekretariat (die Weko, Anmerkung HZ) einzelne Ifpi-Mitglieder für eine persönliche Befragung aufgeboten hat.» Sacchi sprach eine besondere Weisung aus: «Die Fragen sind wahrheitsgetreu zu beantworten.»
Die Weko interessiert sich neben der Hitparade auch fürs Thema Parallelimporte: Die Behörde vermutet ein Preiskartell. Auch die Ifpi trieb dieses Thema um – jahrzehntelang, wie interne Dokumente belegen.
1996 stagnierte das CD-Geschäft in der Schweiz erstmals seit Jahren. Für die Ifpi waren die Schuldigen schnell ausgemacht: Parallelimporte. Der Schweizer Industrie seien dadurch allein 1995 63,5 Millionen Franken verloren gegangen, behauptete der Verband. Die CD-Billigimporte seien illegal, weil sie gegen Schweizer Urheberrecht verstossen würden, argumentierte die Ifpi.
Deshalb müssten Händler für CDs, die sie aus Übersee importieren, in der Schweiz nochmals eine Lizenz bezahlen. Damit wären die Vorteile des Direktimports – schwacher Dollarkurs, tiefere Urheberrechtsabgaben im Ausland – weitgehend hinfällig geworden.
Druck auf die Suisa
Jahrelang bearbeitete die Ifpi darum die Verwertungsgesellschaft Suisa, gegen Parallelimporteure eine Musterklage anzustrengen. Bereits 1994 sprachen darum Ifpi-Vertreter bei der Suisa vor und argumentierten, nicht nur die CD-Produzenten der Ifpi kämen zu Schaden sondern auch die in der Suisa vereinten Musiker.
Auch gegen unliebsame Parallelimporteure machten Ifpi-Mitglieder Stimmung. So etwa Phonag. Der heutige Verwaltungsratspräsident beschwerte sich beim Branchenbuchverlag Tobek, dass der langjährige Direktimporteur Scherrer-Import Aufnahme im Verzeichnis fand.
Gleichzeitig aber liebäugelte die Ifpi selbst mit tieferen Künstlerabgaben, also mit genau jenem Argument - Schaden zu Handen der Künstler -, mit dem man die Suisa bearbeitete: «Sollte es nicht möglich sein, Parallelimporte zu stoppen, sollte man sich überlegen, in einem Land mit günstigen Tarifen zu lizenzieren.» So steht es in einem der Dokumente, die der Redaktion vorliegen.
Die ersten Treffen mit der ältesten Urheberrechtsgesellschaft der Schweiz Suisa waren für die Ifpi offenbar nicht von Erfolg gekrönt. Der Ifpi-Vorstand beschloss darum, «nochmals vorzusprechen». Für die Suisa wurde das Thema erst dann so richtig aktuell, als ihr die Ifpi 1996 mit einer Beschwerde vor der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Institut für Geistiges Eigentum (IGE), drohte. Der Druck fruchtete: Am 15. Juli 1998 teilte die Suisa den Mitgliedern des Tonträgerverbands mit, dass sie «nun einen Musterprozess gegen einen Parallelimporteur führen will».
Urteil aus der Videogame-Branche
Die Suisa entschied sich viel zu spät. Denn nur wenige Tage später fällte das Bundesgericht in Lausanne den wegweisenden Entscheid - die Waldmeier AG als Generalimporteurin von Nintendo-Videogames verlor gegen einen Direktimporteur. Das Gericht legte Artikel 12 im Urheberrechtsgesetz (URG) im Sinne der so genannten «internationalen Erschöpfung» aus: Wird ein Produkt wie Musik oder Computersoftware vom Urheber einmal im Ausland in Verkehr gebracht, kann dieser nicht mehr darüber bestimmen, wann es in die Schweiz eingeführt wird. Parallelimporte waren legal.
Die Ifpi liess sich vom Urteil die vollständige Fassung des Entscheides zukommen, «um die Chancen eines Prozesses in der Tonträgerbranche zu analysieren.» Offenbar war das Verdikt so eindeutig, dass danach an eine Klage nicht mehr zu denken war.
Doch die Ifpi beschloss offenbar, einerseits das Bundesgericht zu ignorieren und andererseits in Bundesbern politisch aktiv zu werden: An der Generalversammlung 1999 wurden die neuen Mitglieder Sound Service und TBA nur «unter Vorbehalt der Unterzeichnung eines Dokumentes, wonach Parallelimporte zu unterlassen sind» aufgenommen. Spätestens jetzt wusste jedes Mitglied Bescheid.
TBA war in den 90er-Jahren in der Szene auch für Parallelimporte bekannt, doch deren Wohlverhalten als Ifpi-Mitglied zahlte sich schliesslich aus: TBA-Chef Viktor Waldburger bekam als Vorstandsmitglied ab Oktober 2008 Zugang zum innersten Zirkel der Schweizer Musikindustrie.
Neue Gesetzesrevision, neues Glück
Als zweiter Schritt versuchte die Ifpi im Jahr 2000 die Teilrevision des URG zu nutzen. In einer Stellungnahme zum Vorentwurf des URG wollte die Ifpi Parallelimporten ein für allemal den Riegel schieben und behauptete, Parallelimporte seien nicht im Interessen der Konsumenten, denn die Preise würden nicht fallen. Zudem bestehe die Gefahr, dass die «Kulturschaffenden damit enorme Einkommenseinbussen zugunsten skrupelloser Parallelimporteure hinzunehmen haben werden» und Parallelimporte seien auch «kulturpolitisch nicht wünschenswert».
Mit dieser Argumentation stiess die Ifpi in Bern aber auf wenig Musikgehör. Das Wehklagen des Verbandes führte zu keiner Änderung, die aufgezwungene Ifpi-interne «Parallelimportverzichts»-Doktrin jedoch blieb.
Absprachen über mehrere Generationen
Im Mai 2003 kam der Verbandsspitze dann zu Ohren, dass eine Firma aus dem Kanton Basel-Landschaft CDs im Internet anbietet. Sofort erhielten die Mitglieder Post: «Dem Vernehmen nach verkauft die Scoopsound AG, Füllinsdorf [...] auch Parallelimporte. [...] Viele Firmen haben [...] ihre Katalogdatenbanken zur Verfügung gestellt. Dies kann [...] nicht der Sinn einer Zusammenarbeit sein, wenn dieser Partner mit Parellelimporten handelt. Wir [...] empfehlen, gegebenenfalls die notwendigen Massnahmen einzuleiten.»
Die Ifpi versuchte damit offenbar, die Kunden ihrer Mitglieder auf genehmes Verhalten zu trimmen - fünf Jahre nach dem einschlägigen Gerichtsentscheid.
Ende Mai 2007 hatten die Ifpi-Mitglieder wieder einmal über die Aufnahme neuer Mitglieder zu entscheiden: «Der Vorstand hat die Aufnahmegesuche von Divox AG und Starproduction geprüft und empfiehlt der Generalversammlung die Aufnahme dieser Firmen unter Vorbehalt der Erklärungsabgabe ‹Parallelimportverzicht›.»
Dem Begehren wurde oppositionslos stattgegeben. Wie schon 1999.
2010 entschied dann die Generalversammlung wieder über ein weiteres Neumitglied: Disques Office aus Freiburg wollte in den Schoss des Vereins heimkehren, aus dem sich die Firma 1995 abnabelte. Nicht im offiziellen Protokoll vermerkt ist der bekannte Parallelimport-Verzicht, der vom Vorstand in einer separaten Sitzung am Morgen vor der Generalversammlung zur Bedingung gemacht wurde.
Die Knüppelverträge wurden über mehrere Generationen von Ifpi-Präsidenten abgesegnet. Ivo Sacchi zog offenbar die traditionelle Linie konsequent durch, die er von seinem Vorgänger 2005 erbte.
Gegenüber «Handelszeitung Online» will sich die Ifpi nicht äussern. «Bis zum Abschluss des Verfahrens werden wir keine Stellungnahme abgeben», sagt Geschäftsführer Lorenz Haas.