Die europäische Gemeinschaftswährung ist auf Talfahrt: Vor nicht einmal sechs Monaten notierte der Euro noch bei 1.35 Dollar. Seitdem ist er stetig gesunken, zuletzt sogar mit erhöhter Geschwindigkeit. Inzwischen ist sogar die Marke von 1.20 Dollar gefallen. Das ist ein Neunjahrestief. Und einige Indizien sprechen dafür, dass der Euro weiter an Wert verliert. Das könnte schon bald ein Problem für die Nationalbank darstellen.
Anastassios Frangulidis, Chefökonom der Zürcher Kantonalbank (ZKB), sieht die Gemeinschaftswährung gar auf 1,15 Dollar rutschen. Folgt man den gewagtesten Szenarien der Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley, dann kann der Kurs bis zur Dollar-Parität absacken.
Grexit-Debatte stürzt Euro ins Elend
Der Kurssturz hat mehrere Gründe: Jüngst geriet die Gemeinschaftswährung vor allem wegen der politischen Krise in Griechenland unter Druck. Umfragen zufolge könnten die anstehenden Wahlen die radikale Syriza-Partei an die Macht spülen – und jene steht für eine Kurswende in der Euro-Politik. Sollte die Linkspartei gewinnen, will sie mit der Sparpolitik brechen und mit den internationalen Geldgebern neu verhandeln. Das heizt Gerüchte um einen Austritt des Landes aus der Euro-Zone an.
ZKB-Chefökonom Frangulidis rechnet zwar noch nicht mit einem Exit Griechenlands – einem «Grexit». Der Experte betont aber, dass die griechische Wahl eine wichtige Weichenstellung darstellen werde: Wird der bisherige Kurs gewählt, ist das Feuer der Grexit-Debatte gelöscht; versucht sich Griechenland in einem politischen Experiment, sind die Folgen unklar. Der Euro könnte nicht nur die Parität zum Dollar erreichen, sondern sogar noch tiefer fallen.
EZB-Politik macht zusätzlich Druck
Neben den politischen Problemen in Griechenland sind die Gründe für die Schwäche des Euro auch in der Geldpolitik der grossen Notenbanken zu finden. EZB-Chef Mario Draghi will die Bilanz der Notenbank um rund eine Billion Euro erweitern. Viele Beobachter rechnen damit, dass die Euro-Währungshüter schon bald im grossen Stil Staatsanleihen aufkaufen. Zwar gab es zuletzt noch interne Widerstände gegen dieses Vorhaben, vor allem seitens des Präsidenten der deutschen Zentralbank, Jens Weidmann. Draghi wies jüngst allerdings auffallend deutlich darauf hin, dass dieser Schritt notfalls auch ohne Einstimmigkeit gemacht werde.
Und während die EZB ihre Geldpolitk expansiver gestaltet, geschieht jenseits des Atlantiks das Gegenteil: Die US-Notenbank Fed bereitet die erste Zinsanhebung vor. Angesichts des stabilen konjunkturellen Aufschwungs dürfte diese noch in der ersten Hälfte 2015 kommen. Eine Zinserhöhung macht Investitionen in Dollar attraktiver und den Greenback teurer.
Die US-Währung gewinnt denn auch stetig an Wert gegenüber dem Schweizer Franken, der zum Euro über den Mindestkurs quasi festgezurrt ist. Noch im März mussten für einen Dollar nur 87 Rappen gezahlt werden. Anfang Jahr durchbrach der Kurs dann die Paritätsgrenze: Ein Dollar kostete plötzlich mehr als einen Franken. Und das dürfte noch nicht das Ende der Fahnenstange sein: ZKB-Devisenexperte Frangulidis rechnet mittelfristig mit einem Wechselkurs von 1,05 Franken pro Dollar.
SNB im Dilemma
Was für Schweizer Touristen und Einkäufer in den USA schlecht ist, kommt hingegen der heimischen Exportindustrie zugute: Ausfuhren in die USA werden mit einem schwächeren Franken günstiger.
Die grossen Währungsbewegungen setzen aber die Schweizerische Nationalbank (SNB) unter Druck: Ein Euro kostete am Montag kurzzeitig nur noch 1,2011 Franken. Das ist der tiefste Kurs seit Weihnachten, als die SNB wohl am Devisenmarkt intervenieren musste, um die Mindestgrenze zum Euro zu verteidigen. «Der Nationalbank stehen einige schwierige Wochen bevor», sagt denn auch Frangulidis. Die Verteidigung des Mindestkurses werde wegen des Aufwertungsdrucks auf den Franken immer anspruchsvoller.
Kursuntergrenze bleibt
Um die Kapitalflucht in den Franken zu bremsen, bleiben der SNB nach Ansicht von Frangulidis drei Massnahmen: Ein Absenken der Zinsen tiefer in den negativen Bereich, ein Absenken des Freibetrages oder weitere Interventionen am Devisenmarkt.
Die ersten zwei Massnahmen dürften aber kaum Wirkung gegen die Flucht in den Franken zeigen: Gegen einen derart getriebenen Aufwertungsdruck helfen Negativzinsen kaum, die Zinsdifferenz spielt nur eine untergeordnete Rolle. Und die dritte Massnahme – Interventionen am Devisenmarkt – ist politisch umstritten, wie Frangulidis ergänzt. Die Stimmen, die vor den Risiken einer aufgeblähten SNB-Bilanz warnen, werden immer lauter.
SNB-Chef Jordan findet klare Worte
Die Notenbank werde die Kursuntergrenze aber trotzdem weiter verteidigen, ist der ZKB-Experte überzeugt. Denn das höchste Gut der Zentralbank sei bedroht: die Glaubwürdigkeit.
Der Chef der Schweizerischen Nationalbank, Thomas Jordan, bestätigt die Worte Frangulidis. Montagabend sagte er, dass die vor mehr als drei Jahren festgesetzte Euro-Kursuntergrenze weiterhin unverzichtbar sei: «Der Mindestkurs ist absolut zentral um eben adäquate, richtige monetäre Bedingungen für die Schweiz aufrechtzuerhalten».