Die Globalisierung gerät unter Druck. In den USA macht Donald Trump Stimmung gegen den Handel mit China und kritisiert die Zuwanderung aus Mexiko. TTIP, das geplante Handelsabkommen zwischen Amerika und Europa, gilt beinahe schon als gescheitert. Und in der EU machen sich Think Tanks Gedanken, wie ein Binnenmarkt ohne Personenfreizügigkeit aussehen könnte.

Was ist los mit der Aussenwirtschaft? Hätte die globale Verflechtung nicht Vorteile für alle brignen sollen? Und was würde es den so genannten Verlierern der Globalisierung nützen, wenn die Grenzen für Güter, Investitionen und Einwanderer nun geschlossen werden? Simon Evenett, Professor für Internationalen Handel und Entwicklung an der Universtität St. Gallen, schildert in diesem Interview seine Sicht der Dinge.

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Freihandel, Kapitalverkehr, Migration: Diese Errungenschaften sind in Verruf geraten. Stimmt die Kritik, dass die Globalisierung nur den Kapitalisten und den Hochqualifizierten genützt hat?

Was stimmt, ist, dass Niedrigqualifizierte in den letzten Jahrzehnten auf dem Arbeitsmarkt schlecht gefahren sind. Ihre Löhne sind vergleichsweise wenig gewachsen, das Risiko der Arbeitslosigkeit hat zugenommen. Allerdings ist die Globalisierung nur teilweise Schuld an dieser Entwicklung. Der Hauptgrund für die Schwierigkeiten einfacher Arbeiter ist der technologische Wandel. Er hat sich zu ihren Ungunsten ausgewirkt.

Trotzdem herrscht grosse Skepsis gegenüber einer weiteren Integration der Weltwirtschaft.

Ich erkläre mir das so, dass die Menschen die Globalisierung für reversibel halten. Sie glauben, man könne die Integration der Weltwirtschaft im Gegensatz zum technischen Fortschritt rückgängig machen.

Simon Evenett ist Wirtschaftsprofessor an der Universität St. GallenLiegen sie damit richtig?

In gewissem Sinne schon. Wenn eine Erfindung in die Welt gesetzt wurde, kann man dies nicht ungeschehen machen. Auch der Informations- und Datenfluss übers Internet lässt sich kaum eindämmen. Grenzen zu schliessen, dies funktioniert in der Praxis aber sehr wohl. Staaten können den Güterhandel mit Zöllen oder Verboten einschränken. Sie können auch grenzüberschreitende Investitionen aggressiver behindern und die Migration verbieten.

Wäre das denn sinnvoll?

Ich würde davor warnen, sich die Globalisierung als allzu simplen Prozess vorzustellen. Die Volkswirtschaft ist nicht wie eine Badewanne, in die man etwas mehr oder etwas weniger heisses Wasser einlaufen lassen kann. Wenn man den Hahn der Globalisierung einmal zudreht, kommt später nicht automatisch wieder Warmwasser heraus.

Warum nicht?

Der Welthandel beruht auf Gegenseitigkeit. Die Geschichte zeigt, dass sich Handelseinschränkungen hochschaukeln können. Fängt ein Land an, Barrieren zu errichten, landet man schnell in einer Situation mit immer mehr Handelsschranken auf der ganzen Welt. Um sie wieder abzubauen, braucht es später mühsame Verhandlungen.

Wäre eine Einschränkung der Handels-, Investitions- und Migrationsflüsse wirklich so schlimm?

Als Ökonom betrachtet man tendenziell die Bewegungsfreiheit für alle Faktoren positiv. Das schliesst Güter, Kapital und Arbeitskräfte  ein. Die politische Realität ist im Moment allerdings diffizil. Die Migration steht unter Druck, wie etwa der Brexit zeigt. Vielleicht lohnt es sich, hier Einschränkungen vorzunehmen, um wenigstens die übrigen Errungenschaften zu bewahren – also den Freihandel mit End- und Zulieferprodukten sowie mit Rohstoffen oder die Freiheit für grenzüberschreitende M&A-Transaktionen und Investitionen. Auch in diesem Bereich haben Politiker den Unternehmen in den letzten Jahren Steine in den Weg gelegt, wie eine neue Untersuchung des Instituts Global Trade Alert zeigt. Das ist schade, weil man sich dadurch Wachstumschancen vergibt.

Ist das nicht auch bei Migrationseinschränkungen der Fall?

Grundsätzlich halte ich die Personenfreizügigkeit für eine sinnvolle Einrichtung. Wenn man will, dass Menschen ihre Chancen wahrnehmen und ihr Potenzial entfalten sollen, dann sollte man im europäischen Einheitsmarkt die freie Migration zulassen.

Würden einfache Arbeiter von einer Ent-Globalisierung profitieren?

Wenn man davon ausgeht, dass 80 Prozent der Ungleichheitsproblematik durch den technischen Wandel verursacht sind, dann lohnt es sich kaum, einschneidende Eingriffe bei den restlichen 20 Prozent, also bei der Globalisierung, zu machen. Man verliert dadurch viele volkswirtschaftliche Gewinne, aber hilft den unteren Schichten kaum. Eine Ent-Globalisierung beseitigt soziale Ungleichheiten nicht.

Womit denn sonst?

Wenn die Menschen wegen der fortschreitenden Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt in Probleme geraten, dann sollten wir zum Beispiel bei der Bildung ansetzen. Der Unterrichtsinhalt muss sich anpassen. Auch Universitäten müssen sich verändern. Warum müssen Studenten so viel Zeit fürs Verfassen von langen Forschungspapieren aufwenden? Wichtiger als Routine-Schreibarbeiten, die in Zukunft ohnehin Roboter erledigen, wären logisches Argumentationsvermögen und kritisches Denken.

Ist Bildung ein Allheilmittel gegen Ungleichheit?

Es dauert eine Weile, bis sich Bildungsmassnahmen in Form von höheren Löhnen oder niedriger Arbeitslosigkeit niederschlagen. Manche Jobs werden schlicht auch einfach aussterben. Das ist historisch aber normal. Berufe wie die Wäscherin oder der Kutscher verschwinden, wenn sich die Technik weiterentwickelt. Die Gesellschaft sollte allerdings versuchen, den betroffenen Menschen neue Chancen zu geben. Die Herausforderung richtet sich an die Sozialwerke: Noch mangelt es an geeigneten Umschulungs- und Aktivierungsprogrammen für Arbeitskräfte die mit der Automatisierung nicht Schritt halten können. Mit Protektionismus kommt man aber nicht schneller zum Ziel.

Die weltweiten Exporte stagnieren bei rund 30 des globalen BIP. Ist die natürliche Grenze damit erreicht?

Der Welthandel ist seit dem Fall der Berliner Mauer stetig gestiegen. Inzwischen stagniert er seit 20 Monaten. Im Normalfall würde man dies als Anzeichen für eine kommende Rezession deuten. Teils liegt die Abflachung aber auch daran, dass Unternehmen ihre Zulieferketten umstellen. Produktionsstätten rücken wieder in die Nähe der Endkonsumenten. Teils sind diese Trends aber auch Ausdruck eines zunehmenden Protektionismus: Staaten wollen Wirtschaftspolitik auf Kosten ihrer Nachbarn machen. 30 Prozent sind insofern kein natürliches Limit für den Welthandel.

Bringen grosse Abkommen wie TPP oder TTIP neuen Schwung?

Das transpazifische TPP-Abkommen wird wahrscheinlich im US-Kongress nicht ratifiziert. Dies hat sich im Verlauf der letzten Jahre bereits abgezeichnet. Die US-Unternehmen wollen den Deal – aber die Politiker wissen nicht, wie sie ihn der Bevölkerung verkaufen sollen. Beim transatlantischen TTIP-Abkommen gingen die Amerikaner sowieso nie von einem Zustandekommen aus. Hier hat die EU-Kommission viel mehr politisches Kapital investiert. Ein Scheitern dieses Abkommens würde die Handelspolitik in der EU um 5 bis 10 Jahre zurückwerfen. Auch die Abkommen mit Japan und Kanada könnten dann unter die Räder geraten.

Wie würden Sie einen Mega-Deal wie TTIP denn dem Volk verkaufen?

Die einzige Art, wie man solche Deals heute verkaufen kann, ist mit der Aussenpolitik. Ökonomische Argumente zählen im Moment nicht. Als Wissenschaftler kann man Papiere schreiben, die den Nutzen der Abkommen aufzeigen. Aber die Bevölkerung vertraut weder der Botschaft noch dem Überbringer. Diese Skepsis wird so lange anhalten, bis wir einen Weg finden, um den Arbeitsmarkt besser zu organisieren und die Sorgen der Menschen über Ungleichheit und Lohnstagnation auszuräumen.