In der Schweiz stehen Zehntausende von Wohnungen leer, und es werden immer mehr: 4,1 Prozent aller Wohnungen waren nach Schätzungen des Immobiliendienstleisters IAZI letztes Jahr ohne Mieter. Es ist ein Problem, dessen Hauptursache am Donnerstag ihre Fortsetzung fand: Die Schweizerische Nationalbank verlängerte bei ihrem Leitzinsentscheid die Ära der Negativzinsen.
Und weil Geld fast gratis bleibt, werden Versicherungen, Pensionskassen und andere institutionelle Investoren weiterhin viel in Mietwohnungen investieren, weil sie dort die höchsten Renditen erzielen. Zahlreiche Mehrfamilienhäuser entstehen jedoch nicht dort, wo viele Leute leben wollen – in den Zentren – sondern an weniger begehrten Lagen. «Die Leerstände werden sich weiter erhöhen», glaubt Donato Sconamiglio, der Chef von IAZI.
IAZI schätzt die Leerstandsquote auf 4,1 Prozent, das Bundesamt für Statistik (BFS) beziffert den Wert in der letzten Schätzung auf gut 1,6 Prozent. Wie kommt dieser Unterschied zustande? Das BFS misst die Quote am Gesamtwohnungsbestand inklusive Einfamilienhäusern, IAZI nimmt EFH aus. IAZI orientiert sich zudem an den Einnahmen, auf welche Eigentümer wegen leeren Wohnungen verzichten müssen – und berücksichtigt somit Rabatte und Zinsausfälle. Ein Beispiel für den Unterschied: Wenn ein Mieter sechs Monate gratis wohnen kann, gilt die Wohnung für IAZI als leer, für das BFS als vermietet. «Das BFS unterschätzt den Leerstand massiv», glaubt Donato Sconamiglio.
Eigentümer vermeiden Abschreiber
Dietikon, Kriens, Allschwil, Olten und Biel sind die Städte mit über 10'000 Einwohnern, wo das Problem aktuell am grössten ist. Kriens und Dietikon gehören auch zu den Orten, wo die Zahl der «kalten Wohnungen» letztes Jahr am stärksten zugenommen hat. «In den Agglomerationen spielt die Zeit für die Mieter» sagt Sconamiglio. Eigentümer von leeren Wohnungen scheuten sich allerdings davor, rasch die Mieten zu senken, weil sie dann auch den Wert der Liegenschaft berichtigen müssten. Und in den grossen Städten bleibt das Angebot an Mietwohnungen knapp. Über die ganze Schweiz gesehen stiegen die Mieten letztes Jahr um 1,5 Prozent.
Trotz zunehmender Leerständen lässt sich mit Mehrfamilienhäusern weiterhin sehr gut verdienen: Im Schnitt 5,3 Prozent erzielten die professionellen Investoren letztes Jahr auf ihren Objekten. Den grösseren Teil dieser Rendite - 3,3 Prozent - holten sie über Mieteinnahmen herein. Der Wert der Liegenschaften erhöhte sich um 2 Prozent. Am lukrativsten waren Wohnungen an begehrten Lagen, wo auch hohe Mieten verlangt werden können – beispielsweise Thalwil oder Winterthur. «Dort sind die Wohnungen voll und teuer», sagt IAZI-Leiter Sconamiglio.
«Das Problem wird sich von selbst korrigieren»
Wieso bauen denn gewisse Investoren in Städten, wo sie nur schwer Mieter finden? Weil Bauland vor allem an wenig attraktiven Lagen im Überfluss vorhanden ist – und weil sich gewisse Investoren wegen der rekordtiefen Zinsen auch mit bescheidenen Renditen zufriedengeben.
«Das sind Investoren, die keine Bankkredite benötigen», beobachtet Sconamiglio. Dieses Vorgehen wird sich aus Sicht des Immobilienexperten rächen, sollten die Zinsen wieder steigen. Manche Investoren riskierten einen massiven Wertverlust ihrer Liegenschaften nach einer Zinswende. «Das Problem der steigenden Leerstände wird sich von selbst korrigieren», sagt Sconamiglio.
Trotz rekordtiefer Zinsen ist eine Hypothek nicht einfach erhältlich: Die Bankenbranche hat den Zugang zum Kredit erschwert, um eine Blase auf dem Immobilienmarkt zu vermeiden. Nun könnten diese Hürden für Hauskäufer noch höher werden: Die Bankiervereinigung will auf Anraten der Behörden bis zum zweiten Quartal 2019 prüfen, ob die Selbstregulierung verschärft wird. Der Fokus liegt dabei auf einer Verkürzung der Frist für die Rückzahlung der Hypothek sowie auf einer Senkung der Belehnungsquote – Hauskäufer müssten also mehr eigenes Geld einschiessen.