Die grösste Bedrohung unseres Zusammenlebens ist ein sinkendes Volkseinkommen. Staatliche Aufgaben müssen finanziert werden. Eine Polizei, eine Armee, Strassen, Eisenbahnen, der ökologische Umbau der Gesellschaft und auch die gebotene Solidarität mit den Schwächeren unserer Gesellschaft brauchen Geld. Ohne Geld gibt es keinen modernen Staat, der Demokratie, Freiheit, Solidarität, Nachhaltigkeit und Chancengleichheit sicherstellen kann.

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Warum das betont werden muss? Erstens, weil Geld in der Vorstellung von immer mehr Menschen einfach da zu sein scheint. Das muss man nicht erwirtschaften. Der Topf der Steuereinnahmen scheint ewig gefüllt, und im Ernstfall kann man ja noch ein bisschen Schulden machen oder einfach mehr nehmen von den Reichen. Wer reich ist? Diejenigen, die mehr haben als ich!

Zweitens, weil spätestens seit der erzwungenen Corona-Pause das Thema Work-Life-Balance anders gedacht wird. Das erzwungene Homeoffice hat viele zu der Erkenntnis gebracht, dass man auch weniger arbeiten kann. Was nach Covid bleibt, ist eine neue Form der Selbstoptimierung. Wir wissen besser, was wir wollen und was nicht. Es gibt weniger Überstunden, und Teilzeitarbeit explodiert.

Der Gastautor

Der Ökonom Klaus Wellershoff ist Gründer und Verwaltungsratspräsident von Wellershoff & Partners sowie Honorarprofessor an der Universität St. Gallen.

Alles gut und eigentlich genau die Veränderung, für die eine flexible Marktwirtschaft geschaffen ist. Wir arbeiten nicht, damit die Wirtschaft läuft. Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck, sie schafft die Produkte und Dienstleistungen, die wir meinen zu brauchen. Fertig.

Wenn das Motto «Weniger ist mehr» oder «Degrowth» lautet, dann ist das für liberale Menschen also wunderbar. Niemand soll uns doch vorschreiben, was wir wollen.

Nur für den Staat, so wie wir ihn kennen, geht die Rechnung nicht auf. Arbeiten wir weniger oder weniger produktiv, dann sinkt das Volkseinkommen und reduzieren sich damit die Staatseinnahmen. Für den Ökonomen ergibt sich eine auf den ersten Blick irritierende Konklusion: Selbstoptimierung führt nicht notwendigerweise zur Optimierung des Ganzen.

Warum? Weil die, die die Selbstoptimierung perfektionieren, vergessen, dass es Infrastruktur, Sicherheit und Solidarität in der Gesellschaft braucht. Oder sie sich, wenn ihnen dieser Zusammenhang bewusst ist, wissend wie Trittbrettfahrer in der Gesellschaft benehmen. Für gute Schulen, das Abhalten von Wahlen, die Einstellung von Genderbeauftragten und die soziale Unterstützung der Schwachen braucht es Staatseinnahmen.

Laut dem Lexikon der Nachhaltigkeit ist Degrowth ein Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Tatsächlich ist es das Gegenteil: Degrowth ist der Sargnagel des modernen Sozialstaats.