Scott Farquhar hat grosse Pläne: Der Co-Gründer des britischen Softwareunternehmens Atlassian will seinem Team im australischen Sydney nicht einfach nur eine neue Firmenzentrale bauen. Das Unternehmen wolle ein Aushängeschild «für die Welt von morgen, für die Zukunft des Arbeitens» schaffen, verkündete Farquhar bei der Vorstellung der Baupläne im vergangenen Jahr.
25'000 Menschen sollen zukünftig auf 40 Stockwerken und in bis zu 180 Metern Höhe in der Nähe von Sydneys Hauptbahnhof arbeiten. Das Besondere an dem Gebäude: Es wird zum grössten Teil aus Holz gebaut statt aus Beton. Und damit bei Fertigstellung im Jahr 2025 wohl einen neuen Rekord aufstellen, als das höchste Holzhochhaus der Welt.
Ausgemacht ist das allerdings noch nicht: Denn Architekten auf der ganzen Welt haben den Holzhochbau als neues Trendthema für sich entdeckt und sind auf Rekordjagd. Während im klassischen Stahlbetonbau die Höhenrekorde mit Bauten von mehr als 800 Metern Höhe bereits weitgehend ausgereizt sind, haben Architekten und Baustatiker gerade erst begonnen, die Grenzen des Holzbaus in der Höhe auszutesten – der bisherige Höhenrekord liegt bei gerade einmal 85 Metern.
In den kommenden Jahren sollen gleich mehrere Bürotürme zwischen 100 und 200 Metern Höhe entstehen. Das aktuell ehrgeizigste Projekt hat sich der japanische Baukonzern Sumitomo mit dem 350 Meter hohen Holzhochhaus Plyscraper W350 in Tokio vorgenommen – im Jahr 2041 soll es fertiggestellt werden und dem Unternehmen mit dem Höhenrekord ein Denkmal zum dann anstehenden 350-jährigen Firmenbestehen setzen.
Wenig Erfahrung mit Holz-Bürotürmen
Wer zeigen will, dass er die Zeichen der Zeit erkannt hat, setzt beim Bau von Firmenzentralen und Bürotürmen also nun auf Holz statt auf Stahlbeton. «Zurzeit gibt es kaum noch eine Ausschreibung oder einen Architekturwettbewerb, bei dem sich nicht mindestens ein Büro mit einem Holzbau-Entwurf bewirbt», berichtet Peter Wicki. Der Architekt ist Leiter der Entwicklung beim Immobilienunternehmen Zug Estates, das als Ausgliederung aus dem Industriekonglomerat Metall Zug hervorgegangen ist und zwei ehemalige Industrie-Areale am Zugersee besitzt.
Die Unternehmerfamilien hatten ihrer Ausgründung zwei Aufgaben mitgegeben: Innovativ soll sie bauen. Und nachhaltig. «Das Bauen mit Holz erfüllt für uns beide Kriterien», sagt Wicki. Denn während die Herstellung von Beton viel Energie und natürliche Ressourcen verbraucht und daher als Klimakiller gilt, bindet Holz als natürlicher, nachwachsender Rohstoff beim Bau sogar CO₂. Zug Estates hat das Ziel, beide Areale klimaneutral zu betreiben – da lag es nahe, auch beim Bau schon den CO₂-Fussabdruck der Gebäude zu reduzieren.
Wer mit Holz baut, möchte meist, dass man das auch sieht – die Holzbauteile sollen sicht- und fühlbar sein, zumal sie auch zu einem angenehmen Raumklima beitragen. Wenn tragende Wände und Decken aus Holzbauteilenbestehen, müssen sie aber oft mit nichtbrennbaren Materialien verkleidet werden.
Aktuell ist es teurer, mit Holz statt Beton zu bauen. Die Immobilienentwicklungsgesellschaft Zug Estates kalkuliert etwa mit Mehrkosten von rund 5 Prozent bei den Gesamtinvestitionen für den Bau ihres aktuell geplanten Holzhochhauses in Zug.
Bislang werden im Holzbau vorallem Nadelhölzer, etwa Fichte, eingesetzt. Doch mit dem Trend zum Holzhochhaus stehen nun auch Laubhölzer wie die Buche hoch im Kurs: Das Holz ist dichter und stabiler. Dadurch gewinnen Architekten mehr Freiheiten in der Gestaltung.
«Für uns war aber fast genauso wichtig, dass es sich mit Holz besonders schnell und effizient bauen lässt», erklärt Wicki. «Der Holzbau ist aus unserer Sicht ein Innovationstreiber auf der Baustelle.» Der Bau laufe mit Holz insgesamt schneller und man könne früher vermieten – auch wenn Holz noch ein paar Prozent teurer ist als Stahlbetonbauten.
Viele Bauherren, berichtet Wicki, hätten sich trotz solchen Vorteilen in den vergangenen Jahren noch nicht herangetraut an Holzbauprojekte. Denn: «Es fehlt einfach noch an Erfahrungen mit dieser Bauweise und es gibt gewisse Vorbehalte, die man erst einmal ausräumen muss.» Lange waren hohe Gebäude in Holzbauweise in der Schweiz – wie in vielen anderen Ländern – nämlich gar nicht erlaubt.
Der wichtigste Grund: Brandschutzvorschriften. Erst seit dem Jahr 2015 darf man in der Schweiz überhaupt Holzhäuser mit mehr als sechs Geschossen bauen. «Eigentlich weiss man schon lange, dass moderne Holzbau-Elemente im Brandschutz kein Problem sind», sagt Wicki. Beim ersten Holzhochhaus hat Zug Estates noch auf eine Hybridbauweise gesetzt: Die Gebäude haben einen Kern aus Stahlbeton, der die umliegende Konstruktion aus Holzträgern stützt. Und um den Schallschutz zu gewährleisten, habe man die Böden auf eine zusätzliche Unterlage gestellt. «Inzwischen wissen wir: Das wäre nicht nötig gewesen», sagt Wicki. Holzhochhaus Nummer drei bekommt also nun auch einen Kern aus Holz und verzichtet auf Unterlegböden
Image-Vorteil für Bauherren
Mit jedem neuen Holzhochhaus, das weltweit gebaut wird, lerne man dazu, sagt Andrea Frangi. Er ist Professor für Holzbau am Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich. Sein Team begleitet und berät aktuell mehrere Holzbauprojekte. «In der Konstruktion, aber auch bei den eingesetzten Baustoffen passieren gerade sehr viele Innovationen», berichtet er.
So werde beispielsweise statt Nadelhölzern neuerdings auch Laubholz als Baumaterial eingesetzt, das noch stärker ist als die bisher üblichen Fichtenhölzer. «Wir haben in der Region insgesamt sehr gute Voraussetzungen, uns an die Spitze des aktuellen, weltweiten Holzbautrends zu setzen und die Innovation voranzutreiben», sagt er.
Denn in der Schweiz, in Deutschland und Österreich gebe es besonders viele Holzbau-Unternehmen. Die haben zwar vor allem Erfahrung im Wohn- und Hallenbau – doch ihr Wissen lässt sich auf den Hochhausbau übertragen. «Wenn wir damit beginnen, regionales Holz zu nutzen, statt es zu importieren, können wir noch nachhaltiger bauen», sagt Frangi.
Für Bauherren bringe das einen weiteren Vorteil mit sich: «Wenn ich in der Schweiz zum Beispiel ein Bürohochhaus bauen will, bekomme ich es oft mit Anwohnerprotesten zu tun», sagt der Holzbauexperte. «Wenn ich aber sagen kann: Wir bauen ein nachhaltiges, CO₂-neutrales Gebäude aus regionalen Rohstoffen, dann steigt damit auch die Akzeptanz.»
Das wiederum zahle auf das Firmenimage ein und sorge dafür, dass sich Baupläne schneller realisieren lassen. Insofern: «Ja, es ist heute noch in mancher Hinsicht ein Wagnis, ein Holzhochhaus zu bauen, weil wir noch am Anfang der Entwicklung stehen und sicher manche Dinge noch optimieren können», sagt Frangi. «Aber gerade für Firmen, Planer und Bauherren, die sich als zukunftsgewandt präsentieren wollen, kann es sich lohnen, Holzbaupionier zu werden.»