Fast ein Jahrzehnt lang war Bjørn Johansson bei der Swissair dick im Geschäft. Gegen zwanzig Manager installierte der Headhunter in dieser Zeit in den obersten Chargen am Balsberg, darunter Catering-Chef Wolfgang Werlé oder Personalleiter Matthias Mölleney. Nun, nach dem Kollaps der Airline, ist Johansson für die gegroundeten Männer unvermittelt zu einer Art Outplacement-Berater geworden. Werlé hat er an die Spitze der Grossbäckerei Hiestand gelotst, Mölleney platzierte er als Personalchef bei Sulzer Medica. Auch das übrige Management päppelt Johansson nach Kräften auf, sei es bei einem Abendessen im privaten Kreis, sei es beim trauten Zwiegespräch in den Räumen am Zürcher Utoquai, einer der feinsten Adressen Zürichs.

Dort, in einem mit zwei Ledersesseln ausgestatteten Erker seines Eckbüros, evaluiert Johansson mit seinen Kandidaten Laufbahnen, Jobangebote und Salärspannen. Da die Kaminkarrieren der Wirtschaftsführer immer häufiger vorzeitig abbrechen, finden sich viele in regelmässigen Abständen bei ihm ein. In den USA und Europa sitzen vier von fünf Topmanagern seit weniger als fünf Jahren auf ihrem Chefsessel. Da wird der Kopfjäger zum Karriereberater fürs Leben. «Champions-League-Männer sind rar», sagt Johansson. Wer für die Topliga auserkoren wird, das liegt mithin sehr stark in der Macht des Kopfjägers. Er trifft für seine Kunden die Auswahl und gibt Empfehlungen ab.

Sandro Gianella, Chef der Knight Gianella, schätzt die Zahl echter Toppositionen, die jährlich in der Schweizer Wirtschaft zu besetzen sind, auf rund 100. Er gilt neben Johansson als einer der fünf Headhunter, die zusammen einen grossen Teil der Konzernleitungsmitglieder und Verwaltungsräte von hiesigen börsenkotierten Unternehmen rekrutieren. Weitere Zitadellen der Zunft heissen: Thomas Hammer, Chef Schweiz des Branchenführers Egon Zehnder International, Roger Rytz von Spencer Stuart sowie Hubertus Tschopp.

Je kleiner die Jagdgründe, so scheint es, desto reicher die Beute. «Unser Minimalhonorar beträgt 175 000 Franken, unnabhängig von Dauer und Komplexität des Mandats», sagt Johansson, als sei das ein Pappenstiel. Damit kalkuliere er bewusst teurer als die Konkurrenz: «Ich will die tiefen Stufen gar nicht.» Die Mitbewerber rechnen mit Minimalansätzen zwischen 80 000 und 120 000 Franken plus 15 Prozent Spesenpauschale pro Auftrag freilich auch nicht zu knapp.

Geht es aber um Kopf und Kragen, sind sämtliche Anbieter zu Preisnachlässen bereit, notfalls bis hinunter zur Schmerzgrenze von 50 000 Franken. Von «Discounts» will allerdings niemand sprechen, und «Dumping» betreibt ohnehin nur die Konkurrenz. Stattdessen umreissen die Kuppler ihre Preispolitik formelhaft mit «flexibel». Tatsächlich hat sich der Preisdruck dramatisch verstärkt. Doch wie ihre Klientel in den Chefetagen der grossen Unternehmen leben ihre Exponenten zum grossen Teil von der Eitelkeit. Man gibt sich distinguiert, die traditionsreiche Egon Zehnder logiert in einer Villa am Zürichberg, das Bürodomizil von Gianella, von Egon Zehnder als Emporkömmling beargwöhnt, liegt nicht weniger herrschaftlich an feiner Adresse an den Gestaden des Zürichsees.

Dabei ist das Gewerbe, das ohnehin nicht durch einen guten Ruf glänzt, unter Beschuss geraten, seit Millionengehälter für Spitzenmanager und Verwaltungsräte ruchbar geworden sind. In den Lohnverhandlungen haben die Chefmacher zwar keine entscheidende, aber auf Grund ihrer Marktkenntnisse eine eminent wichtige Funktion. Geht es etwa um einen CEO-Posten, sitzen mit Kandidat, Verwaltungsratspräsident, Anwalt und Headhunter nur wenige Menschen am Tisch; da hat das Wort des Beraters Gewicht. Bei der Besetzung einer Topposition werden der Personal- oder der Finanzchef meist elegant umgangen.

«Grundsätzlich hat ein Headhunter alles Interesse daran, für seinen Kandidaten einen hohen Lohn herauszuholen», sagt Gianella, «ein seriöser Headhunter ist allerdings am Salär des Kandidaten nicht interessiert.» Er kritisiert damit die in den amerikanischen Executive-Search-Firmen wie Heidrick & Struggles oder Korn/Ferry übliche Regel, wonach der Berater ein Drittel des ersten Jahreslohns des Kandidaten als Honorar einstreicht. Die Vermutung, dass da der Headhunter den Lohn eines Klienten eigennützig in die Höhe treibt, liegt nahe. «Es ist eine Fehleinschätzung, dass der Headhunter hohe Kompensationen fördert. Immer mehr wünscht der Klient bei der Einstellung von Führungskräften ein ganz spezielles Portfolio von Fähigkeiten, und es ist der Klient, der den Wert dafür bestimmt», entgegnet Hans Steckling, Managing Partner von Heidrick & Struggles Schweiz.

Im Gegensatz zu Heidrick operieren Egon Zehnder, Gianella und Johansson mit fixen Honoraren. Deren Höhe wird vor Auftragserteilung festgelegt, gezahlt wird in drei Raten, gearbeitet wird bis zum Vertragsabschluss. Noch vor wenigen Jahren galten drei bis sechs Monate Suchzeit als Faustregel, heute verlangen die Klienten aber meist schon nach sechs bis acht Wochen erste Ergebnisse.

Besonders die US-Kopfjäger profitierten lange Zeit vom schnellen Personenumschlag. In den Neunzigerjahren begannen sie nach dem Motto «Masse statt Klasse» Suchaufträge anzunehmen, für die sie eigentlich zu vornehm waren. «Bodybroking» heisst das anspruchslose Geschäft mit der reinen Vermittlung mittlerer und unterer Chargen, das in den Neunzigern boomte, aber heute fast zum Erliegen gekommen ist. Wenn es noch stattfindet, so nur unter derart starkem Preisdruck, dass es sich fast nicht mehr rechnet. Heidrick & Struggles und Korn/Ferry rutschten in die roten Zahlen ab, machten Geschäftsstellen dicht, entliessen Personal. Ende Jahr schloss Heidrick das Büro in Genf. Heute ist Heidrick-Chef Hans Steckling «froh, dass mit der allgemeinen Marktberuhigung wieder mehr Wert auf Qualität gelegt wird».

Die New-Economy-Euphorie bescherte der Branche Ende der Neunzigerjahre einen beispiellosen Boom mit jährlichen Zuwachsraten von 30 bis 50 Prozent. Gnadenlos wurden die Firmen auf Wachstum getrimmt, reihenweise Berater, Assistentinnen und Researcher eingestellt, repräsentative Büros bezogen, teure Datenbanken aufgebaut. Firmen wie Egon Zehnder oder Heidrick & Struggles liessen sich ihre Beratungsleistungen neben Barem auch mit Aktien der Unternehmen verrechnen – heute meist wertlose Titel. In den USA folgte der grosse Kater Mitte 2001, in Europa im vierten Quartal. Der jüngste Branchenreport von Hunt-Scanlon meldet das schlechteste Jahr seit 1991, Economist Intelligence Unit spricht von einem Umsatzrückgang um 40 Prozent. In der Schweiz wird der Umsatzrückgang auf knapp 20 Prozent geschätzt.

Der Einbruch zwang die Grossen zur Strategieumkehr. Der Rettungsversuch heisst «Strategic Leadership-Service»: «Zusätzlich zum Executive-Search verstehen wir uns als Partner unserer Klienten. Wir helfen sowohl bei der Evaluation der Führungskompetenzen im oberen Management als auch bei der Entwicklung des Talentportfolios.» Dass dieser Wechsel vom kurz- zum langfristigen Denken und Handeln ein schwieriges Manöver ist, weiss auch Steckling: «Da haben wir manchmal einen schweren Stand.»

Als gewagt erwies sich auch der Flirt mit den Finanzmärkten. Vor drei Jahren liessen sich Heidrick & Struggles und Korn/Ferry an der Börse kotieren. Keine der kotierten Search-AGs hat bisher Aktionäre und Partner reicher gemacht. Vorausschauender agierte der grösste Schweizer Player der Branche: Egon Zehnder, immer wieder als Kandidat für einen Börsengang gehandelt, widerstand den Verlockungen, rasches Geld über die Börse zu beschaffen. «Das war nie traktandiert», sagt Thomas Hammer, der Schweizer Geschäftsführer, «und wird es auch nicht sein.» Der Zwang, Quartalsprognosen zu erfüllen und immer neue Umsatzrekorde zu erzielen, vertrage sich schlecht mit dem Qualitätsverständnis eines Beraters. Den Verheissungen der Neunzigerjahre ist Egon Zehnder indes auf andere Weise erlegen: In Spitzenzeiten kamen über 20 Prozent der Mandate aus dem Hightechsektor.

Die Quittung kam auch hier. Im Geschäftsjahr 2001, das Ende Oktober endete, sank der internationale Umsatz von Egon Zehnder um sieben Prozent auf knapp 300 Millionen US-Dollar. In der Schweiz lagen die Einnahmen leicht unter dem Vorjahresniveau von 30 Millionen Franken. Ab November letzten Jahres herrschte laut Hammer «verbreitet Ratlosigkeit», als etliche Kunden Projekte sistierten. Seit Februar beobachtet er allerdings wieder einen Aufschwung: «Viele Mandate werden wieder aktiviert, wir liegen praktisch wieder auf Vorjahresniveau.»

Interessante Jagdgründe sind derzeit vor allem Verwaltungsräte; da können die Honorare rasch in die Hunderttausende von Franken gehen. Nachdem Versäumnisse zuhauf ans Tageslicht getreten sind, werden die Schnarchgremien fast panikartig ausgewechselt. Verunsichert durch die hohen Bezüge und schlechten Leistungen ihrer Honoratioren, überdenken Firmenbesitzer und Präsidenten die Zusammensetzung ihres Strategieorgans. Während sich Heidrick & Struggles in das Feld vortastet, machte Gianella letztes Jahr den grossen Schritt, als er während der Swissair-Krise die Schweizer Verwaltungsräte lauthals kritisierte – «die beste Werbung für uns», so Gianella heute. Die Auftragslage für die Suche von Verwaltungsräten sei «exorbitant». 2001 betraf ein Viertel seiner Mandate Verwaltungsräte, heute sind es 65 Prozent. Auch bei Johansson sind die VR-Aufträge von 19 auf über 35 Prozent gestiegen.

Selten dringt nach aussen, welcher Headhunter wo die Fäden zieht. Gianella bestellte die Verwaltungsräte von Unaxis, Ciba oder Sulzer. Roger Rytz von Spencer Stuart stellte den Verwaltungsrat der SBB zusammen. Und Lokalmatador Hubertus Tschopp rekrutierte die Strategiegremien von Swisscom und Post. In den meisten Konzernen tummeln sich gleichzeitig mehrere Executive-Searcher.

«Grösse ist nicht unbedingt besser», bricht der Branchenreport der Economist Intelligence Unit mit der lange herrschenden Doktrin. Diskretion, Zugang zu den Chefetagen und das Gespür für den rechten Manager am rechten Ort lassen sich durch Volumen nicht ersetzen. Die Landkarte der Branche wird nicht nur grösser und globaler, sondern auch kleinteiliger und bunter. Gerade die Grossen betonen gerne, dass sie kraft ihres Volumens sämtliche Leistungen vom Aufspüren eines Kandidaten bis zu dessen Einstellung im eigenen Haus erbringen. Das klingt zwar gut, ist aber nicht die ganze Wahrheit.

Zahllose Researcher und Verwalter von Datenbanken bieten ihre Spürdienste an, Leistungen, die vorab die Kleinen, aber zunehmend auch die Grossen systematisch einkaufen. Birgitt Scharla gehört mit ihrer Firma Dr. B. Renz Consulting zu den wenigen selbstständigen Frauen im Metier. Die ehemalige Roche-Kaderfrau operiert mit einem Netz von freien Researchern. Das sind sechs nach Branchen und Ländern verteilte Mitarbeiter, die in Datenbanken, Medienarchiven oder über Informanten Kandidaten aufspüren und Erkundungen über sie einholen. Die ersten Schritte in der Glamourbranche sind mithin einfache, repetitive Arbeiten, mühsames Durchforsten von Datenbanken, Auswerten von Papierkram.

Solche Zulieferer gibt es viele, und nicht selten tragen gerade sie zum schlechten Ruf der Branche bei. Researcher – oftmals auch schlecht bezahlte Studenten – versuchen häufig, unter einem Vorwand an die Telefonnummer eines Kandidaten und an Informationen über ihn heranzukommen. Anschliessend erhält der Kunde eine Liste mit Details über die Personen, aus welcher er eine Auswahl trifft. Meist tritt der Headhunter erst dann in Aktion, wenn diese Vorarbeit erledigt ist, wenn überhaupt. «Hier trennt sich die Spreu vom Weizen», sagt Scharla: «Ein seriöser Headhunter macht die Erstansprache immer selber.»

Da die hohe Schule der Personalberatung mit überraschend profanen Methoden auskommt, verwundert es nicht, dass ihre Exponenten in der Selbstdarstellung die Beratung derart in den Vordergrund rücken. «Die Branche teilt sich nicht zwischen Kleinen und Grossen, sondern zwischen den Firmen, die nur vermitteln, und denen, die auch beraten und damit einen Mehrwert bieten», sagt Heidrick-Chef Hans Steckling. «Einen Kandidaten hervorzuzaubern, ist keine Kunst», sagt Thomas Hammer von Egon Zehnder, «die Kunst ist es, Profile zu erstellen und den richtigen Kandidaten am richtigen Ort zu platzieren.» Da kommt es schon mal vor, dass die Consultants von Egon Zehnder, die gemäss Hammer nicht auf Abschluss entlöhnt werden, dem Klienten mitteilen müssen, die Erledigung eines Mandats in der bestimmten Zeit sei unrealistisch. Gerade über einen solchen Fall beugt sich Hammer derzeit: In einem Unternehmen soll auf einen Schlag die ganze Geschäftsleitung ausgewechselt werden. Hammer hält dies nicht für sehr aussichtsreich und fragt sich, ob er abraten soll.
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