Herr Dainese, welche Gefühle herrschen bei Ihnen bezüglich des neuen Jahres vor?
Timo Dainese*: Ich bin verhalten zuversichtlich und glaube, dass sich die Situation rund um die Pandemie entspannen wird, vor allem im zweiten Halbjahr. Dann dürften sich die Unternehmensergebnisse deutlich verbessern im Vergleich zu den Zahlen von diesem Jahr.
Was heisst das für die Aktienmärkte?
Ich erwarte eine Rendite im Bereich von fünf bis zehn Prozent.
Welche Risiken drohen?
Die Weltwirtschaft ist stark vom Konsum und der Investitionsfreudigkeit der Unternehmen getrieben. Die Pandemie könnte hier Spielverderber sein – etwa, wenn weitere Mutationen auftreten und die Impfstoffe nicht wie erhofft wirken.
Und sonst?
Es können immer völlig unerwartete Ereignisse eintreten, wie das 2020 der Fall war. Ein Risiko ist auch die grosse Verschuldung der Staaten. Diese spielt aber bei den gegenwärtig tiefen Zinsen kaum eine Rolle.
Wo sehen Sie die grössten Chancen für die Finanzmärkte?
Diese bestehen darin, dass sich das Leben auf diesem Planeten normalisiert und die alte Realität ein Stück weit zurückkehrt. Es könnte einen Nachholbedarf geben, der zu einem deutlich überdurchschnittlichen Wachstum führt.
Die Geldpolitik der Notenbanken ist sehr locker. Welchen Einfluss hat das?
Die expansive Geldpolitik wird anhalten und die Zinsen werden weiterhin historisch tief bleiben. Viele Obligationen von guten Schuldnern sind darum unattraktiv, weil sie real oder sogar nominell negativ verzinst werden. Das treibt die Leute in die Aktien, was diesen zusätzlichen Schub gibt. Das führt dazu, dass auch Leute Aktien besitzen, die das eigentlich nicht tun sollten.
Sie reden von Blasenbildung?
Durchaus, das könnte drohen - auch wenn wir heute noch nicht soweit sind.
Was erwarten Sie punkto Inflation?
Die amerikanische Notenbank hat ja verkündet, dass sie sich dem Zielband von Null bis zwei Prozent nur noch langfristig verpflichtet sieht und darum vorübergehend auch eine Teuerung von über zwei Prozent zulassen wird. Wir rechnen damit, dass die Inflation gegen Ende 2021 ansteigen könnte, wenn es wirtschaftlich gut läuft. Aber grosse Auswirkungen wird das noch kaum haben.
Wie steht es um den Handelskrieg zwischen den USA und China?
Dieser bleibt ein Thema. Der neue US-Präsident Joe Biden wird da sicher hart bleiben. Aber die Rhetorik wird wohl etwas sanfter als unter Trump werden.
Zum Jahresende überprüfen viele Privatanleger ihr Portfolio. Auf was sollten sie dabei achten?
Um mit der Währung zu beginnen: Ich glaube, dass der Schweizer Franken weiterhin stark bleiben wird. Darum sind generell Anlagen in Schweizer Franken zu empfehlen. Bei den Obligationen sollte man darauf achten, dass sie keine Negativrendite erzeugen. Dazu muss man die richtigen Unternehmensanleihen ins Portfolio nehmen – oder verstärkt in Aktien investieren. Das Risikogefüge sollte aber immer noch passen.
Was empfehlen Sie punkto Aktien?
Es gilt, auf eine gute Mischung zu achten. Einerseits sollte man defensive einheimische Werte berücksichtigen, die gute Dividenden abwerfen. Novartis und Roche haben hier sicher noch Potential nach oben, aber auch Nestlé und LafargeHolcim. Andererseits empfehlen sich europäische und amerikanische Titel - etwa solche, die vom Digitalisierungstrend besonders profitieren.
Welche Sektoren sind vielversprechend?
Die Versicherungen gefallen mir gut. Hier hat die Erholung noch nicht so stark stattgefunden wie in anderen Segmenten. Ich denke an Swiss Life, Axa oder Zurich.
Und sonst?
Der Bereich Infrastruktur ist ebenfalls interessant. Orpea zum Beispiel ist eine französische Firma, die Seniorenheime betriebt.
Weitere Aktientipps?
HBM Healthcare, die Schweizer Beteiligungsgesellschaft im Gesundheitssektor, macht mir einen guten Eindruck, ebenso wie der Softwarekonzern SAP.
Welche Regionen sind vielversprechend?
Generell sind Firmen interessant, die in Asien ein starkes Standbein haben. Denn Asien wird künftig der Motor der Weltwirtschaft sein. Favorit unter den asiatischen Ländern ist Indien. Dort befinden sich Hunderte von Millionen Menschen auf dem Weg aus der Armut in die Mittelschicht. Wenn es das Risikoprofil zulässt, sollte man indische Aktien ins Portfolio nehmen, zum Beispiel über einen Fonds oder einen ETF.
Von was lässt man lieber die Finger?
Von Unternehmen, die schon extrem hoch bewertet sind. Ich denke etwa an das amerikanische Software-Unternehmen Salesforce, das jetzt in den Dow-Jones-Index aufgenommen wurde. Oder auch an die US-Techfirma Snowflake.
Welche Technologie-Firmen sind besser?
In Amerika sind es die grossen Titanen, wie Apple, Microsoft, Google oder Facebook. In Asien Samsung, Tencent oder Alibaba. Technologie-Aktien gehören heute in jedes Portfolio, aber man muss sehr selektiv auswählen. Generell ist wichtig, dass die Anleger stets ihre Risikofähigkeit im Auge behalten.