Vier von zehn neuen Firmen werden von Ausländern gegründet. Warum?
Michele Blasucci: Im Vergleich zu den Schweizern sind die Ausländer in der Regel risikofreudiger und ambitionierter. Oft ist das schon in der Familiengeschichte angelegt. Die Eltern verliessen ihre Heimat, um den Kindern eine bessere Zukunft zu bieten. Die zweite Generation will die gebotene Chance nutzen – und gründet oftmals ein eigenes Unternehmen.
Sind denn auch die neu Zugewanderten risikofreudiger?
Ja, das sehen wir in unserer Arbeit fast täglich. Und das nicht nur bei Hochqualifizierten. Ein Beispiel: Der Albaner, der in der Reinigung arbeitet, will früher oder später sein eigener Herr sein. Und gründet mit Bruder und Schwester ein eigenes Putzinstitut. Das bringt die Leute finanziell weiter. Auch in der Gastroszene ist der Trend ausgeprägt.
Und wie ist die Situation bei den Hochqualifizierten?
Auch da gibt es einen Gründungsboom. Der deutsche SAP-Berater, der sich in der Schweiz selbstständig macht. Der Modedesigner aus Italien, der im Tessin ein eigenes Unternehmen gründet. Oder der französische Architekt, der mit seinem Studio nach Genf zieht.
Warum gründen diese Leute in der Schweiz eine Firma und nicht in der Heimat?
Es gibt mehrere Gründe. Die Steuern in der Schweiz sind niedriger. Das Arbeitsrecht ist liberaler. Das ist für Neugründer besonders wichtig. Das Risiko, eigenes Personal anzustellen, ist in der Schweiz leichter zu tragen. In Italien kann man eigentlich niemandem kündigen. Und in Frankreich sind Gewerkschaften so mächtig, sie können alles lahmlegen.
Welche Faktoren sprechen sonst noch für die Schweiz?
Die Verfügbarkeit von qualifizierten Angestellten ist besser. Zudem sind in der Schweiz die bürokratischen Hürden tiefer als etwa in Italien oder Frankreich. Gerade in Italien sagen sich viele, die es zu etwas bringen wollen: «Rette sich, wer kann.» Und in Frankreich verjagt die Steuerpolitik von François Hollande die Unternehmer förmlich in die Schweiz oder in die Benelux-Staaten.
Die meisten Neugründer sind aber Deutsche. Flüchten die auch vor den schlechten Bedingungen im Land?
Nein, Deutschland ist ein anderer Fall. Aber strenge Bürokraten und ein kompliziertes Steuersystem sind auch dort Faktoren. Was wir viel sehen, sind zum Beispiel deutsche Ärzte oder Doktoranden, die wegen der guten Löhne in die Schweiz kommen. In der Freizeit arbeiten sie an anderen Projekten und melden dann ein Patent an. Daraus ergeben sich immer wieder spannende Firmengründungen. Die Firma wird oft im Nebenerwerb geführt, bis der richtige Zeitpunkt kommt, um voll einzusteigen.
Welche Kantone profitieren besonders von der Unternehmer-Zuwanderung?
Letztes Jahr war es das Tessin. Die Zahl der letztes Jahr neu eingetragenen Firmen stieg um fast 15 Prozent auf über 3200! Auch Genf, Zürich und die Waadt sind sehr beliebt.
Welche Probleme haben denn ausländische Gründer in der Schweiz?
Grundsätzlich sind es die gleichen Probleme wie bei Schweizer Gründern. Es ist insbesondere am Genfersee fast unmöglich, zahlbare Geschäftsräume zu finden. Und gutes Personal ist ebenfalls vor allem in der Romandie knapp.
Also ist die sogenannte Masseneinwanderungsinitiative auch unter ausländischen Gründern ein Thema?
Und wie! Weil die Gründer eben schnell merken, dass gutes Personal knapp ist. Viele Firmen – auch Startups.ch – sind gezwungen, IT-Entwicklungsaufträge ins Ausland zu vergeben, weil wir in der Schweiz niemanden finden. Insbesondere für Internet-Startups ist das ein grosses Thema. Eine Annahme der Initiative wäre deshalb vor allem für diese katastrophal.