Bloss nicht in Richtung Rente schauen und auch mit 50 plus noch vorwärts denken im Beruf: Das empfehlen viele wissenschaftliche Studien, die sich mit dem Thema Alter und Berufsleben befassen. Die Realität im aktuellen Arbeitsmarkt sieht anders aus. Auch Schweizer Unternehmen sehen die interne und externe Arbeitsmarktfähigkeit ihrer Mitarbeitenden über 50 tendenziell eher kritisch, trotz Bekenntnis zu mehr Diversität und zunehmendem Mangel an Fachpersonal. 

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Die Wissenschaft und manche Organisationen denken in diesem Punkt schon weiter. In einer neuen Studie der FHNW und der Fachhochschule Ost über «Late Careers» wurde unter anderem die Frage untersucht, wie Schweizer Unternehmen das Potenzial ihrer älteren Mitarbeitenden besser nutzen können. An dem Projekt beteiligt waren die Allianz Suisse, die Baloise Group, die CSS, die Kantonsspitäler St. Gallen und Baselland sowie das Beratungsunternehmen Grass & Partner.

Personalentwicklung 50 plus wird vernachlässigt

Gibt es eine gezielte Personalentwicklung für ältere Mitarbeitende? Auf eine solche Frage reagieren Unternehmen – auch Versicherer – nicht selten verlegen oder ausweichend. Die Studie bestätigt: Das grosse Potenzial bestens ausgebildeter und erfahrener Mitarbeitender über fünfzig wird häufig komplett ausgeblendet. Viel zu oft vernachlässigen Unternehmen diese Zielgruppe bei ihren Massnahmen zur Personalentwicklung. 

Gleichzeitig klagen Unternehmen generell über Fachkräftemangel und das Problem verschärft sich mit dem Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsleben in den kommenden Jahren weiter. Laut Bundesamt für Statistik ist bereits heute fast ein Fünftel der Erwerbstätigen 55 Jahre und älter.

Zeit zum Umdenken
 
Fehlt der Nachwuchs, ist es umso wichtiger, die Älteren noch möglichst lange und bei hoher Motivation im Unternehmen zu halten. Daher muss aus Sicht der Wissenschafter ein Umdenken stattfinden: Organisationen dürfen nicht wie bisher einfach nur fordern, dass die Mitarbeitenden ihre Karriere eigenverantwortlich in die Hand nehmen sollen – sie müssen auch konkrete Rahmenbedingungen dafür schaffen und individuell ausgerichtet an den Profilen der Berufserfahrenen konkrete Jobmöglichkeiten umsetzen. 

Längst haben sich die Wissenschaftler dabei vom Begriff «Karriere» verabschiedet. «Laufbahn» wird als treffender wahrgenommen. Im heutigen Arbeitsleben gehe es eben nicht mehr nur um einen hierarchischen Aufstieg, sondern auch um Zufriedenheit, Motivation, spannende Aufgaben und Sinnerfüllung, wird argumentiert.

In Unternehmen wird die Abgabe von Führungsverantwortung häufig allerdings noch negativ bewertet, stellen die Wissenschafter fest. Die Akzeptanz von sogenannten Bogenkarrieren oder «Downward Movements» im Lebenslauf fehle. Das senke die Bereitschaft von älteren Mitarbeitenden, angestammte Positionen aufzugeben und ihr Jobprofil neu auszurichten.

Vorteile sehen statt Vorurteile zulassen

Was aber ist mit abnehmender Leistungsfähigkeit und Flexibilität, die man älteren Berufserfahrenen gerne nachsagt? Fakt ist: Ältere Berufserfahrene werden bei internen Stellenbesetzungen weniger berücksichtigt als junge und bleiben oft (zu) lange in der gleichen Funktion, zeigt die Studie. Sie belegt auch, dass oftmals unbeabsichtigt Entwicklungen älterer Mitarbeitender mit beruflichem Kürzertreten in Verbindung gebracht und so zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden können. 

Dazu kommt: Häufig besteht auch kein Interesse daran, Mitarbeitende ab fünfzig zu Veränderungen anzuspornen. Mit ihrem spezifischen Fachwissen und ihrer Erfahrung gelten sie oft als zuverlässige und beständige Arbeitskräfte, die in einem Team für Stabilität sorgen, wie auch die Studie zeigt. Sie sind loyaler als jüngere Mitarbeitende, die häufiger die Treiber einer hohen Fluktuation sind.

Potenzial der Late Careers erkennen

Die am Projekt beteiligten Organisationen verfügen bereits über vielfältige Instrumente der Laufbahnentwicklung, belegt die Studie. Zwar sind diese Massnahmen grundsätzlich für alle offen, in der Praxis profitieren jedoch vorwiegend jüngere Mitarbeitende davon. 

Und in Zukunft? Die Studienautoren sind überzeugt: «Ältere Beschäftigte im wissensintensiven Sektor haben auf jeden Fall ein grosses Potenzial» – und sollten ihren Platz in der Arbeitswelt selbstbewusst einnehmen.