Wie sind Schweizer Privatanleger in Sachen Geldanlage aufgestellt?
Im weltweiten Vergleich gehören Schweizer Anleger zu den Top Ten. Speziell gegenüber ihren europäischen Nachbarn ist der Optimierungsbedarf relativ gering.
Woran liegt das?
Aufgrund seiner räumlich kleinen Heimat ist ein Schweizer Anleger darauf angewiesen, global zu denken und anzulegen. Deshalb sind auch die heimischen Unternehmen global ausgerichtet und verdanken ihren Erfolg nicht dem Absatzmarkt Schweiz allein. Zudem ist die Allokation zwischen Aktien und Obligationen deutlich sinnvoller als das, was wir in anderen Ländern Europas sehen. In den Schweizer Portfolios sind die Aktienquoten viel höher, Anleihen sind weniger ausgeprägt.
Also machen Schweizer Anleger alles richtig?
Sie machen sehr viel richtig, deswegen ist der Anlageerfolg hoch. Auch wenn manche Schweizer nörgeln mögen, was ihre Geldanlage angeht: Ein grosser Vorteil ist, dass sie über eine AHV verfügen, die nicht nur umlagefinanziert, sondern teilweise kapitalgedeckt ist. Ausserdem gibt es eine hochprofessionelle betriebliche Altersvorsorge und eine effiziente dritte Säule. Der Schweizer Investor ist gut aufgestellt ...
... aber?
Die Frage ist, ob man Trend- und Themeninvestitionen immer so hochhängen muss. Da gibt es oft Fonds zu einem Thema, aber der Anleger weiss nach ein paar Jahren oft gar nicht mehr so genau, warum er da investiert hat. Daraus resultieren oft Klumpenrisiken. Auch werden oft noch zu viele Fonds verwendet, die als aktiv bezeichnet werden, sich aber sehr oft stark am Index anlehnen.
Schon seit Jahren läuft es gut an der Börse. Sind Anleger zu risikofreudig geworden, was die Diversifikation ihrer Portfolios angeht?
Das glaube ich nicht. In unserem grössten Multi-Asset-Fonds, der kaum anlagetechnische Restriktionen aufweist, liegt die Aktienquote bei über 65 Prozent. Aktien – basierend auf dem Chance-Risiko-Verhältnis – stellen die mit Abstand attraktivste Anlageklasse dar. Man sollte nicht von der Länge einer Börsenhausse auf die Attraktivität einer Anlageklasse schliessen. Bei Obligationen sagt ja auch niemand, dass es sich nicht mehr lohnt, zu investieren, nur weil es seit dreissig Jahren eine Aufwärtsbewegung gibt.
Was spricht für Aktien?
Für Aktien spricht ihre ordentliche Gewinnrendite. Nehmen Sie den MSCI World, der hat eine Gewinnrendite von knapp 7 Prozent. So ein Ertrags-Rendite-Potenzial schaffen Sie nicht mit Obligationen, Immobilien und Edelmetallen. Wenn Anleger genug Zeit haben und Vertrauen in ihre Investments, dann besteht keine Notwendigkeit, aus guten Aktien auszusteigen. Jede Schwächephase wie im November und Dezember 2018 ist unserer Meinung nach eine Chance, um attraktive Einzelwerte zu kaufen.
Welche?
Ich kann nicht konkret über einzelne Titel sprechen, aber wir suchen Unternehmen mit stabilem Geschäftsmodell, globaler Ausrichtung und einem Management, das langfristig und eigentümerorientiert agiert.
An welchen Märkten spielt 2019 die Musik?
Wir halten nichts davon, Länder- oder Regionenallokation zu betreiben. Es liegt ja nicht primär am Land, ob es dort gut läuft für Anleger, sondern an den Unternehmen. Ja, wir haben eine relativ hohe Gewichtung im US-Markt. Aber das ist keine Allokationsentscheidung, sondern zeigt, dass es in den USA sehr viele gute Firmen gibt. Anleger sollten nie den Fehler machen, einfach nur Bewertungen von Indizes miteinander zu vergleichen. Wenn man den S&P-500-Index aus Amerika dem SMI in der Schweiz gegenüberstellt, dann zeigt sich das nicht zuletzt am Technologiebereich. Denn wo ist die Schweizer Facebook, die Schweizer Microsoft, die Schweizer Alphabet? Nur auf die Benchmarks zu schauen, das ist Zeit-verschwendung.
Wo hat Europa Vor- und Nachteile?
Sicherlich müssen wir uns in Europa um viele Themen Gedanken machen, nicht zuletzt etwa um die makro-ökonomische Lage Frankreichs oder Italiens. Aber es gibt in diesen Ländern dennoch zum Beispiel mit Louis Vuitton, L’Oréal oder Ferrari wunderbare Unternehmen, die bei passendem Bewertungsniveau jedes Portfolio bereichern würden. Die Korrelation zwischen lokalen Makroindikatoren und der nationalen Börsenentwicklung hat deshalb in einer globalisierten Welt immer mehr an Bedeutung verloren. Natürlich gibt es die Themen Brexit, Europawahl, Populisten und so weiter, und das belastet kurzfristig auch die Börse und nimmt alle Unternehmen in Sippenhaft; oft sind aber genau diese Einschläge die Chance, gute Titel zu attraktiven Kursen einzusammeln.
Philipp Vorndran ist seit 2009 Kapitalmarktstratege beim Vermögensverwalter und Fondsanbieter Flossbach von Storch. Zuvor arbeitete er für Credit Suisse und Julius Bär. Flossbach von Storch wurde 1998 in Köln gegründet, ist seit 2006 auch in Zürich präsent und verwaltet rund 40 Milliarden Franken.
Und was ist mit anderen Regionen?
Natürlich müssen wir uns um die globale Entwicklung Gedanken machen. Auch in den USA gibt es viele politische Querelen, aber dort gibt es staatliche Strukturen, die, wenn es zum Schwur kommt, miteinander statt gegeneinander agieren. In China gibt es eine Regierung und eine Notenbank, die mit Abstand noch die grössten Handlungsmöglichkeiten hat. In der Euro-Zone hingegen agiert eine Notenbank, die auch nach Jahren der wirtschaftlichen Erholung immer noch ein Zinsniveau von null aufweist. Mit welchen Mitteln sollen die EZB oder die SNB noch reagieren, wenn es zu einer ökonomischen Abschwächung käme? Kein Zweifel, kreativ müssten sie sein. Wir rechnen 2019 nicht mit einer globalen Rezession, aber es wäre nicht überraschend, wenn wir in einzelnen Ländern Europas auch mal zwei Quartale mit negativem Wachstum erleben.
Warum kommt die Inflation nicht?
Weil wir in einer Welt leben, in der der Faktor Arbeit in der Breite noch keine zu grosse Preissetzungspower hat, obwohl in den entwickelten Ländern die Arbeitsmärkte sich erkenntlich verbessert haben. Zusätzlich haben wir immer noch den Druck durch die Effizienzgewinne aus dem Internet. Es gibt hohe Skalenerträge durch Plattformanbieter. Auch ist unser Wachstum weniger abhängig von Investments in Infrastruktur und Hardware, das würde sonst die Rohstoffpreise stärker treiben. Tendenziell dürften diese Trends in den nächsten Jahren aber an Bedeutung einbüssen, sodass wir davon ausgehen, dass die Notenbanken in Zukunft beim Erreichen ihrer Inflationsziele erfolgreicher sein werden. Staaten und Noten-banken sind weiter gezwungen, eine lockere Notenbank- und Fiskalpolitik zu betreiben, um die hohe Verschuldung finanzierbar zu halten.
Viele Anleger wollen nachhaltiger anlegen. Wie gelingt das?
Wir sollten das Thema aus der Marketing- und Ideologieecke herausholen. Es geht darum, was Hans Carl von Carlowitz bereits im 17. Jahrhundert zur Forstwirtschaft definiert hat: Wir müssen Geschäftsmodelle finden, die in fünfzig oder hundert Jahren noch in der Lage sind, nachhaltig profitabel zu operieren. Nur solche Modelle sind in der Lage, mit ihrer Umwelt sinnvoll umzugehen, ihre Mitarbeitenden und Kunden fair zu behandeln. Dazu bedarf es aber einer guten Governance, also guter Unternehmens- und Staatsführung. Mit Blick auf die Schuldenpolitik zeigt sich, dass viele Staaten und ihre Notenbanken alles andere als nachhaltig agieren.