Wie wichtig ist Ihnen Innovation in Ihrem Leben?

Sehr wichtig. Die Idee, etwas Neues erschaffen zu können, ist für mich eine wichtige Energiequelle. Es gehört auch eine gewisse Risikofreude dazu, das Durchbrechen der Routine, das Moment der Überraschung. Ich bin auch überzeugt, dass Innovation ein entscheidendes Element der häufig zitierten Resilienz ist. Einerseits treiben wir als Menschen mit Innovation viele Veränderungen an, anderseits ermöglicht uns Innovation erst, uns an ebendiese Veränderungen anzupassen. Und Veränderungen stehen angesichts der Polykrise zahlreich an. Wir müssen also parat sein, im richtigen Moment das Bewährte loslassen zu können und die Potenziale der Innovation zu heben.

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Wie bringen Sie diesen Spirit in die Arbeit ein?

Bei Zühlke haben wir eine Menge sehr innovativer Leute. Das ist Teil unserer Unternehmens-DNA, und so rekrutieren wir unsere Mitarbeitenden. Was manchmal fehlt, ist der absolute Fokus auf den Kundennutzen. Jeder bringt halt seine Lieblingsthemen mit und innoviert gerne im eigenen Gärtchen. Ich sehe meine Rolle darin, das innovative Potenzial in eine gemeinsame Richtung zu lenken. Brücken zu schlagen zwischen den verschiedenen Disziplinen. Die Leute dazu zu bringen, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Immer wieder zu fragen: Was bringt das jetzt?

Können Sie dies an einem Beispiel illustrieren?

Nehmen wir das Thema generative KI. Dieses ist in einem Mass allgegenwärtig, dass man den Eindruck gewinnen könnte, die Sache sei mit Chat GPT schon gegessen. Dabei stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung, die noch manche Überraschung bereithalten wird. Denn der wahre Mehrwert der Technologie entfaltet sich, wenn sie in Kombination mit anderen Disziplinen auftritt. Dazu gehören Expertise in Cyber Security, fundiertes Integrations-Know-how und das Verständnis für den Geschäftsbereich. Erst wenn alle drei zusammenwirken und ein konkretes Geschäftsproblem lösen, kann Technologie zu einer Geschäftsinnovation werden. Das ist mein Anspruch.

Zu den Personen

Markus Reding verantwortet als Managing Director und Partner den Versicherungsmarkt des Innovationsdienstleisters Zühlke in der Schweiz. 

Lukas Stricker ist Dozent für Risk & Insurance und Leiter Weiterbildung an der ZHAW School of Management & Law.

Erleben Sie die Versicherungsindustrie als innovativ?

Einige der führenden Versicherungen haben jüngst einen Strategiewechsel hin zum Kerngeschäft angekündigt. Ich sehe das als Chance, das Thema Innovation wieder dorthin zu bringen, wo es hingehört. Nämlich raus aus dem Schaufenster und rein in die täglichen Abläufe. Schliesslich erwarten Versicherungskunden und -kundinnen zuallererst, dass die Versicherung ihren Verpflichtungen nachkommt und im Schadenfall da ist. Dieses Leistungsversprechen kann eine Versicherung mehr oder weniger innovativ erbringen. Aber sie verkauft eben nicht primär eine Innovation. Mit anderen Worten: Innovation muss drinstecken, nicht draufstehen. 

Was sind in Ihren Augen Beispiele für gelungene Innovation?

Innovationen können an überraschenden Orten entstehen. So zum Beispiel das Modell der Zurich Vita Invest in der beruflichen Vorsorge. Die durch den Verzicht auf Garantien im überobligatorischen Bereich gewonnenen Freiheiten auf der Anlageseite haben sich seit der Einführung in einer deutlich höheren Verzinsung niedergeschlagen. Die Mehrerträge kommen direkt den versicherten Mitarbeitenden zugute, die so ein höheres Altersguthaben anhäufen können. Damit bringt diese Innovation den Kundinnen und Kunden wesentlich mehr, als wenn sie den Vorsorgeausweis neu elektronisch in einem Portal ansehen können. Was nicht heisst, dass man das nicht auch machen sollte.

Muss Innovation «sexy» sein?

Wie das vorherige Beispiel zeigt, muss sie vor allem nützlich sein. Innovation ist harte Arbeit, und es braucht dafür Durchhaltewillen. Sie fällt nicht an einem geistreichen Nachmittag im Kreativraum vom Himmel. Ein prägendes Beispiel für mich ist ein Projekt, bei dem wir mit einem der führenden internationalen Versicherer eine Underwriting Workbench entwickeln. Nachdem jahrelang jede neue Anforderung mit einem zusätzlichen Tool bedient wurde, waren die Underwriter mit so vielen nicht miteinander kommunizierenden Systemen beschäftigt – die in der Summe doch nicht den ganzen Prozess abgebildet haben –, dass sie gar keine Zeit mehr hatten, sich mit den Risiken ihrer Kundschaft zu beschäftigen. Die Workbench bringt all diese Systeme und Tools Schritt für Schritt auf einer neuen Plattform zusammen. Mit allem, was dazugehört – einheitliche Daten- und Produktdefinitionen, klar definierte Schnittstellen, abgestimmte Prozesse. Dabei sind nicht zwingend bahnbrechende Einzelinnovationen gefragt. Stattdessen eine grosse Disziplin, den Entwicklungsprozess über viele Jahre entlang der vereinbarten architektonischen Prinzipien und im ständigen Austausch mit den Nutzerinnen und Nutzern zu beschreiten. Das ist im Alltag nicht «sexy», aber eine solche innovationsgetriebene Transformation entfaltet über die Zeit eine ungeheure Wirkung.

Wie wichtig ist Technologie beim Thema Innovation?

Ich würde nicht bei Zühlke arbeiten, wenn ich Technologie nicht als wichtig erachten würde. Dennoch ist sie immer sekundär. Auf Neudeutsch: ein Enabler. Wer zu sehr an selig machende Technologien glaubt, läuft immer Gefahr, stets dem neuesten Hype hinterherzurennen und nichts zu Ende zu bringen. Schliesslich lauert die nächste Technologie schon um die Ecke. Ein wunderbares Beispiel eines Innovationsprojekts, bei dem wir Technologie ganz bewusst als Unterstützung und nicht als Treiber einsetzen konnten, war das Schadenmanagement bei der GVB. Durch die Technologie konnte die Versicherung die Kundeninteraktionen neu gestalten respektive ihre Prozesse adaptieren und wurde so von der Zahlerin zur echten Partnerin im Schadenfall. Die Technologie als Enabler, um die Positionierung auf dem Markt zu ändern. Wunderschön!

Innovation findet oft an Schnittstellen statt. Was bedeutet diese Erkenntnis in der Praxis?

Axa hat kürzlich angekündigt, zusammen mit Amazon Web Services (AWS) eine Risk-Management-Plattform zu lancieren. Es geht darum, durch fachlich fundierte Analyse von Daten aus verschiedenen Bereichen handlungsrelevante Erkenntnisse für Industriekunden zu gewinnen, sodass diese ihre Risiken besser managen können. Seien es nun Risiken aus Naturgefahren, Risiken im Cyberbereich oder aufgrund von Lieferkettenunterbrüchen. Hier zeigt sich meiner Meinung nach die Kraft, die aus gezielten Partnerschaften entstehen kann. Eine Seite bringt ihre Risk-Management-Erfahrung und die dazugehörenden Daten ein, die andere ihre Tech-Expertise und die Fähigkeit, grosse Datenmengen effektiv an der Kundenschnittstelle einsetzen zu können. Diese Initiative werde ich mit grossem Interesse weiterverfolgen, auch weil wir schon vor Jahren gemeinsam mit einem Schadenversicherer ein Kundenportal entwickelt haben, das genau solche Risikoservices ermöglicht hat.

Ohne Daten keine Innovation?

Das war schon immer so. Auch hier gilt: Das grösste Potenzial liegt in der Kombination und Interpretation verschiedener Daten. Deshalb glaube ich, dass Kooperationen über die Branchengrenzen hinweg wichtig bleiben. Ein aktuell interessantes Beispiel dafür ist die Swisscom, die mit «Sure» ihr bestehendes Dienstleistungsangebot rund um die Cyberversicherung mit zusätzlichen Sparten wie Hausrat erweitert hat. Dabei arbeitet sie mit führenden Versicherungspartnern zusammen. Die Kundschaft profitiert von der digitalen Kundenschnittstelle der Swisscom, die zum Beispiel eine monatliche Bezahlung via Swisscom-Rechnung erlaubt. Eine solche Lösung ist nur möglich, wenn klar ist, wer welche Leistungen entlang der Customer Journey erbringt. Dabei muss der Kundennutzen und darf nicht das Ego der einzelnen Partner im Vordergrund stehen. Und die Informationen müssen datenschutzkonform fliessen können. Keineswegs trivial.

Wie wichtig ist Regulation beim Thema Innovation?

Regulation kann Innovation befördern oder behindern. Wir erleben zumeist beides. Wenn das strengere Datenschutzgesetz bei den Konsumentinnen und Konsumenten Vertrauen schafft, eröffnet dies Möglichkeiten für neuartige Angebote, auch wenn die Umsetzung derselben im Einzelfall behindert wird. Im Krankenversicherungsbereich hängen viele Innovationen am Thema elektronisches Patientendossier, weil erst dieses einen sicheren und effektiven Datenaustausch zwischen den verschiedenen Teilnehmenden des Gesundheitswesens ermöglichen wird. Das wird sich ohne klaren staatlichen Rahmen nicht machen lassen. Es lohnt sich also, sich positiv einzubringen und Regulation nicht als Entschuldigung für mangelnde Innovation vorzuschieben.

Kommen wir zum Abschluss nochmals auf KI zurück. Wo sehen Sie das grösste Potenzial für die Versicherungsbranche?

Im Versicherungsgeschäft fallen Daten häufig in unstrukturierter Form an. Sie stecken beispielsweise in Verträgen, in Schadenmeldungen oder Experteneinschätzungen. Mit den Fähigkeiten der KI auch unstrukturierte Daten nutzen zu können, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. Wenn ich mir vorstelle, was wir alles mit dem oben erwähnten Kundenportal hätten machen können, komme ich geradezu ins Schwärmen. Man stelle sich vor, Industriekunden könnten das Risk-Management-Portal fragen: «Gab es in den letzten fünf Jahren in unseren weltweiten Produktionsstätten Schäden, welche darauf zurückzuführen waren, dass gewisse in den Risk-Assessment-Berichten formulierte Verbesserungsmassnahmen nicht umgesetzt wurden?» Und man würde eine strukturierte Antwort erhalten, generiert aus der Verknüpfung von Informationen der hinterlegten Berichte der Risikoinspektionen sowie der Schadenhistorie. Mit den Ergebnissen könnten Risikomanager direkt Investitionen in effektive Präventionsmassnahmen begründen. Ein echter Mehrwert! Ähnliches gilt auch für das sehr datenintensive Geschäft der Rückversicherungen.

Aber auch hier gilt: Es ist nur eine Technologie. Die Innovation für die Versicherer liegt vor allem in der sicheren und Nutzen bringenden Anwendung. In der erwähnten Workbench könnten so zum Beispiel die zahlreichen Guidelines und Prozessdokumentationen, denen eine Underwriterin folgen muss, viel einfacher zugänglich gemacht werden. Damit könnte auch der Einstieg für neue Mitarbeitende enorm erleichtert werden – ein zunehmendes Thema angesichts des Fachkräftemangels.