Die breiten Ski ragen zu mehr als einem Drittel in die Luft, darunter steile, unberührte Kristallhänge, einige hohe Bäume im Zuckermantel und, auf ihren Brettern in Startposition, zehn vermummte Schneespieler. Eine Australierin, eine Japanerin, drei Generationen aus Illinois, Europäer, Schweizer. Und Hannes, der Guide.

Dann fährt Hannes los, in kurzen Abständen gibt sich einer nach dem andern dem Rausch des Drehens hin. «Wie Liebe machen im Champagnerrausch», hat es ein Freund beschrieben. Er hat es etwas vulgärer gesagt, aber es ist so. Mehr oder weniger erwachsene und wohlsituierte Leute beginnen zu schreien. Es ist Skifahren in einer anderen Sphäre, der Schnee erscheint leichter, und die «Fat Ski», die breiten Ski, drehen mit weniger Widerstand und kompensieren allfällige Fehler. Plötzlich meint man, wirklich Ski fahren zu können.

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Und es gibt wirkliche Meister. Zum Beispiel Hannes, unser Guide aus Osttirol. Oder solche, die es noch immer können wie Ed aus Montana, 82 Jahre alt, Mitglied des Skiklubs 80+. Wenn der Schnee etwas kritischer wird, zieht er seine Bogen zwar etwas weiter, dies aber ohne jedes Zögern. Warten mussten wir bisher jedenfalls noch nie auf ihn. Seit er 70 geworden sei, trainiere er jeden Tag zwei Stunden, hat er mir als Geheimrezept verraten.
«Cembaloschnee» nenne ich diese durchgefrorene weisse Masse mit den grossen Kristallschollen an der Oberfläche, weil die Ski diesen Schnee mit einem Geräusch schneiden, das den hohen Tönen in Bachs Konzert für vier Cembali und Orchester in h-Moll nicht unähnlich ist.

Nach den freien Hängen folgt das so genannte «Tree-Skiing», Geschwindigkeitsrausch im dichten Wald, der lustigste Wahnsinn. Wir haben erfahren, dass man irgendwie zwischen diesen Bäumen durchkommt, auch wenn es immer steiler wird und wir nicht sehen, wo wir hinfliegen und landen werden. Wir vertrauen. So folge ich einfach ganz dicht Hannes. Er springt von Plattform zu Plattform, schneller, als der Schnee wegrutscht, und manchmal ändert er im Flug die Richtung. Immer landen wir sanft in einer staubenden Masse, die den Atem nimmt. Wenn wir einmal Halt machen, sehen wir die Felsformationen, über die wir geflogen sind, und die Schneeströme, die uns zwischen den Fichten folgen. Tree-Skiing ist «steep and deep» und schneestaubig. Tief sind auch die «tree holes», Lufteinschlüsse im Schnee unterhalb der tief eingeschneiten Bäume, in denen man bei unvorsichtigem Sturz gänzlich verschwindet.

Nach 900 Höhenmetern erreichen wir den Pick-up, wenig später knattert der Heli, das freundliche Monster, in einer Riesenstaubwolke daher. Die Maschine trägt uns zum nächsten unberührten Landeplatz in einer Gratschneide auf 3200 Metern.

Abends um halb fünf landen wir nach zehn solchen Runs bei unserer Lodge, die uns während einer Woche beherbergt.

Gegen ein Dutzend komfortable Holzherbergen betreibt das grösste Helikopter-Skiing-Unternehmen des Landes, Canadian Mountain Holidays (CMH), in den Canadian Rockies, vier bis acht Stunden Busfahrt westlich von Calgary, dem Ausgangspunkt solcher Luxuswochen. Im grosszügigen Bau in der grandiosen Gebirgslandschaft umsorgt ausserordentlich freundliches Personal die Gäste. Kommunikation mit der Aussenwelt ist, soweit notwendig, möglich. Vor Fernsehen ist man in den meisten Lodges indes sicher.

Auf den schönsten Moment des Tages, wenn man sich nämlich stöhnend der schweren Skischuhe entledigt, folgen das erste und das zweite Bier in der Bar und mit gutem Gewissen Spareribs, Chicken Wings, Bluecheese und frittierte Shrimps. Dann findet man sich in der Sauna, scherzt mit Airlie, der Australierin, im Jacuzzi oder lässt sich von Ronda oder Amanda die schmerzenden Muskeln massieren. Ab dem zweiten Tag machen sich unangenehmst spannende Muskelstränge bemerkbar, deren Existenz man vorher nicht einmal geahnt hat. Und Amanda findet sicherlich jene Krämpfe und Verhärtungen, die zu kneten am meisten nützt, aber auch am meisten wehtut.

Da ist es wesentlich gemütlicher mit der pensionierten Banno Yoshiko in der Sauna. Züchtig im Badeanzug, bleibt sie bis zu einer halben Stunde in der brennenden Hitze und wirft sich dann in den frischen Schnee. Nach einer Weile fragt sie mich: «Excuse me, how old are you?» Und als ich ihr sage, ich sei 61, muss sie lachen: «So I am much older than you. I am 66.» Derweil besprechen die Amerikaner im Jacuzzi die Grundstückpreise in New York, und Airlie erzählt, wie sie 40 Lawyers bändigt.

Um sieben Uhr folgt das Abendessen, die Kenner rühmen die Weine, die zu
Alberta-Beef, Lachs, Lamm oder anderen Köstlichkeiten zur Auswahl stehen. Eine herrliche Müdigkeit zieht ein und verhilft zu traumlosem Schlaf.

Um sieben Uhr morgens klingelt Ronda, bald beginnt die «stretching lesson», und nach dem ausgiebigen Frühstück steigen wir um neun in den Helikopter. Heute, bei wolkenlosem Himmel, fliegen wir noch höher auf den Gletscher, gemäss Auskunft unseres heutigen Guides haben wir die höchste Kältestufe erreicht: In Kanada ist es im Winter entweder «cold», «very cold» oder «fucking cold». Minus 25 Grad ist «fucking cold». Dafür sind die Gletscherhänge unendlich weit, unsere Spuren perfekt, und wir absolvieren Runs von bis zu 1400 Höhenmetern. Bis zu vier Skifahrergruppen werden von einem Helikopter befördert, sodass acht bis zehn Runs pro Tag oder 5000 bis 10 000 Höhenmeter Abfahrt normal sind. Allerdings habe ich an einem besonders prachtvollen Tag auch schon mal 28 000 Höhenmeter Ski fahren dürfen. Dies war in einer so genannten «private week», in der ein Helikopter eine Gruppe transportiert. Am Ende der Woche hatten wir glückliche 112 000 Höhenmeter Skiabfahrt absolviert.

Wie das Leben ist auch das Heli-Skifahren nicht absolut sicher. Aber das Restrisiko ist klein. Die Guides werden sorgfältig geschult, kennen ihre Abfahrten und ihr Gelände, und die Gäste werden bezüglich Lawinensicherheit, Handhabung der Lawinensuchgeräte und in Disziplin geschult. Jeden Tag wird die Lawinensituation von Experten beurteilt und werden die Abfahrten entsprechend Schneebeschaffenheit und Stabilität der Schneedecke ausgewählt. Mehrere Anbieter offerieren Heli-Skiwochen, darunter ist die vom Österreicher Hans Moser gegründete CMH der grösste mit dem weitesten Leistungsspektrum.

Am dritten Tag brennen die Oberschenkel am schlimmsten. Wir fahren erneut unter einer gleissenden Sonne in unberührtem Kristallpulver im verbrannten Wald, gespenstische schwarze Strünke dienen als Riesenslalomtore und abgesägte Baumstrünke als Schanzentische. Einige unserer Kollegen geben beim Lunch am Mittag auf. Dies macht das Skifahren am Nachmittag noch schneller. Da die Breitski allen zu einem besseren Fahrstil verhelfen, schlägt erst mit der Ermüdung oder im seltenen Bruchharsch die Stunde der Wahrheit. Hier trennt sich dann die Spreu vom Weizen punto skifahrerischen Könnens. Als selektiv hat sich auch «Canadian mashed potato snow», also schwerer Schnee, in den es hineingeregnet hat, erwiesen.

Nach einer Woche sind alle zu Freunden geworden, auch die Angespannten haben sich entspannt, die Gedanken sind frei, und die Wellness ist perfekt. Manches vorher im Büro gewälzte Problem hat sich erledigt, und anderes ist durchsichtiger geworden. Persönlich würde ich gestressten CEO diese Art der Erholung einmal pro Jahr zwangsweise verschreiben und ausserdem Gratifikationen für besondere Leistungen nur noch in Form von Gutscheinen für Heli-Skiwochen auszahlen.

Ich gebe zu, ich bin süchtig nach dieser Art des Skifahrens, und ich weiss, es ist ökologisch fragwürdig und verwerflich, also sündhaft. Aber: Die Hänge mit kanadischem Pulver sind anders als mit dem Helikopter kaum erreichbar, und überdies kann eine kleine Sünde schon verdammt schön sein.