Zur Person

Dr. Martin Eisenring
ist Rechtsanwalt und arbeitet als Corporate-Governance-Analyst bei der Ethos Anlagestiftung für nachhaltige Entwicklung, Genf.

F ür den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens und dessen positive Bewertung am Aktienmarkt ist die Qualität der Führungs- und Kontrollstrukturen von zentraler Bedeutung. Aktionäre wollen die Gewissheit, dass der Verwaltungsrat als Oberleitungs- und Aufsichtsorgan ideale Bedingungen für den Geschäftserfolg schaffen kann und – bei Ausbleiben des Erfolgs – korrigierend eingreift. Da die Aktionäre (als Prinzipal) den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung (als Agenten) mit der Führung der Geschäfte betrauen, braucht es griffige Mechanismen, die eine Angleichung der Interessen von Unternehmensführung und -eigner sicherstellen.

Der Verwaltungsrat muss die Interessen der Gesamtheit der Aktionäre vertreten, auch der Minderheiten. Dazu braucht es kompetente Persönlichkeiten mit der Fähigkeit zu einer eigenständigen Meinungs- und Willensbildung, mit der Fähigkeit zum kritischen Gedankenaustausch mit der operativ verantwortlichen Geschäftsleitung. Bei der Auswahl von Verwaltungsratsmitgliedern müssen daher sachlich gerechtfertigte Kriterien wie Persönlichkeit, Know-how und Verfügbarkeit ausschlaggebend sein.

Interessenkonflikte
Verwaltungsratsmitglieder, die zugleich mit der Führung der Geschäfte betraut sind (exekutive Mitglieder) oder die zum Unternehmen in einer besonders engen Beziehung stehen (zum Beispiel Mehrheits-, Grossaktionäre, langjährige Verwaltungsratsmitglieder, ehemalige Direktionsmitglieder), können auf Grund ihres Hintergrunds die Entwicklung des Unternehmens gewiss positiv beeinflussen. Doch birgt die starke Verankerung dieser so genannten nicht unabhängigen Verwaltungsratsmitglieder auch einige, seit den jüngsten Firmenpleiten offensichtliche Risiken und ein grosses Schädigungspotenzial: etwa die Interessenkonflikte, die entstehen können, wenn es darum geht, die Geschäftsführung zu hinterfragen oder deren Entschädigung festzulegen.

Auch die Personalunion von Verwaltungsratspräsident und CEO kann heikel sein: Der Verwaltungsrat trifft sich traditionellerweise nur einige Male pro Jahr. Ein Präsident und CEO verfügt als Insider gegenüber den ordentlichen Mitgliedern über einen enormen Informationsvorsprung und könnte geneigt sein, diesen auszunützen beziehungsweise relevante Sachverhalte den übrigen Mitgliedern vorzuenthalten. Um die Oberaufsicht des Verwaltungsrates in solchen Konstellationen dennoch zu gewährleisten, fordert etwa der «Swiss Code of Best Practice», ein unabhängiges Verwaltungsratsmitglied zum «lead director» zu ernennen und ihm das Recht einzuräumen, Verwaltungsratssitzungen einzuberufen und zu leiten, an denen der Präsident und CEO nicht teilnimmt.

Der beste Schutz vor den Risiken, die Verwaltungsratsmitglieder mit «individuellen Interessen» potenziell mitbringen, bietet die Forderung, die Mehrheit im Gremium müsse aus unabhängigen Mitgliedern bestehen. Eine Vielzahl von Experten und ebenfalls die New Yorker Börse (NYSE) fordern dies explizit. Der «Swiss Code of Best Practice» statuiert dies bedauerlicherweise nicht, hält aber immerhin fest, dass die Mehrheit des Rates aus nicht exekutiven Mitgliedern zu bestehen hat.

Transparenz
In der laufenden Diskussion zum Thema Corporate Governance sorgen insbesondere die Entschädigungen an den Verwaltungsrat und an die Geschäftsleitung für heisse Köpfe. Schlagzeilen über unanständig hohe Salärzahlungen und Abfindungen geben der Forderung nach Transparenz enormen Auftrieb. Obwohl eine umfassende Offenlegung der verschiedenen Lohnbestandteile wie Basislohn, Bonus und Optionsprogramme nicht zwingend zu einer Reduktion der Gesamtentschädigung führt, kann mit einer konsequenten und umfassenden Offenlegung eher sichergestellt werden, dass die Interessen der Aktionäre und des Unternehmens – insbesondere auch die Langfristigkeit des Geschäftserfolges – bei der Ausgestaltung der Lohnpakete berücksichtigt sind.

Die neue SWX-Richtlinie verlangt, Informationen zu den Entschädigungen, Beteiligungen und Darlehen an ehemalige und amtierende Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitglieder zwingend offen zu legen. Dabei müssen die Entschädigungen, der Aktienbesitz und die Aktienzuteilung sowie die zugeteilten Optionen je gesamthaft für die exekutiven und die nicht exekutiven Mitglieder ausgewiesen werden. Einzig die Entschädigungssumme an das bestbezahlte Verwaltungsratsmitglied muss individuell kommuniziert werden. Das genügt nicht. In einer zukünftigen Version der SWX-Richtlinien muss daher die Deklaration der individuellen Entschädigungen von Management und Verwaltungsrat verlangt werden.

Arbeitsteilung
Zu den Schlüsselaufgaben des Verwaltungsrates gehört neben der Rekrutierung des Topmanagements, dessen Kontrolle und Entschädigung auch die oberste Finanzkontrolle – ein umfangreiches, ausserordentlich bedeutsames Pflichtenheft, das ohne effiziente Arbeitsteilung nicht zu bewältigen ist. Innerhalb des Verwaltungsrates sind daher Ausschüsse beziehungsweise Komitees zu bilden, die sich eingehend mit den einzelnen Fragen beschäftigen. Neben einem Nominations- und einem Entschädigungskomitee ist auch ein Auditkomitee zu etablieren. Diesem obliegt sowohl die Überwachung der internen Revision als auch die Gewährleistung einer kompetenten, unabhängigen und objektiven externen Revision. Verwaltungsratsausschüsse werden auch vom «Swiss Code of Best Practice» ausdrücklich gefordert.

Die Generalversammlung
Die Generalversammlung der Aktionäre ist formell das oberste Organ einer Aktiengesellschaft. Sie bestimmt den materiellen und personellen Rahmen der Gesellschaft, innerhalb dessen der Verwaltungsrat die Geschäfte führt und überwacht.

Da mit der Benennung der Leitungs- und Kontrollorgane entscheidende Weichen für die Geschäftsstrategie und den Unternehmenserfolg gestellt werden, ist die Wahl der einzelnen Verwaltungsratsmitglieder absolut zentral. Aktionäre, die ihr Wahlrecht und damit ihre Verantwortung ernsthaft wahrnehmen wollen, sind darauf angewiesen, dass sie über genügend Informationen verfügen, um beurteilen zu können, ob ein Kandidat als Verwaltungsratsmitglied geeignet ist oder nicht. Fehlentscheide sind auch dann nicht auszuschliessen. Daher sollen Verwaltungsratsmitglieder für eine jeweils kurze Amtsdauer von einem Jahr gewählt werden.

Um über wesentliche Aspekte zum Thema Verwaltungsrat zu informieren, eignen sich der Geschäftsbericht oder auch die Einladung zur Generalversammlung bestens. Für kotierte Unternehmen fordert die SWX-Richtlinie explizit, dass im Geschäftsbericht umfassend über die Corporate Governance informiert werden muss.

Kapitalherabsetzung und Tranktandierungsrecht
Neben der Mitwirkung an der Generalversammlung haben die Aktionäre, die ein Nennwertkapital von einer Million Franken auf sich vereinen, das Recht, im Rahmen der gesetzlichen Kompetenzordnung Anträge zuhanden der Generalversammlung zu stellen. Im Zusammenhang mit der vom Gesetzgeber ermöglichten Herabsetzung des Aktienwerts auf einen Rappen – früher betrug er zehn Franken – haben viele Gesellschaften mit Kapitaltransaktionen den Nennwert ihrer Aktien immer weiter vermindert. Neben den Auswirkungen der Kapitalherabsetzung auf die finanzielle Situation des Unternehmens macht sie es auch schwieriger, die notwendige Aktienkapitalsumme zusammenzubringen, um zwingend einen Antrag auf die Tagesordnung der Generalversammlung setzen zu lassen. Dies schmälert die Rechte der Aktionäre erheblich.

Mit der Kapitalherabsetzung muss daher der Schwellenwert für Traktandierungsgesuche endlich angepasst werden. Ungenügend ist die im «Swiss Code of Best Practice» enthaltene Anweisung an den Verwaltungsrat, er habe im Falle einer Nennwertherabsetzung lediglich zu prüfen, ob eine Anpassung des Schwellenwerts angezeigt sei. In einer kommenden Aktienrechtsrevision muss der Gesetzgeber daher dafür sorgen, dass eine Aushöhlung der Aktionärsrechte nicht im Ermessen des Verwaltungsrates liegt und die Herabsetzung der Schwellenwerte für Traktandierungsgesuche bei Nennwertrückzahlungen zwingend erfolgen muss.

Traktandenliste
Die Generalversammlung ist die Plattform für einen offenen Dialog zwischen den Aktionären und den Leitungsorganen. Dies wird auch im «Swiss Code of Best Practice» statuiert. Besondere Aufmerksamkeit ist demnach der Einladung zur Generalversammlung zu schenken. Die Tagesordnung sollte die einzelnen Traktanden klar und präzise erläutern und wird im Musterfall von ergänzenden Ausführungen begleitet. Werden von Aktionären Anträge zuhanden der Generalversammlung eingereicht, sollten auch deren Argumente gehört und den Mitaktionären zur Meinungsbildung zugestellt werden. Weiter ist es für die Stimmrechtsausübung wichtig, dass die verschiedenen Themen einzeln zur Abstimmung gebracht werden. Verpönt ist das Verdichten unterschiedlicher Problembereiche in einem Traktandum. Darauf ist insbesondere bei Statutenänderungen zu achten.

Nachholbedarf betreffend Offenlegung und Transparenz besteht auch bei eigenkapitalrelevanten Traktanden. Insbesondere die Schaffung von bedingtem Kapital für Mitarbeiteraktien birgt grosse Missbrauchsgefahr, der nur mit Offenlegung begegnet werden kann. Deshalb muss den Aktionären nicht nur der Nennbetrag, um den das Aktienkapital bedingt erhöht werden kann, dargelegt werden, sondern auch die Grundzüge der relevanten Mitarbeiterbeteiligungspläne und die dazugehörenden Performancekriterien und Ausübungskonditionen.

Gleichbehandlung der Aktionäre
Weder in der schweizerischen Rechtsordnung noch im «Swiss Code of Best Practice» wird der Grundsatz «eine Aktie gleich eine Stimme» gefordert. Damit kann sich eine Aktionärsgruppe besondere Vorrechte sichern und einen im Vergleich zum investierten Kapital überproportionalen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben. Gefährdet wird die Gleichbehandlung der Aktionäre auch durch Vinkulierungsvorschriften, die eine Eintragung der Aktionäre im Aktienbuch statuarisch einschränken und deren Stimmrecht limitieren, sowie durch Opting-out-Klauseln, welche die Rechtsstellung von Minderheitsaktionären bei Firmenübernahmen schwächen. Bedauernswert ist das Schweigen des «Swiss Code of Best Practice» zu diesem für den Aktienmarkt ausgesprochen wichtigen Themenbereich.

Fazit
Um die freiheitliche Ausgestaltung der schweizerischen Unternehmenswelt zu erhalten, ist eine Rückbesinnung auf die demokratische Struktur der Aktiengesellschaft dringend notwendig. Zwar ist eine Good Corporate Governance kein Allerweltsheilmittel, sie kann jedoch den glaubwürdigen Rahmen schaffen, um verlorenes Vertrauen der Anlegerschaft zurückzugewinnen. In diesem Sinne ist eine Good Corporate Governance das Fundament, auf das eine langfristig erfolgreiche Unternehmenstätigkeit aufbauen kann.
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