«Handelszeitung»: Begegneten Sie schon mal Peer Steinbrück?
Reinhold Würth: Ich ihm schon, aber er mir nicht.
Was heisst denn das?
Würth: Herr Steinbrück tritt ja oft als Redner auf und hält Vorträge. Ich sass dabei auch schon im Publikum.
Und er begrüsste Sie nicht?
Würth: Nein, wir kennen uns ja nicht.
Vielleicht sollten Sie ihn kennenlernen. Steinbrück ist Kanzlerkandidat der SPD. Er könnte nächstes Jahr gegen Angela Merkel gewinnen. Beunruhigt Sie das?
Würth: Gar nicht. Die Vorstellung löst bei mir keine Reaktion aus.
Nein?
Würth: Nein, wirklich nicht.
SPD oder CDU ist Ihnen egal?
Würth: Die CDU ist so SPD-isiert, dass es keine grossen Unterschiede mehr gibt. Die Kanzlerin arbeitet schon jetzt auf eine grosse Koalition hin. Steinbrück wird Vizekanzler und Finanzminister. Das ist meine Prognose.
Sie verfolgen also ziemlich genau, was politisch läuft in Deutschland.
Würth: Natürlich. Als Kaufmann bin ich dazu verdammt, zu wissen, was in der Politik und der Wirtschaft passiert.
Sie sind dazu verdammt?
Würth: Mich regt die Ineffizienz der Politik auf. Aber das ist ja auf der ganzen Welt so. In Deutschland, bei Ihnen in der Schweiz, aber auch in China oder Brasilien.
Dass Sie die Vorstellung eines Kanzlers Steinbrück kalt lässt, erstaunt. Schliesslich machte er bereits klar, Vermögende wie Sie stärker zu besteuern.
Würth: Ich bin da neutral und zahle meine Steuern. Ich hatte nie einen Cent Schwarzgeld und habe auch jetzt keinen.
Sie wurden immerhin einmal wegen Steuerhinterziehung verurteilt.
Würth: Hätte ich zu jener Zeit so viel über Steuerstrafrecht gewusst wie heute, wäre das Verfahren ganz anders gelaufen. Die Strafe belastet mich heute noch sehr. Die Wunde ist inzwischen verheilt, aber Narben bleiben natürlich.
Was halten Sie von der deutschen Jagd nach Schwarzgeld auf Schweizer Banken?
Würth: Da kann ich das Maul schon etwas aufreissen. Mich stört es sehr, dass Landsleute ihr Geld in die Schweiz brachten und keine Steuern darauf bezahlten. Aber absolute Gerechtigkeit wird es nie geben
Finden Sie es in Ordnung, dass der deutsche Staat geklaute Daten kauft?
Würth: Der Wohlstand der Schweiz beruht zu einem guten Teil auf dem Geschäft der Banken mit ausländischem Schwarzgeld. Das muss man fairerweise sagen. Was mich an der Geschichte am meisten erstaunt, ist die Tatsache, dass es bei Schweizer Banken viele Mitarbeiter gibt, die den Plausch am Verkauf von CDs haben. Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel Illoyalität gibt bei den treuen Eidgenossen.
Weshalb ist eigentlich das deutsch-schweizerische Verhältnis so schlecht?
Würth: Ich glaube, es ist eine Folge der Ungleichheit. In der Schweiz leben 8 Millionen Menschen, allein in Baden-Württemberg sind es 11 Millionen. Unser Bruttoinlandprodukt ist grösser als das der Schweiz. Günther Oettinger, der heutige EU-Kommissar und frühere Ministerpräsident Baden-Württembergs, sagte immer, das Bundesland wäre eine bessere Schweiz, wenn es allein wäre, nicht in Deutschland eingebunden. Der grosse, mächtige Nachbar im Norden ist für die Schweizer beunruhigend, zumal sich viele Deutsche im Ausland daneben benehmen. Aus unserer Sicht treten aber auch die Schweizer ab und zu arrogant auf. Jene, die nicht in der Welt herumgekommen sind, meinen, die Schweiz sei und bleibe der Nabel der Welt.
Mir scheint, das schlechte Verhältnis ist eine Folge der Krise in Europa.
Würth: Das spielt wohl bei der Steuerdiskussion tatsächlich eine Rolle. Aus europäischer Sicht aber wird man sich in 50 Jahren über die jetzige Krise freuen.
Wie bitte?
Würth: Meine These ist: Aus der Krise zwischen 2008 und 2015 werden die Vereinigten Staaten von Europa entstehen. Die weitergehende Integration in Europa lässt sich nicht aufhalten.
Auch mit Ihren Steuergeldern wird der Schlendrian Südeuropas finanziert.
Würth: In Deutschland kennen wir den Länderfinanzausgleich. Das ist gut akzeptiert. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Hamburg zahlen für den Rest Milliarden. Das hat zwar seltsame Folgen: Rheinland-Pfalz zum Beispiel wird dank den Ausgleichszahlungen die Pflicht locker erfüllen, jedem Kind einen Platz in einer Kinderkrippe zur Verfügung zu stellen. Bei uns in Baden-Württemberg aber fehlt wegen der Ausgleichszahlungen das Geld dafür. Egal: Ein ähnlicher Ausgleichsmechanismus wie innerhalb Deutschlands wird sich auch in Europa etablieren.
Und Sie finden das gut?
Würth: Oh ja. Um in Freiheit und Frieden leben zu können, lohnt sich das.
Sie gehören also nicht zu denen, die den Friedensnobelpreis für die EU kritisieren.
Würth: Im Gegenteil. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Das Nobel-Komitee hat eine pfiffige Entscheidung getroffen.
In der Schweiz schüttelten wir über den Entscheid eher den Kopf.
Würth: Das verstehe ich nicht. Wir leben seit über 60 Jahren im werdenden Verbund der Europäischen Union in Frieden und Freiheit, seit dem Mittelalter gab es nie eine Friedensperiode dieser Länge in Europa – welches Glück! Auch wenn die Schweizer Bürger derzeit noch eine Mitgliedschaft in der EU oder im EWR ablehnen, darf man fairerweise konstatieren, dass die Schweiz faktisch schon (fast) Mitglied der EU ist. Das meiste, was in Brüssel beschlossen wird, wird von der Schweiz sogenannt autonom nachvollzogen. Die Macht des Faktischen wird damit stärker und stärker. Wenn die Schweiz dann in zehn oder zwanzig Jahren doch noch Mitglied wird – wovon ich ausgehe –, werden die Bürger gar keinen Unterschied mehr merken. Es wird keinen Aufruhr mehr geben. Es kommt mir irgendwie so vor wie damals, als die Schweiz wegen der Kühe die Sommerzeit nicht einführen wollte. Irgendwann wurden die Nachteile deswegen so gross, dass man doch einlenkte.
Sie sind Schweiz-kritisch, obwohl Sie enge familiäre Beziehungen zu unserem Land haben. Ihre Tochter Bettina heiratete einen Schweizer, ist Doppelbürgerin und lebt in Appenzell.
Würth: Richtig. Ich bin absolut nicht Schweiz-kritisch, ganz im Gegenteil. Einige meiner besten Freunde sind Schweizer. Seit 50 Jahren war ich jährlich beim Skifahren in Graubünden, zusätzlich habe ich ebenfalls seit 50 Jahren eine Ferienhütte im Zürcher Oberland. Meine Tochter und die Enkel sind Doppelbürger. Hinzu kommt, dass der gesamte Auslandkonzern der Würth-Gruppe schon seit 1957 in einer Holding in Chur organisiert ist. Deswegen respektiere ich selbstverständlich den Schweizer Wunsch, sich nicht in die EU zu integrieren. Meiner Meinung nach lässt sich das auf Dauer aber nicht aufrechterhalten. Die Mitgliedschaft im EWR wäre ein guter Kompromiss. Aber insgesamt leben Deutsche und Schweizer doch sehr gut miteinander.
In den letzten Jahren gab es vor allem Streit wegen Schwarzgeld oder Fluglärm in Süddeutschland. Gerade scheiterte der jüngste Anlauf, das Problem zu klären.
Würth: Ach ja, der Flughafen. Ich finde es nicht gut, wenn die Deutschen so viel Lärm um den Fluglärm machen. Die Konstanzer und Waldshuter wollen ja alle von Zürich aus fliegen. Auf der anderen Seite müssen die Leute von der Goldküste auch zugeben, dass Flugzeuge Lärm machen. Ich selbst flog vor 40 Jahren regelmässig mit meiner Cessna nach Kloten und am Abend wieder zurück. Damals kümmerte das keinen.
Als Pilot haben Sie ein unverkrampftes Verhältnis zum Thema.
Würth: Sicher. Ich habe ein Ferienhaus in Portugal. Es liegt direkt in der Anflugschneise auf den Flughafen Faro. Dort bin ich Planespotter. Für mich ist der Klang der verschiedenen Maschinen wie Musik.
Das sollten Sie in Hohentengen erzählen!
Würth: Ich werde mich hüten!
Im Ernst: Als Unternehmer haben Sie sich ja immer in erster Linie als Verkäufer verstanden. Welchen Tipp haben Sie für die Schweizer Regierung, um sich in Deutschland besser zu verkaufen?
Würth: Davor werde ich mich noch mehr hüten! Als Ausländer steht mir das nicht zu.
Schade. Sie sind ja mit diversen Unternehmen in der Schweiz präsent und bauen nächstes Jahr sogar noch aus.
Würth: Würth ist seit 50 Jahren in der Schweiz. Ferner haben wir unter anderem unsere Konzernfinanzfirma in Küsnacht und unsere Holding für das Geschäft ausserhalb Deutschlands in Chur. Die Würth-Gruppe Schweiz beschäftigt mehr als 1600 Mitarbeiter und erwirtschaftet rund 800 Millionen Franken Umsatz.
Warum eigentlich Chur?
Würth: Ganz einfach. Ich bin jahrzehntelang in Davos Ski gefahren. Chur war deswegen perfekt.
Demnächst bauen Sie in der Schweiz aus. In Rorschach wird im kommenden Frühling ein neuer Sitz eröffnet.
Würth: Korrekt. Die Finanzgesellschaft zieht vom Zürich- an den Bodensee um.
Den Plan aber, die ganze Konzernzentrale nach Rorschach zu verlegen, gaben Sie auf. Weshalb?
Würth: Das wäre schlicht zu teuer geworden. Wir sprechen da von Milliarden. Aber wir installieren in Rorschach einen Neben-Konzernsitz. Der Standort ist für uns optimal, weil der Flughafen Altenrhein gleich daneben liegt. Ohne diese Anbindung hätten wir nicht investiert. Wir haben unsere fünf Firmenflugzeuge hier in Schwäbisch-Hall und können in 23 Minuten nach Altenrhein fliegen.
Eigentlich sollten Sie viel weiter fliegen. Nach Italien, Spanien oder Portugal. Dort laufen die Würth-Geschäfte schlecht.
Würth: Die drei Länder kosten uns aktuell gut 2 Prozentpunkte Umsatzwachstum. Seit Anfang Jahr legte der Würth-Konzern beim Umsatz bloss um 4,5 Prozent zu. Ohne die Krise in Südeuropa wären es rund 7 Prozent.
Das heisst, die Geschäfte in Südeuropa sind praktisch tot.
Würth: Fast. Das Geld fehlt, die Kunden können nicht mehr zahlen. Allein in Italien haben wir 60000 Kunden gesperrt. Die bekommen erst wieder neue Ware, wenn sie die alten Rechnungen bezahlt haben.
Spanien läuft noch besser?
Würth: Nein.
Und Griechenland?
Würth: Auch nicht. Ich sage meinen Leuten schon lange, macht doch unser Geschäft da unten in Griechenland zu. Die aber antworten, das sei keine gute Idee. Bald seien alle anderen Schraubenhändler tot, Würth aber sei auch nach der Krise noch da. Vielleicht hat das was. Wir werden sehen. Fakt ist: Unsere Gesellschaften haben so viel Eigenkapital, die könnten die Krise auch glatt verschlafen.
Schreiben Sie in Südeuropa rote Zahlen?
Würth: Leider.
Können Sie das über die Wachstumsmärkte in Indien und China kompensieren?
Würth: Zum Teil. Der Anteil der europäischen Märkte an unserem Umsatz liegt nach wie vor bei 70 Prozent. Aber Indien und China legen Jahr für Jahr um 50 oder 60 Prozent zu. Da startet eine Rakete. Es erinnert mich an meine Jugend, als Würth auch in Deutschland so rasant zulegte.
Da Sie gerade davon reden: Ist Würth in erster Linie ein Produkt des Wirtschaftswunders? Oder anders gefragt: Wäre es möglich, den Erfolg von Würth noch einmal zu wiederholen?
Würth: Sicher nicht. Nicht in dieser Branche. Die Märkte sind verteilt. Ich übernahm den Betrieb ja im Alter von 19 Jahren von meinem Vater. Mit zwei Angestellten. Heute haben wir in 80 Ländern über 65000 Mitarbeitende und machen 2012 rund 10 Milliarden Euro Umsatz. In anderen Branchen lassen sich sicher noch ähnliche Erfolgsgeschichten und Unternehmerkarrieren schreiben.
In welchen?
Würth: In der Informationstechnologie oder in der Pharmaindustrie. Die Grundvoraussetzungen für den Erfolg waren und sind immer die gleichen. Neugier, Spass und Fleiss. Zwei Drittel sind Fleiss. Wer mit der Bierflasche vor dem Fernseher sitzt, wird niemals erfolgreich sein. Da kann er noch so viel studiert haben. Wer eine Firma gründet, hat in den ersten Jahren kein Wochenende und keine Ferien.
Sie und Ihr Management gaben eine Vision 2020 aus. Bis dahin wollen Sie den Umsatz verdoppeln. Das ist sehr ambitioniert.
Würth: Wahrscheinlich sogar zu ambitioniert. Es sind ja nur noch acht Jahre bis dahin. Auch bei uns wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Wir sagten immer, das Umsatzziel gelte, wenn nichts Spektakuläres passiere in der Weltwirtschaft. Die aktuelle Krise halte ich aber doch für ziemlich spektakulär.
Sie sagten mal, ein Unternehmen sei krank, wenn es nicht um 10 Prozent wachse.
Würth: Wie gesagt: Auch bei uns wachsen die Bäume nicht in den Himmel.
Immerhin reicht es noch für grosszügige Spenden. Sie gehören gemäss der Rangliste des «Manager-Magazins» zu den zehn reichsten Deutschen und setzen viel Geld für wohltätige Zwecke ein. Empfinden Sie das als Ihre Pflicht?
Würth: Ich halte es da mit dem Grundgesetz, Artikel 14, Absatz 2. Der Text lautet: «Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.» Meine Familie und ich können etwas tun und tun es auch gerne. Es ist der Lauf der Dinge, dass die Reichen immer reicher werden. Deshalb ist es auch richtig, dass der Staat ordnend eingreift.