Sie bekämpften sich bis aufs Blut. Sie lieferten sich die grossen politischen Gefechte zu den zentralen Themen der neunziger Jahre: zur Europa- und Wirtschaftspolitik. Christoph Blocher und Peter Bodenmann, die Antipoden der Schweizer Politik, setzten auch im persönlichen Umgang Massstäbe. SP-Chef Bodenmann inszenierte eine wilde Kampagne gegen den Industriellen wegen Lohndumpings, SVP-Leitwolf Blocher zwang den heutigen Staatsrat zum Geständnis, seine Familie sei mehrere Millionen schwer.

Jetzt führt ausgerechnet ein Merger die beiden temperamentvollen Supertaktiker zusammen: Durch die Fusion von Viag und Alusuisse-Lonza stösst Ems-Besitzer Blocher ins Machtzentrum eines europäischen Industriekonzerns vor. Als designierter Verwaltungsrat wird er die Zukunft des grössten Arbeitgebers im Wallis mitbestimmen. Zudem bringen die Münchner eine Mitgift in die Ehe, die brisant ist: die Beteiligung an den Schweizer Elektrizitätsunternehmen Watt und Motor Columbus. Bei Watt ist Viag via Bayernwerk mit knapp 25 Prozent, bei Motor Columbus via Hypo Vereinsbank/Hypo-Bank Bäch mit 15 Prozent engagiert. Der neue Konzern, der im Wallis Kraftwerke betreibt, wird zum bestimmenden Faktor auf dem Schweizer Strommarkt.

Für den Walliser Sozial- und Energieminister Bodenmann hat der Deal damit doppelte Bedeutung. Die Investitionspolitik des Unternehmens wirkt sich direkt auf den regionalen Arbeitsmarkt aus. Als Kraftwerkbetreiber wird Viag-Alusuisse bei der bevorstehenden Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes eine wichtige Rolle spielen. Eine Einnahmequelle des Kantons, die Wasserkraft, droht nämlich zu versiegen. Das Bilanz-Streitgespräch zeigt die andere Seite von Blocher und Bodenmann. Blocher ist pragmatischer, als sein politischer Duktus erahnen lässt. Als Politiker bekämpft er Eingriffe des Staates in die Wirtschaft, als Manager sitzt er plötzlich an den Schalthebeln eines unter staatlichem Einfluss stehenden Unternehmens. Bodenmann wiederum lässt sich bei der Beurteilung realer Wirtschaftsabläufe nicht durch ideologische Scheuklappen behindern. Das böse Wort vom Ausverkauf der Heimat mochte er trotz der «indirekten Übernahme der Algroup» durch die Deutschen (NZZ) nicht in den Mund nehmen. Für einmal waren sich die beiden sogar einig: Der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber betreibe eine vorbildliche Wirtschaftspolitik.

BILANZ: Herr Blocher, Sie gehören zu den treibenden Kräften der geplanten Fusion von Algroup und Viag. Welchen Sinn macht es, wenn sich ein gesundes Schweizer Unternehmen in die Arme der Deutschen wirft?
Christoph Blocher:
Alusuisse besitzt beim Aluminium und bei der Verpackung einen zu kleinen Marktanteil. Es gibt drei Möglichkeiten, dieses Manko auszumerzen. Erstens: aus eigener Kraft massiv zu wachsen. Konzernchef Marchionne hat schon 1997 erklärt, dass Alusuisse innert dreier Jahre den Umsatz auf 15 Milliarden Franken verdoppeln müsse - aus eigener Kraft ist dies nicht möglich. Zweitens: durch Akquisition. Alusuisse hat bereits sehr viel dazugekauft, die Lonza zum Beispiel. Das ist auch kein Weg. Drittens: eine Kooperation. Viag erwies sich als die beste Lösung, um die nötige Stärke zu erreichen.

Ihr industrielles Credo lautete bisher Fokussierung und Kernkompetenz. Grösse sei für Sie kein Kriterium, haben Sie noch letztes Jahr behauptet.
Was ich damals gesagt habe, gilt nach wie vor. Alusuisse leidet nicht an mangelnder Grösse. Sie muss beim Aluminium und bei der Verpackung ihre Marktstellung verbessern. Das ist tatsächlich identisch mit einer Umsatzausweitung. Marchionnes Strategie basiert auf Fokussierung, wenn er sagt: Unsere Bereiche müssen Klassenbeste sein. Wer nicht Klassenbester ist, für den müssen wir einen neuen Eigentümer suchen.

Für Lonza böte sich Ems-Chemie an.
Diese Absicht hege ich nicht, und ich wäre auch dazu nicht in der Lage.

Doch Ems liesse sich in die Lonza einbringen.
Das brächte auch nichts. Auch das haben wir geprüft.

Haben Sie nie daran gedacht, Kasse zu machen?
Die Alusuisse-Beteiligung liegt in der Ems-Chemie Holding. Wir wussten anfangs nicht, ob dies eine reine Finanzanlage oder eine industrielle Beteiligung sein wird. Denn ich hatte die Schwäche der Alusuisse erkannt. Jetzt erfolgt kein Verkauf, es wird also eine industrielle Beteiligung von Ems, und darum trete ich auch in die Führung ein.

Wie beurteilen Sie den Deal als Walliser Staatsrat, Herr Bodenmann?
Peter Bodenmann:
Uns überrascht eines: Da schliesst sich ein relativ gut rentierender Schweizer Konzern mit einem relativ schlecht rentierenden, staatlich kontrollierten deutschen Konzern zusammen, der über eine ganz andere Betriebskultur verfügt. Über alles gesehen, ist nicht gesagt, dass für den Industriestandort Schweiz der künftige Konzernchef Simson im Vergleich zu Marchionne ein Nachteil ist. Auch in der internen Konkurrenz stehen die Schweizer Werke womöglich besser da als die deutschen.

Blocher: Das glaube ich auch.

Bodenmann: Die grosse Frage ist: Welche Rolle werden der Freistaat Bayern und seine Banken spielen? Und wie verhalten sich die deutschen Gewerkschaften, die künftig mit Herrn Blocher zusammen im Aufsichtsrat fleissig Mitbestimmung üben?

BILANZ: Das tönt sehr staatsmännisch. Bei Novartis und UBS kritisierten die Sozialdemokraten noch die Shareholder-value-Manie der Manager.
Bodenmann:
Es wird nicht leicht sein, Zitate von mir zu finden, die sich gegen Fusionen richten. In der Regel haben Fusionen weniger gebracht als erwartet. Im konkreten Fall ist das Rennen offen. Vielleicht gibt man eines Tages Herrn Blocher die Chemie, die Deutschen übernehmen die Energie, und ein Dritter kauft den Aluminiumbereich.

Blocher: Dieses Szenario können Sie ausschliessen. Es besteht keinerlei Absicht in dieser Richtung. Im übrigen: Viag ist längst kein Staatsbetrieb mehr.

Bodenmann: Über die Viag-Tochter Bayernwerk gehören dem neuen Konzern im Wallis künftig Kraftwerkanlagen. Viag ist ja an der Watt AG und an Motor Columbus beteiligt. Wenn die Schweizer Banken euch ihre strategischen Strom-Beteiligungen auch noch verkaufen, kontrollieren die Bayernwerke den Schweizer Energiesektor. Das ist nicht zu bestreiten.

Blocher: Die Energie war nicht der Grund für die Fusion. Die Alusuisse interessiert der industrielle Teil, der im wesentlichen von Zürich aus geleitet wird: Feinchemie, Aluminium und Verpackung.

Bodenmann: Die grossen Chemie-Umsätze fallen jedoch in Deutschland an.

Blocher: Wir betrachten den Gewinn. Sie reden schon wie die Deutschen, die auch immer nur den Umsatz im Kopf haben.

Bodenmann: Wir haben das Gefühl, die Deutschen werden mit ihrem industriepolitisch-sozialpartnerschaftlichen Ansatz einen mässigenden Einfluss auf Marchionne, Ebner und Blocher haben.

Blocher: Die Deutschen haben selber gemerkt, dass der Konzern ertragsschwach ist. Sie verkaufen die Logistiksparte, weil Viag zu breit gefächert ist. Zudem will die bayrische Landesregierung ihre Beteiligung abstossen.

Bodenmann: Faszinierend ist: In Bayern ist die Verflechtung von Politik und Wirtschaft ausgeprägt wie nirgendwo in Europa. Die bayrische CSU hat ein intakteres Verhältnis zur direkten Intervention des Staates auf ökonomischer Ebene als die übrige Sozialdemokratie in Westeuropa. Faktisch hat der Staat bisher Viag kontrolliert und wird weiterhin eine beachtliche Kontrolle ausüben. Wenn sich ausgerechnet harte Schweizer Shareholder-value-Verfechter mit den Bayern zusammentun, spricht dies für einen bemerkenswerten Pragmatismus im Umgang mit der Industrierealität in Europa.

Blocher: Es ist ja interessant, dass Sie die CSU praktisch zur Sozialdemokratie zählen. Viag war tatsächlich ein schwerfälliger Staatsbetrieb und hat deshalb nicht funktioniert. Nicht umsonst hat der Staat die Privatisierung vollzogen. Bayern wird nach der Fusion noch einen Anteil von rund 16 Prozent halten. Die CSU weiss auch, dass sie den Firmen ihre Freiheit gewähren muss. Es existieren keine sozialistischen Konzepte für die Betriebsführung. Ich hätte nie mitgemacht, wenn der Staat die Mehrheit an der Viag halten würde.

BILANZ: Herr Bodenmann, bisher war Herr Blocher Ihr Feindbild, weil er in Ems die Löhne gedrückt haben soll. Künftig spielt er den Garanten für die Arbeitsplätze des grössten Industriebetriebs im Wallis. Sie scheinen darüber nicht unglücklich zu sein.
Bodenmann:
Ich habe mich nicht darüber geäussert, ob wir glücklich sind oder nicht. Es gibt einen Challenge für den Aufsichtsrat. Man wird sehen, ob man im Aluminiumbereich mehr machen kann als bisher. Die grosse Frage lautet: Wird in die besten Werke investiert? Da sieht es für das Wallis nicht schlecht aus. Oder führt es zu einer Demontage der Firma und zu einseitigen Vorteilen für die Aktionäre? Auf alle Fälle ist es eine spannende Geschichte.

Blocher: Wenn die Schweiz ordnungspolitisch keine Dummheiten macht und die lokalen Kader gut arbeiten, haben beide Walliser Betriebe grosse Wachstumschancen. Doch Chemie und Aluminium sind sehr energieintensiv. Leider hat der Bund Pläne, die Energie um 30 bis 40 Prozent zu verteuern.

Bodenmann: Faktisch gesehen enthält das Energiepaket des künftigen Konzerns 1,2 bis 1,3 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Wasserkraft. Alle Bestrebungen der Alpenkantone, von Rot-Grün und von vernünftigen Bürgerlichen tendieren dahin, die Wasserkraft zu entlasten, also für diese Werke einen Standortvorteil zu schaffen. Werden die nichterneuerbaren Energien fiskalisch verteuert, so unter einer Bedingung: Für die energieintensiven Betriebe müssen Sonderregelungen gefunden werden, und zwar bis auf das Niveau der einzelnen Produktionslinien hinunter. Die Schweiz ist intelligent genug, den Standort nicht zu verschlechtern, wenn man in einem internationalen Wettbewerb steht.

Blocher: Ich höre die Botschaft, doch mir fehlt der Glaube. Die Befürworter von Energiesteuern wollen die energieintensiven Betriebe treffen. Das ist der Zweck der Übung. Sie sind Lobbyist auf zwei Seiten. Die Alpen-Opec sagt sich: Wenn Öl und Gas verteuert werden, können wir den Strompreis, den Wasserzins auch erhöhen. Wir brauchen deshalb möglichst viele von Ihnen aus gesehen «unvernünftige» Bürgerliche, Herr Bodenmann. «Unvernünftig» heisst: liberal und marktgerecht politisieren.

Bodenmann: Wer sich mit einem bayrischen Staatskonzern zusammentut, sollte sich in dieser Frage etwas vorsichtiger äussern.

Blocher: Ich kenne keinen bayrischen Staatskonzern, mit dem wir uns zusammenschliessen.

BILANZ: Herr Bodenmann, Sie haben ein Strategiepapier verfasst und wollen die SP stärker links positionieren. Post, Swisscom und SBB sollen wieder an die Kandare der Politik genommen werden.
Bodenmann:
Erfolg oder Misserfolg einer nationalen Wirtschaftspolitik misst sich am nachhaltigen Wachstum. Es entsteht, wenn die Nationalbank einen vernünftigen Kurs verfolgt, die Kaufkraft der Leute steigt und der Staat eine halbwegs intelligente Politik betreibt. Konzentriert sich die Schweiz auf die Frage, wo sie noch irgend etwas sparen kann, oder verfolgt sie eine Wachstumsstrategie? Die Staatsbetriebe müssen einfach produktiver werden. Den Bahnen muss beigebracht werden, dass man auch Kistchen von Nord nach Süd und umgekehrt transportieren kann, ohne prohibitive Preise zu verlangen.

BILANZ: Herr Blocher, Sie wollen über Steuersenkungen die Wirtschaft ankurbeln. Doch beim bundesrätlichen Stabilisierungsprogramm haben Sie mitgemacht, obwohl es höhere Abgaben enthält.
Blocher:
Mit dem Stabilisierungsprogramm sind alle Steuererhöhungspläne der Regierung gekippt worden. Aber wir mussten eine bittere Pille schlucken, das dritte Lohnprozent der Arbeitslosenversicherung für vier Jahre. Herr Bodenmann, es ist eine Dummheit zu behaupten, allein das Wachstum sei entscheidend. Es ist nichts leichter, als Wachstum zu erzeugen und gleichzeitig in eine Katastrophe hineinzulaufen, wie das asiatische Beispiel zeigt. Auch das fehlende Wachstum der neunziger Jahre war in der Schweiz zum Teil auf die faulen Kredite zurückzuführen, die in den achtziger Jahren reichlich gesprochen wurden. Ich warne deshalb vor einem Wachstum um jeden Preis und mit Staatsmitteln. Da müssen Sie nachher die Steuern erhöhen. Wirtschaftlich geht es der Schweiz wesentlich besser als den Nachbarstaaten, obwohl sie höhere Wachstumsraten verzeichneten.

Bodenmann: Es wäre doch sinnvoll, wenn wir in der Schweiz ein Wachstum von zwei bis drei Prozent hätten. Die Bayern sagen sich: Wir sorgen dafür, dass der Aktienkurs von Viag steigt, indem wir eine andere Firma kaufen. Dann nehmen wir das Geld heraus und verwenden es für die Technologiepolitik. Erstaunlicherweise macht die bayrische CSU eine gute Industriepolitik.

Blocher: Die Bayern sind sehr wirtschaftsfreundlich, indem sie den Unternehmen die Freiheit lassen. Die schweizerischen Sozialdemokraten aber wollen die Wirtschaft fördern, indem sie sie unter die Knute nehmen.

Bodenmann: Es gibt zwei Christoph Blocher. Immer wenn man relativ nahe an den betriebswirtschaftlichen Fragen diskutiert, tönt es vernünftig. Sobald man das politische Terrain betritt, wird es etwas aufgeregt.

Blocher: Über Ihre Politik muss man sich ja aufregen!

Bodenmann: Im Gegensatz zur Schweiz macht Bayern eine sehr interventionistische Technologiepolitik. Einzelne Projekte werden auch mit gutem Erfolg massiv gefördert. Es gibt auch rechts Leute, die begriffen haben, dass ein enges Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft sinnvoll und der Gegensatz, der politisch aufgebaut wird, absolut irrelevant ist. Nur für die Rechten in der Schweiz ist Umverteilung wichtiger als Beschäftigungspolitik.

Blocher: Ich habe nie behauptet, Wachstum sei nicht wichtig. Aber Wachstum allein ist nicht entscheidend.

BILANZ: Machtpolitisch stehen Sie im Abseits, Herr Blocher. Bei der LSVA und der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs folgte das Volk Bundesrat Leuenberger, nicht Ihnen. Das Verkehrsabkommen mit der EU steht, obwohl es Ihnen nicht passt.
Blocher:
Ich bedaure diese Niederlage und vor allem die ordnungspolitische Verluderung. Es sind massive Steuererhöhungen beschlossen worden, die unsere Konkurrenzfähigkeit verschlechtern. Dafür tragen die Linke und ihre Helfer die Verantwortung.

Bodenmann: Herr Blochers politisches Projekt war, die europäische Integration der Schweiz zu verhindern. Die kommt jetzt mit Verspätung, schrittweise. Die SP hat die Verkehrspolitik in den letzten Jahren konzeptionell bestimmt. Mit der jetzigen Preissituation und den Zugeständnissen im Verkehrsabkommen wächst der Druck auf den Gotthard. Die Bahnen müssen lernen, günstiger zu transportieren. Dieser Challenge läuft. Wenn er nicht gelingt, hat die politische Linke effektiv ein Eigentor geschossen.

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