Weit mehr als eine halbe Million Schweizer erledigen ihre Bankgeschäfte vom heimischen PC aus. Sie greifen via Browser auf einen Bankserver zu und mutieren ihre Kundendaten. Was die wenigsten wissen dürften: Damit sind sie klassische ASP-Nutzer, denn ihr PC ist in diesem Fall nur noch ein simpler Terminal. Ebenfalls schon weit verbreitet ist das ASP in vielen Grossunternehmen: Viele Softwaretools, die firmenweit genutzt werden, lagern samt den individuellen Daten der Mitarbeiter auf einem zentral betriebenen Server; zu den Schreibtischen werden nur noch die Bildschirmmutationen übermittelt. Für Banken und Grossunternehmen liegt der Nutzen einer solchen Lösung auf der Hand; die Installations- und Supportkosten der Softwaretools sinken markant.

Clevere IT-Spezialisten tragen sich deshalb schon seit Mitte der Neunzigerjahre mit der Idee, verschiedene handelsübliche Softwarepakete auf einem zentralen Server zu installieren, Benutzerkonten einzurichten und die Software über offene Datennetze an Endkunden zu vermieten. Namentlich der Firmenkundenmarkt schien attraktiv, denn viele Unternehmen stöhnen unter den hohen Wartungskosten ihrer IT-Infrastruktur, und ASP-Lösungen versprechen eine Reduktion der IT-Kosten um 20 bis 40 Prozent. Den grossen Schub erlebte das ASP aber erst mit der Verbreitung des Internets und dem Ausbau der Datenübertragungskapazitäten durch die Telcos. Und was lange nur die Experten beschäftigt hatte, entwickelte sich ab 1999 zu einem veritablen Hype.

Treiber waren in erster Linie die Telekomunternehmen (Telcos); sie sahen im ASP-Modell eine ideale Gelegenheit, die bröckelnden Margen im Telefoniegeschäft zu kompensieren. Die Zeit, im Datenübertragungsgeschäft einen eigenen Firmenkundenstamm aufzubauen, gaben sie sich dabei nicht. Vielmehr erwarben sie unter Zeitdruck die bis dahin unabhängigen Internet-Service-Provider (ISP): Diax kaufte Access, Cablecom SwissOnline, Tiscali Datacomm und Cable & Wirless Agri.ch. Die Liste liesse sich verlängern, und obwohl die Beteiligten jeweils Stillschweigen vereinbarten, gilt heute als gesichert, dass die Carrier für ein einzelnes Firmenkundenabonnement bis zu 1500 Franken auf den Tisch gelegt haben.

Aber auch die Softwarehersteller investierten. Aus Furcht, den ASP-Zug zu verpassen, schuf beispielsweise SAP mit Mysap.com ein ASP-fähiges Enterprise-Resource-Planning-System, und Microsoft lancierte im vergangenen Herbst eine ASP-Lizenz für ihre Office-Produkte.

Zudem lockte der ASP-Hype viele neue Firmen auf den Plan, die versuchten, sich als unabhängige Anbieter zu positionieren. Internationale Provider eröffneten Niederlassungen in der Schweiz, viele IT-Dienstleister setzten auf den neuen Trend, und schliesslich schossen quer durchs Land teilweise risikokapitalfinanzierte Start-ups aus dem Boden.

Das war vor einem Jahr. Heute herrscht der grosse Katzenjammer. Denn die Kundschaft ist weit gehend ausgeblieben; vor allem im angepeilten KMU-Markt kommt das neue Modell kaum vom Fleck. So liegt der Anteil der Office-Nutzer, welche die Bürosoftware via Internet beziehen, laut Microsoft Schweiz noch weit unterhalb der Promillegrenze. «Die Realität hat gezeigt, dass die Firmenkunden zurückhaltend auf das ASP-Geschäft ansprechen», sagt stellvertretend für die ganze Branche Christian Speck, Managing Partner bei Businesscare, einer Commcare-Tochter, die heute mit nur 14 Firmenkunden noch zu den grössten Anbietern der Schweiz zählt.

Die Gründe für den ausgebliebenen Take-off des ASP-Geschäfts sind vielfältig. Die Provider nennen die Obstruktion der vielen IT-Spezialisten in den Betrieben, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, das generell ungünstige Klima für IT-Innovationen sowie die Politik der Swisscom, deren Preise auf der letzten Meile das ASP-Modell unwirtschaftlich machten.

Gut möglich, dass all diese Gründe eine Rolle gespielt haben, doch ausschlaggebend waren sie nicht. Woran es momentan vor allem fehlt, ist das Vertrauen der Kunden: «Ein ASP-Anbieter sieht mehr von seinem Kunden als der Treuhänder», sagt beispielsweise Bernard Aerni, Juniorchef der Basler Aerni-Gruppe, die einen Teil ihrer Software seit einigen Monaten aus dem Netz bezieht. Aerni kann damit leben, doch bei vielen Unternehmern löst allein die Vorstellung, dass ihr gesamter Datenbestand von einem Dritten eingesehen werden kann, Urängste aus. Und wie berechtigt diese Ängste sind, bestätigen die Anbieter selbst immer wieder.

In schlechter Erinnerung ist beispielsweise das Datenleck bei SwissOnline: Im Sommer wurde bekannt, dass es die Cablecom-Tochter nicht einmal fertig bringt, simple E-Mail-Konten gegen Hacker zu schützen. «Solche Vorfälle untergraben das Vertrauen in die ganze Branche», klagen viele kleine ASP- Anbieter, die ihren Kunden die Übernahme sämtlicher geschäftskritischen Daten anbieten und viel Geld in die Sicherheit ihrer Datencenter und Netzwerkapplikationen gesteckt haben.

Ein schwieriges Marktumfeld und eklatante Fehlleistungen der Anbieter allein würden genügen, um eine neue Dienstleistung abzuwürgen. Doch als wäre das noch nicht genug, kommt beim ASP noch ein äusserst vertracktes Geschäftsmodell hinzu. Die Branche kämpft mit den Tücken einer Dienstleistung, die alles andere als homogen ist. Damit die Software wirklich aus der viel zitierten «Dose» fliesst, müssen viele durchaus verschiedene Leistungen zu einem Paket verschnürt werden. Denn für die ASP-Dienstleistungen braucht es nicht nur eine ASP-fähige Software, ein gesichertes Datenzentrum und eine möglichst grosse Leitung zum Kunden. Notwendig ist auch viel Netzwerk- und Software-Know-how für den Unterhalt, Vertrieb und Support der vermieteten Software.

Weil aber kein Anbieter dieses Angebot in der gewünschten Breite realisieren kann, deckt auch keiner die gesamte Wertschöpfungspalette ab. Die daraus resultierenden Ängste der Kunden sind nachvollziehbar: Im Störungsfall, so die Befürchtung, besitze man zwar einen Vertrag, habe aber keinen Ansprechpartner, der die Probleme schnell und effizient lösen könne.

Angesichts dieser Widerstände wundert es nicht, dass sich die Branche in den letzten Monaten einen Zwischenhalt verordnet hat. Die Softwareindustrie, die dem ASP mit Blick auf ihre konventionellen Vertriebskanäle so oder so mit gemischten Gefühlen gegenübersteht, hat die Anstrengungen, ihre Produkte technisch und kommerziell ASP-fähig zu machen, erheblich zurückgefahren.

Noch deutlicher ist die Trendwende bei den Carriern: Cable & Wireless hat seine ASP-Pläne im Frühling begraben, 100 Mitarbeiter entlassen und den teuer bezahlten Provider Agri.ch wieder in die Unabhängigkeit entlassen. Sunrise hat sein ASP-Projekt im Juli gestoppt, und von der gebeutelten Swisscom-Tochter Bluewin sind zwar noch Ankündigungen zu hören, auf konkrete Dienstleistungen wartet der Kunde jedoch vergebens.

Die neue Formel der Carrier lautet Application-Infrastructure-Providing (AIP). Die Carrier ziehen sich zumindest vorübergehend aus dem marketingmässig aufwändigen Endkundengeschäft zurück und bieten sich den unabhängigen ASP-Anbietern als Infrastrukturdienstleister an.

Doch solange die Nachfrage nur schwach steigt, wird auch daraus kein Geschäft. Unternehmen wie die amerikanische Hostlogic, die im vorletzten Jahr mit grossem Marketing-Trara in die Schweiz gekommen ist, sind bereits wieder verschwunden, und die verbliebenen Anbieter – es sind in der ganzen Schweiz vielleicht noch 30 meist junge Kleinfirmen – fahren mit gebremstem Schaum: Sie versuchen, die schwierige Zeit mit Dienstleistungs- und Outsourcingaufträgen zu überbrücken. «Wir investieren nur aus den eigenen Erträgen», sagt beispielsweise Christian Speck von der Businesscare, die gegenwärtig zehn Mitarbeiter beschäftigt.

Viele kleine ASP-Anbieter hoffen nun, mit gezieltem, persönlichem Marketing das ramponierte Vertrauen der KMUs in ASP-Lösungen wieder aufbauen zu können. Als Vorbild könnte dabei die Systor dienen: Die ehemalige IT-Tochter des Bankvereins ist auf die Finanz- und Versicherungswirtschaft fokussiert und hat sich, kaum beachtet von der Öffentlichkeit, zu einem der grössten ASP-Dienstleister des Landes gemausert: Auf die selbst entwickelte E-Fonds-Lösung der Systor greifen die Kunden von zwei Privatbanken und weiteren Fondsgesellschaften zu.

Einen anderen Weg geht Green.ch, die neue Firma des einstigen Agri-Gründers Guido Honegger. Honegger hat Agri 1999 an Cable & Wireless verkauft und die Firma per MBO auf den 1. Juli wieder erworben. Der 50-Personen-Betrieb Green zählt auf einen Stamm von 40 000 zahlenden Surfern und ist damit weitaus der grösste unabhängige ISP der Schweiz. Honegger hat sich von der Vorstellung, man könne den skeptischen KMUs zum jetzigen Zeitpunkt geschäftskritische Applikationen übers Web verkaufen, verabschiedet. Er setzt auf «non-critical applications». Das heisst, er bietet Einzelservices an, welche die bestehende IT-Infrastruktur des Kunden sinnvoll ergänzen. Ein Beispiel dafür ist ein Dienst, der es den Kunden erlaubt, ihre E-Mails einfach zu verschlüsseln. Seit Mitte Juli betreibt Guido Honegger zudem ein Web-Managementtool im ASP-Modus.

Unabhängig vom konkreten Geschäftsmodell geht es jetzt aber für alle kleinen Anbieter darum, möglichst schnell eine kritische Grösse zu erreichen. Denn sollte sich der seit langem vorhergesagte Boom endlich einstellen, haben die marketingmächtigen Telcos schnell wieder aufgerüstet. Kampflos werden die Konzerne den Distributionskanal Internet jedenfalls nicht den Kleinanbietern überlassen. Bei Sunrise liegen die Pläne für erste nicht geschäftskritische ASP-Anwendungen griffbereit in der Schublade, wie Marketingdirektor Markus Golder erklärt.

Gefahr droht den unabhängigen ASP- Anbietern indes auch noch von einer anderen, durchaus überraschenden Seite, denn unterdessen drängen auch branchenfremde Anbieter auf den ASP-Markt. PricewaterhouseCoopers (PWC) beispielsweise vertreibt ihren Kunden seit einigen Wochen Mysap.com im ASP-Modell.

«Mit guter Resonanz», erklärt Wolfram Siemers, Senior Consultant bei PWC und Vertreter des Unternehmens im Schweizer ASP-Konsortium, einem losen Zusammenschluss von Firmen und Verbänden, die sich aktiv mit dem Thema ASP auseinander setzen. Ebenfalls als Branchenfremder agiert die Zürich Service AG im ASP-Markt. Die 1998 gegründete «Zürich»-Tochter kann bereits auf 200 Firmenkunden verweisen, deren Personal- und Saläradministration im paneuropäischen Rechenzentrum der «Zürich»-Gruppe abgewickelt werden, und zwar auf einer einzigen Mysap.com-Plattform.

Der Erfolg der Aussenseiter lässt sich leicht erklären, denn sie haken exakt am wunden Punkt der Platzhirsche ein: beim mangelnden Vertrauen der potenziellen Kunden in die IT-Industrie. «ASP ist Vertrauenssache; ohne einen guten Namen ist es äusserst schwierig, ins Geschäft zu kommen», meint Zürich-Service-Geschäftsführer René Pfluger lakonisch.

Dazu kommt, dass Unternehmen wie die «Zürich» und PWC nicht einfach eine Software anbieten, sondern in der Lage sind, für den Kunden je nach Bedarf auch ganze Geschäftsprozesse abzuwickeln. «Das ASP ist immer Teil eines Gesamtpakets», betont Pfluger. Das Ziel sei es immer, dem Kunden die gewünschten Dienstleistungen rund um das Versicherungs- und Personalwesen zu bieten, und da wirkten die Vermietung und der Support einer Software nur unterstützend.

Auch PWC-Vertreter Wolfram Siemers spricht weniger von ASP als von Business-Process-Outsourcing (BPO). Und aus seiner Sicht sind sogar ASP-Lösungen, wie sie jetzt die «Zürich» und PWC anbieten, nur erste Schritte auf dem langen Weg in die «netzwerkorientierte Wirtschaft».

Ein nächster Schritt sei die Durchsetzung einer universellen Sprache für den Datenaustausch zwischen den unterschiedlichsten IT-Systemen. Als einen möglichen Standard nennt der gelernte Mathematiker Siemers die Datenübertragungssprache XML (Extensible Markup Language). Sollten sich auf der Basis von XML auch noch einheitliche Austauschformate durchsetzen, könne ein Unternehmen alle Kompetenzen, die nicht zum Kerngeschäft gehörten, inklusive der zugehörigen Software als Komplettdienstleistung beziehen. Und zwar von den unterschiedlichsten Anbietern, denn dank der Integration per XML könnten die verschiedenen Softwaretools leicht miteinander verknüpft werden. Die Vision ist nichts weniger als eine betriebliche Businesssoftware, deren einzelne Module für Produktion, Logistik oder Buchhaltung von den jeweiligen Lieferanten und Outsourcing-Partnern betrieben werden.

Das Revolutionäre dabei: Als Softwarevertreiber agieren in diesem Zukunftsszenario nicht mehr spezialisierte Telcos oder ASP- Anbieter, sondern alle Unternehmen, die in der Wirtschaft einen guten Namen haben. Wann der ASP-Boom indes startet, ist wegen der komplizierten Ausgangslage noch nicht absehbar.
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