Erinnerungen an einen gelungenen Anlass: Die Fotos der Analysten-Trophy

Er gestikuliert wenig. Sein Anzug ist dezent grau, sein Auftreten unauffällig. Doch fängt Alessandro Foletti einmal an, über Unternehmen zu referieren, ist er kaum zu stoppen: «ABB hat Potenzial, weil …» Kurze Verschnaufpause. «Sulzer ist ein guter Hedge für Ölpreiserhöhungen … kaufen.» Keine Verschnaufpause, weiter im Stakkato. «Bei Saurer, da läuft viel … abwarten, was der Hedge Fund Laxey macht.» Dass seine Kunden, allesamt institutionelle Investoren, heutzutage Wert auf Kurzfutter legen, also auf schnelle, auf den Punkt gebrachte Information, stört den ausschweifenden 38-Jährigen wenig.

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Denn Folettis Empfehlungen sind in der Finanzgemeinde gesucht, selbst in der Maxi-Version. Seit bereits vier Jahren analysiert er den Schweizer Industriesektor für die Privatbank Lombard Odier Darier Hentsch und hat, was Unternehmensbewertungen angeht, den richtigen Riecher. Als einer der ersten Analysten empfahl er den Technologietitel ABB zum Kauf, der allein im letzten Jahr um 96 Prozent gestiegen ist. Und auch mit seinen Empfehlungen für Fischer, Sulzer und SIG lag er richtig. Zum zweiten Mal schaffte es der Schweizer mit italienischen Wurzeln in die Topränge des Analystenratings, diesmal auf Platz 2.

Folettis Erfolgsrezept ist so simpel wie ungewöhnlich: «Ich versuche, die Zahlen und Fakten sauber zu analysieren, doch schliesslich kommt die Entscheidung intuitiv.» Es sei das Bauchgefühl, das ihm sage, ob er einen Titel empfehlen solle oder nicht. Auf Tuchfühlung mit Folettis Bauchgefühl jedoch können nur Grosskunden von LODH gehen, wie institutionelle Investoren, Hedge Funds oder Pensionskassenmanager. Der «gemeine» Privatanleger trifft so gut wie nie auf einen leibhaftigen Analysten, sondern nur auf ständig wechselnde mehr oder wenig bemühte Privatkunden-Betreuer, welche die Bedürfnisse des Kunden abklären, Händchen halten, wenn es an den Börsen abwärts geht, und Erklärungen suchen für die Performance von Titeln, die sie nicht selbst geordert haben. Dabei sind die Analysten dafür verantwortlich, welche Titel für die Kunden ge- und verkauft werden und welche unter Beobachtung stehen. Es lohnt sich somit für Anleger, dreimal hinzusehen, welche Renditen die einzelnen Researchabteilungen der Banken ausweisen.

Aus diesem Grund initiierte BILANZ vor drei Jahren gemeinsam mit dem Analyseunternehmen ISFA eine jährliche Untersuchung zur Qualität der Researchabteilungen von Schweizer Banken. ISFA ist spezialisiert auf die Auswertung von Analystenempfehlungen im gesamten deutschsprachigen Raum. Bei der Untersuchung handelt es sich um eine rein quantitative Erhebung mit dem Zweck zu vergleichen, welche Renditen Anleger auf Grund der Analystenempfehlungen mit ihren Aktien erzielen konnten. Jährlich wertet ISFA rund 2000 Empfehlungen von 350 Analysten aus, die sich weltweit mit Schweizer Aktien beschäftigen.

Die Liste der besten Analysten zeigt die Kaderschmieden auf, in denen die Voraussetzungen gegeben sind, um immer wieder hervorragende Analysten heranzuzüchten. Die häufigsten Gewinner stammen aus der Bank Vontobel (3), der Zürcher Kantonalbank (2), Kepler (2) und Lombard Odier Darier Hentsch (2). Nur 16 Prozent der Rangierten kommen von UBS und Credit Suisse. Mehrjährige Erfahrung in der Aktienanalyse, hervorragende Kontakte zu Unternehmen und Querdenkertum: Das alles bringen Topanalysten heute mit.

Patrik Schwendimann etwa, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank und Drittplatzierter des Analystenratings, fällt immer wieder durch seine konträren Einschätzungen auf. 2005 stufte er Hiestand und Emmi herunter. Dies ist umso erstaunlicher, als doch 2005 ein ausgesprochener «Bullenmarkt» war und jedermann auf steigende Kurse setzte. Auch Paolo Mazzoni (Platz 3) von Oppenheim setzte letztes Jahr Valora auf die «Abschussliste». Sein Gegen-den-Strom-Schwimmen wurde belohnt: Der Titel sank zum Teil um über 20 Prozent. «Ich hatte damals keine Anhaltspunkte, dem Management zu glauben, dass seine Strategien mit zusätzlichen Kunden an den Kiosken aufgehen würden», erklärt Mazzoni.

Einen völlig anderen Punkt seiner Arbeit hebt Torsten Sauter (Platz 2), Analyst der Berenberg Bank, hervor. Er habe seine Arbeit zum Hobby gemacht, so Sauter. Das gehe so weit, dass er prinzipiell viel zu früh aufstehe und viel zu spät schlafen gehe, einfach weil die Arbeit eben Spass mache.

Vor zwei Jahren betrat der Deutsche mit zarten 27 Jahren zum ersten Mal Schweizer Boden. Die deutsche Berenberg Bank hatte beschlossen, in der Schweiz mit einer ersten Brokerfiliale Fuss zu fassen, und schickte den lang gedienten Michael Heider (Platz 1) gemeinsam mit Sauter an die Schweizer Front. Die beiden mieteten sich in einem kleinen, unscheinbaren Büro in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs ein und fuhren ein halbes Jahr lang kreuz und quer durch die Schweiz, um Firmen kennen zu lernen, mit Managern zu diskutieren, geeignete Kandidaten für die Analyse herauszufiltern. Beide kannten die Unternehmen so gut wie nicht.

«Wir gingen wahrlich unbefangen an die Analyse dieser Unternehmen heran», erinnert sich Heider. Doch das sei gut gewesen, da man vollkommen bei null beginnen müsse, damit man sich ganz und gar ein eigenes Bild machen könne, ohne die Historie zu kennen.

In mehreren Fällen entpuppte sich dieses «Ins-Wasser-Werfen der Analysten» nicht zum Nachteil der Anleger, im Gegenteil. Auch Mario Davatz (Platz 1) kam wie die Jungfrau zum Kind, als er nach anderthalb Jahren bei JP Morgan in London wieder in die Heimat kam und ihm sein neuer Arbeitgeber Vontobel die Immobilien- und Elektrizitätsbranche ans Herz legte. «Nur wenige Analysten in der Schweiz hatten sich bislang mit diesem Thema beschäftigt», sagt Davatz. «Doch es macht mehr Spass, sich in eine Branche reinzuarbeiten, über die noch wenig bekannt ist, als der 50. Analyst zu sein, der über Nestlé schreibt.» Er habe viel Aufklärungsarbeit bei Investoren leisten müssen, da nur spärliches Wissen über diese Branche vorhanden gewesen sei. Doch es sei ja schliesslich sein Job, zu überzeugen und Mehrwert zu erzielen.

Dieser Mehrwert wird jedoch nicht von allen Researchabteilungen gleichermassen gewährleistet. Ein Vergleich der Ergebnisse über die letzten drei Jahre zeigt auf, welch enorme Renditeunterschiede zwischen den besten und den schlechtesten Analyseabteilungen möglich sind (siehe PDF «Die besten Researchhäuser 2005»). Und es sind erstaunlicherweise nicht die grossen heimischen Institute, die konstant gute Leistungen erbringen, sondern ausländische Institute und Schweizer Privatbanken. So liess etwa Helvea die Konkurrenz weit hinter sich, ein völlig unbekannter Name für Branchenfremde. Es handelt sich um die Researchabteilung der Bank Pictet, die sich 2002 selbständig gemacht hat.

Mit ihren Empfehlungen erzielten die 14 Mannen vom Genfersee letztes Jahr eine Outperformance von 16,34 Prozent gegenüber dem Vergleichsindex SMI. Oder anders ausgedrückt: Helvea-Kunden konnten auf ihren Aktienanlagen ein fettes Plus von rund 50 Prozent verzeichnen (Outperformance von 16,34 Prozent plus 33,2 Prozent SMI). Und auch im Langfristvergleich schneidet das kleine Start-up-Unternehmen unter der Führung von Tim Dawson (siehe Nebenartikel «Helvea: bestes Researchhaus in zwei Kategorien: Wir versuchen herauszufinden, wie CEO denken») hervorragend ab. So notierte Helvea in den BILANZ-Auswertungen der letzten drei Jahre auf den Plätzen 1, 3 und 7. Ebenfalls eine konstant gute Leistung während der vorangegangenen Jahre erzielte die Basler Bank Sarasin. Allein dieses Jahr konnten die Rheinknie-Analysten eine Überrendite von 13,13 Prozent erzielen. Nur die Zürcher Bank Vontobel schwächelte in den vergangenen Jahren und konnte sich erstmals in diesem Jahr auf den 2. Platz hocharbeiten (Analyse von Big-Cap-Titeln).

Bei genauerer Betrachtung der BILANZ-Auswertung breitet sich Ernüchterung aus. So schwimmt eine grosse Anzahl an Banken im Research-Tummelbecken mit, verdient gutes Geld mit ihren Empfehlungen, liefert jedoch miserable Renditen. In der Kategorie B der Analyse von SMI-Titeln vermochten nur die sechs Erstplatzierten den Index zu schlagen. Alle anderen lagen darunter oder erscheinen gar nicht mehr auf der Liste. Und auch bei der Analyse von Small und Mid Caps erzielten die wenigsten Institute eine ansprechende Überrendite. Noch schlimmer sah es die Jahre zuvor aus, wo eine Überrendite im Vergleich zum Index bei den meisten Banken mit der Lupe gesucht werden muss. Hier wären Anleger mit einer Passivstrategie, das heisst mit Investments in Indexprodukte, deutlich besser gefahren: Die Kosten wären niedriger, die Rendite höher gewesen.

Auch die beiden Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse fielen in den letzten Jahren mehr durch Abwesenheit in den vorderen Rängen als durch ihre genialen Investmenttipps auf. Sowohl 2003 als auch 2004 schafften es weder die UBS noch die Credit Suisse in die Top-Ten-Liste für Big-Cap-Analyse. Nur die kleine Small-und-Mid-Caps-Analystentruppe der Credit Suisse, die mit den «letzten Samurai» noch in Zürich ist und nicht wie alle anderen nach London verfrachtet wurde, konnte dieses Jahr mit dem ersten Platz eine Punktlandung erzielen.

Was macht also die Guten gut und was die Schlechten schlecht? Die angefragten Spezialisten und Insider sind sich nicht einig über die Gründe. Am häufigsten fallen Erklärungen wie «Interessenkonflikte» und «zu hohe bürokratische Hürden». Will ein Analyst der UBS beispielsweise das Rating für ein Unternehmen ändern, muss sein Bericht von vier (!) Instanzen (dem Teamleiter, dem Chef Research Inland, dem Sektor-Zuständigen und natürlich den Verantwortlichen in London) gutgeheissen werden, bevor das Papier noch einmal zum Boxenstopp zur Rechtsabteilung geschickt und auf eventuelle juristische Fallstricke hin
seziert wird.

«So kommt es dann eben so weit, dass sich Analysten dreimal überlegen, ob sie die Ratings ändern wollen», erklärt ein Ex-UBS-Analyst hinter vorgehaltener Hand. «Lassen die Analysten einen Titel auf ‹hold›, haben sie keinen Mehraufwand und gehen kein Risiko ein, sowohl wenn der Kurs steigt als auch wenn er sinkt.» Ein bürokratischer Spiessrutenlauf, den selbst die so vorsichtigen grossen angelsächsischen Banken nicht kennen, obwohl diese, klagegeprüft, jedes Papierscharmützel ihrer Mitarbeiter zweimal durchleuchten.

Auch Interessenkonflikte scheinen heute noch (immer) nicht ausgeräumt zu sein. Sell-Side-Analysten kommen häufig bei Börsengeschäften, etwa einem Börsengang oder bei Kapitalerhöhungen, zum Einsatz. Die eigene Bank, sprich die Investment-Banking-Sparte, verdient viel Geld mit diesen Transaktionen, kann also keine negativen Ratings der Analysten gebrauchen. Als jüngstes Beispiel zweifelhafter Researchleistungen von Schweizer Analysten dient das Softwareunternehmen Esmertec (siehe BILANZ 11/06). Alle drei Analysten, deren Banken beim Börsengang beteiligt waren, UBS, Sarasin und Deutsche Bank, bewerteten das Unternehmen positiv. In der Folge schrumpfte der Börsenwert von Esmertec innerhalb eines halben Jahres um drei Viertel seines ursprünglichen Werts. Für diese «Gefälligkeitsanalysen» erhalten die Analysten dieser Bank, wie in Hollywood, die goldene Zitrone verleiht.