In den vergangenen Wochen stand die Welt von Peter Grandjean kopf. Fast pausenlos meldeten sich bei ihm Kundenberater von Banken, schickten E-Mails, riefen an und hätten ihn noch so gerne zum Mittagessen eingeladen. Mit nicht weniger als 60 Schweizer Banken führte der Bieler Treuhänder vom 15.  Oktober 2009 an intensiv Korrespondenz.

Schliesslich stapelten sich in Grandjeans Treuhandfirma die Dossiers von 46 Banken. Sie alle bemühten sich um die Gunst seines Kunden, Ewald Schmutz. Grandjean hatte die Banken nämlich im Auftrag des Berner Unternehmers angefragt, einen möglichst detaillierten Vorschlag zur Verwaltung von 3,5 Millionen Franken einzureichen, die aus dem bevorstehenden Verkauf von dessen Firma anfallen sollten. Aus den Erträgen dieses Vermögens, so die Vorgabe, wolle der bald 60-jährige Kunde fortan seinen Lebensunterhalt bestreiten (siehe «Das Drehbuch zum Rating» unter 'Weitere Artikel'). Fein säuberlich durchnummeriert und in drei verschiedene Kategorien abgelegt, standen die Unterlagen schliesslich bereit für das zweite grosse Private-Banking-Rating der BILANZ, das bisher wohl grösste solche Mystery Shopping in der Schweiz.

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Doch das konnten die Banken nicht ahnen. Der Fall sei realistisch und plausibel, bestätigt Rolf Aeberli, CEO der Bank Maerki Baumann, Gewinnerin in der Kategorie Privatbanken. Vermögende Kunden haben nicht die Zeit, bei einem Dutzend oder noch mehr Banken vorzusprechen, wenn sie ein Verwaltungsmandat für ihr Vermögen neu vergeben wollen. Sie lassen durch einen Berater eine Vorauswahl auf Basis schriftlicher Vorschläge ausarbeiten. Wer da durchfällt, erhält gar nicht erst die Möglichkeit zum persönlichen Beratungsgespräch.

Bewusst liess Peter Grandjean im Brief an die Banken einige wesentliche Informationen aus. So fehlten Angaben zur konkreten Renditeerwartung von Ewald Schmutz, Hinweise zur beruflichen Vorsorge oder zur Besteuerung des Erlöses aus dem Firmenverkauf. Von den Kundenberatern der angefragten Banken stellte jedoch nicht einmal die Hälfte entsprechende Nachfragen. Jurymitglied René Weibel, selbst Vermögensverwalter und Finanzplanungsexperte, ist entsetzt: «Einen Anlagevorschlag allein auf Basis dieses Briefes zu erstellen, ist fahrlässig.» Ihm fehlte deshalb bei den meisten Banken die Ganzheitlichkeit.

Nicht so bei Clariden Leu. Diese Bank schickte umgehend einen umfassenden Fragebogen, um den Kunden beurteilen zu können. Doch Ewald Schmutz, der selber auf eine lange Karriere im Private Banking zurückblickt, schüttelt darob den Kopf: «Das ist mir zu kompliziert.» Und so wie er dürften viele Kunden reagieren. Thomas Ackermann, Leiter Marketing und Kommunikation der Bank, ist sich bewusst, dass das Ausfüllen eines solchen Fragekatalogs für den Kunden aufwendig ist. Damit man ein seriöses Risikoprofil erstellen könne, sei dies aber unabdingbar.

Doch «ein Kunde, der sich nicht verstanden fühlt, wird nicht glücklich», weiss der Zürcher Vermögensverwalter Kurt Haug, der den Verband Schweizerischer Vermögensverwalter in der Jury vertrat. Aufschlussreich war diesbezüglich die Vorselektion, der die 46 Vorschläge unterzogen wurden. Anhand von einem Dutzend quantitativer Kriterien wie Pünktlichkeit und Vollständigkeit der Unterlagen bewertete die Jury vor allem die Ganzheitlichkeit. 28 Banken mussten dabei über die Klinge springen, 18 kamen in die Endrunde.

Am besten schnitten dabei jene Banken ab, die später auch als Gewinner des Private-Banking-Ratings 2010 hervorgingen. Abgefallen sind die Genfer Privatbanken. Kein einziges dieser Institute überstand die Vorselektion.

Bevor die Erst- und Zweitplatzierten der drei Kategorien Privatbanken, Universalbanken national und regional sowie die Gesamtsiegerin feststanden, mussten sich die 18 selektionierten Banken einer harten Prüfung unterziehen.

Zunächst zerlegte das Institut für Vermögensaufbau (IVA) in München das Dossier jeder Bank bis in die einzelnen Produkte und benotete fast 60 Kriterien. Auf Basis dieser Benotung und der Beurteilung der Vorschläge vergab die Jury unter Leitung von Thorsten Hens, Direktor des Swiss Banking Institute, dann die Auszeichnungen.

Die Leistungen, so das erste Fazit der Jury, seien im Vergleich mit dem Vorjahr besser ausgefallen. Tatsächlich ist die Durchschnittsnote um rund fünf Prozent vorgerückt. Die beste Note wurde von 2,15 auf 2,09 gesteigert, wobei wie im deutschen Schulsystem 1 die beste und 5 die schlechteste Note ist. Der frühere Preisüberwacher Rudolf Strahm, ebenfalls Mitglied der Jury, ist überzeugt, dass das Rating die Banken bereits zu einem Umdenken im Umgang mit ihren Kunden bewogen habe. Steuerexperte Wolfgang Maute, Jurymitglied und Betreuer der Kundin beim Rating 2009, führt diese Veränderung auch darauf zurück, dass den Banken klar geworden sei, mit einem schönen Mittagessen allein keine neuen Kunden gewinnen zu können. «Am Anfang steht ein fundierter, schriftlicher Vorschlag», erörtert Maute.

In der Bankenwelt sorgt das Rating entsprechend für Furore. Bereits führen verschiedene Banken eigens Seminare für ihre Kundenberater durch und laden Jurymitglieder zu Präsentationen ein, um ihre Beratungsprozesse anzupassen. Nicht nur weil sie beim nächsten Rating besser abschneiden wollen, sondern weil auch die Kunden davon profitieren.

Das verhalf der Berner Kantonalbank (BEKB) schliesslich nach dem zweiten Platz im Vorjahr zum Sieg in der Kategorie Universalbanken regional und gar zum Gesamtsieg. «Die persönliche Beratung ist eine Kernkompetenz unserer Bank», kommentiert Jean-Claude Nobili, Vorsitzender der Geschäftsleitung, die Auszeichnung. Das Rating sei deshalb ein wichtiger externer Gradmesser für die Servicequalität der BEKB.

Deutlich verbessert wurde laut Jury die Aufmachung der Vorschläge. Bei rund drei Vierteln der 18 getesteten Offerten werden die Bank, meist auch der Kundenberater und der Anlageprozess vorgestellt. Vor einem Jahr fanden sich dazu bloss in jedem zweiten Dossier Informationen. Diesbezüglich schneiden die Schweizer Banken deutlich besser ab als ihre deutschen, österreichischen und liechtensteinischen Mitbewerber. Dort führte im letzten Sommer das Magazin «Euro», das wie BILANZ zum Medienkonzern Axel Springer gehört, den Test nach denselben Kriterien durch. Nur ein Drittel der Vorschläge enthielt solche Basisinformationen.

Zugelegt haben die Banken im Rating der BILANZ jedoch nicht nur bei der Aufmachung, sondern auch beim Inhalt. «Back to the roots», fasst Kurt Haug die Entwicklung zusammen. Statt in komplizierte Zertifikate und verschachtelte Dach-Hedge-Funds wird wieder mehr in einfache Fonds oder direkt in Aktien und Obligationen investiert. Der Anteil kostengünstiger ETF, börsenkotierter Indexfonds, verdreifachte sich im Vorjahresvergleich von durchschnittlich 3,7 auf über 11 Prozent.

Das freut vor allem Rudolf Strahm. Denn während der Kundschaft mit scheinbar günstigen Pauschalgebühren Transparenz vorgegaukelt werde, profitierten die Banken mit verschachtelten Produkten von immensen versteckten Kosten, lautet seine langjährige Kritik. Vor allem deshalb wurde der Vorschlag der UBS schlechter bewertet als im Vorjahr, obwohl der Anteil hauseigener Produkte deutlich gesunken ist. Bei der Bank zeigt man sich entsprechend enttäuscht und ist vom Nutzen von Hedge-Funds-Produkten im Private Banking überzeugt. Im persönlichen Gespräch habe der Kunde aber die Möglichkeit, auf den Einsatz solcher Produkte zu verzichten, heisst es von der UBS-Medienstelle.

Auch Vorjahressiegerin Julius Bär wurde der hohe Anteil an alternativen Anlagen und Produkten angekreidet. Da zudem die Kundenausrichtung nicht überzeugte, schaute diesmal keine Auszeichnung heraus. Die Bank zeigt sich darüber zwar enttäuscht, empfindet aber wegen der gegenüber dem Vorjahr besseren IVA-Benotung auch Genugtuung. Schliesslich stehe der bestmögliche Service für den Kunden im Vordergrund, schreibt die Bank.

Tiefer als im Vorjahr sind die durchschnittlichen Gebühren, die für die Mandate offeriert werden. Sie sind von 1,1 auf 0,94 Prozent gesunken, nur wenig mehr als bei den Banken in Deutschland. Allerdings vermisst Andreas Beck, Leiter des IVA, bei den Schweizer Banken noch immer die Offenlegung der Retrozessionen. Kaum eine Bank erwähnt wie die Luzerner Kantonalbank, Zweite in der Kategorie Universalbanken regional, diese Provisionen, welche sie für die Vermittlung von Finanzprodukten erhält. Ganz zu schweigen von der Offenlegung oder gar einem gänzlichen Verzicht, wie ihn nun Maerki Baumann plant und wie er in Deutschland bereits die Regel ist.

Dennoch brauchten die Schweizer Banken im Vergleich zu den Banken in den deutschsprachigen Ländern ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, lobt Thorsten Hens, der beim Rating von «Euro» ebenfalls als Jurypräsident amtet. Gerade die kleineren Universalbanken schnitten deutlich besser ab. Massgeschneiderte Lösungen ab einem Anlagevermögen von 100  000 Franken, wie sie die Migros Bank und die Raiffeisenbanken böten, seien bei Sparkassen und Universalbanken in Deutschland und Österreich undenkbar, anerkennt Hens.

Interessant fand die Jury den Weg, den die Bernerland Bank eingeschlagen hat. Um ihre Kompetenz im Private Banking zu verstärken, lässt sie wie andere Regionalbanken im Clientis-Verband den Anlagevorschlag durch die St.  Galler Privatbank Wegelin ausarbeiten. Diese Kooperation wurde zwar von der Jury gewürdigt und vom IVA gut benotet. Allerdings war die Deklaration dieser Zusammenarbeit aus dem Dossier nicht ersichtlich. Dies würde im persönlichen Gespräch mit dem Kunden dargelegt, erklärt Kundenberater Michael Staub. Da im Vorschlag zudem eine Risikodarstellung ebenso vermisst wurde wie eine mögliche Renditeentwicklung, gingen Bernerland Bank und Wegelin, die im Vorjahr noch eine Auszeichnung erhalten hatten, leer aus.

Die Renditeentwicklung in der Vergangenheit ist zwar kein verlässlicher und unter Umständen gar ein irreführender Hinweis auf die erwartete Rendite des Anlagevorschlags. Zumindest zeigt sie aber, dass die erforderliche Rendite von 4,5 Prozent pro Jahr, die Kunde Ewald Schmutz für den Kapitalertrag von 150  000 Franken benötigt, in den letzten zehn Jahren mit den meisten der vorgeschlagenen Strategien nicht erwirtschaftet werden konnte. Werden auch noch die Gebühren und Steuern dazugerechnet, müsste gar eine Rendite von 6 Prozent erzielt werden, wie die zweitplatzierte Privatbank Von Graffenried aufzeigt. Entgegen der gängigen Theorie fiel die Rendite sogar umso tiefer aus, je höher die Aktienquote war. Der Grund liege in den extremen Einbrüchen von 2002 und 2008, erklären die Bankexperten. Damit sei in Zukunft nicht mehr zu rechnen.

Und wenn doch? Zumindest, erwartet Andreas Beck, könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Realrendite höher ausfallen werde als das Wirtschaftswachstum, wie wir das seit den achtziger Jahren erlebt hätten. Diese Umverteilung von Vermögenswerten sei nicht länger aufrechtzuerhalten. Und eine dauerhafte Wirtschaftserholung, welche die angepeilten Kapitalerträge ermöglicht, ist angesichts der zahlreichen ungelösten Folgen der Finanzkrise vorerst nicht auszumachen. Doch auf diese Problematik gingen selbst die siegreichen Banken in ihren Vorschlägen nicht ein.