BILANZ: Würden Sie Werbung mit Usama bin Ladin machen, um damit ungeteilte Aufmerksamkeit zu erheischen?
Frank Bodin:
Das wäre für mich undenkbar. Als Werber habe ich eine Verantwortung gegenüber unseren Auftraggebern und der Gesellschaft.

Hätten Sie vor den Terroranschlägen mit bin Ladin geworben, so wie das Agenturen in Deutschland gemacht haben?
Niemals. Ausser in einer Kampagne gegen den Terror.

Muss denn Werbung nicht provozieren?
Das ist nur eine von vielen stilistischen Möglichkeit. Es bleiben viele andere Spielarten. Ausserordentliche Werbung besteht aus einer Essenz, die beim Zielpublikum ins Herz und ins Hirn trifft. Zur Essenz gehören Themen wie Liebe, Humor, Tod …

Wie bitte? Der Tod?
Ja, auch der Tod. Er gehört zum Leben wie die Geburt.

Aber mit dem Thema Tod halten Sie sich nun zurück?
Kurzfristig sicher. Gerade heute Morgen wollte ich den TV-Spot «Twister» für Volvo zeigen. Das Auto fährt in diesem Werbeklassiker durch einen Tornado, Häuser stürzen ein, alles kracht zusammen, aber das Auto geht schadlos daraus hervor. Diesen Film haben wir gestrichen aus Rücksicht auf kurzfristige Sensibilitäten. Nach den Terroranschlägen ist es, als ob alle einen lieben Menschen verloren hätten. Wir befinden uns in einer Trauerphase. Diese Zeit muss die Werbung respektieren.

Glauben Sie, dass allmählich wieder Katastrophenbilder in die Werbung einziehen werden, oder bleibt die kontroverse Provokation dieser Art tabu?
Alle haben im Moment Angst vor falschen, unüberlegten Gegenreaktionen auf die Terroranschläge. Niemand weiss, wie es weitergeht.

Gibt es ein Zurück zur Normalität, obwohl wir diese Bilder der brennenden Türme in unseren Köpfen haben?
Wie jedes Ereignis verändert auch dieses die Menschheit. Täglich geschehen perverse und grausame Dinge, aber in den USA ist mit diesen Anschlägen eine Grenze des Grauens überschritten worden. Dieses Überschreiten macht nachdenklich.

Sehen Sie denn bereits Auswirkungen der Terroranschläge auf die Ästhetik der Werbung?
Heute habe ich ein erstes Sujet aus der Werbung gesehen, das mit diesen Bildern spielt. Ich sah auf einem Bild vier nachgebaute WTC-Türme, wovon einer noch viel grösser war als die anderen. Dazu stand geschrieben: Fuck you, bin Ladin. Das hat mir gefallen.

Dennoch, müssen wir uns nach den TV-Bildern der schrecklichen Ereignisse nicht darauf vorbereiten, dass Werbung harmlos zu sein hat, weil das Sicherheitsdenken überall Einzug hält?
Ich glaube nicht. Schockieren um des Schocks willen durfte Werbung auch bereits vor den Terroranschlägen nie. Werbung muss in erster Linie für die Zielgruppen relevant und konsistent zur Markenstrategie sein. Und nicht dem Schock als Selbstzweck huldigen. Was auch gegen eine Verharmlosung der Ästhetik in der Werbung spricht: Die Menschheit wird hoffentlich trotz den Anschlägen ihren Humor nicht verlieren. Man darf noch immer Witze machen. Dass Werber und Kommunikationsexperten immer mehr auf Ecken und Kanten verzichten, hat andere Gründe.

Welches sind die Gründe?
Rezessive Phasen und die Globalisierung von Kampagnen führen dazu, dass Werbung weniger mutig ist und weniger die riskanten Sujets in Kauf nimmt. Das steht im Widerspruch zu Andersartigkeit und Profilierung.

Rezession, Terror: Die Mutlosigkeit nimmt zu.
Da könnten Sie Recht haben. Lassen Sie es mich dennoch anders formulieren: Es braucht keinen Mut zu guter Werbung, sondern zu schlechter.
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