Das starke Bevölkerungswachstum und die Ungleichheit zwischen den Kantonen sind zwei Hauptprobleme der Schweiz und prägen die anstehenden Abstimmungen. Das Bevölkerungswachstum lässt die Kosten von Netto-null-CO2 explodieren, und die kantonale Ungleichheit multipliziert die negativen Folgen der OECD-Mindeststeuer.
Beide Probleme hängen auch vom Finanzausgleich ab. Dieser soll Unterschiede zwischen Kantonen und zwischen Gemeinden hinsichtlich ihrer Finanzkraft ausgleichen, also ihrem potenziellen Steueraufkommen pro Kopf bei durchschnittlicher Steuerhöhe. Bei reichen Kantonen schöpft er rund 30 Prozent der überschüssigen Finanzkraft ab; bei armen Kantonen ergänzt er sie auf rund 90 Prozent des Kantonsdurchschnitts. Wenn also reiche Kantone ihre Finanzkraft dank guter Standortpolitik verbessern können, müssen sie etwa 30 Prozent abgeben.
Wenn aber arme Kantone ihre Finanzkraft erhöhen können, gehen die Ausgleichszahlungen im gleichen Umfang zurück, sprich: Die Armen verlieren praktisch ihre gesamten Mehrerträge. Damit haben reiche Kantone weit stärkere Anreize als arme, ihre Finanzkraft durch kluge Standortpolitik zu verbessern. Deshalb ist der Finanzausgleich kein Kitt, sondern Sprengstoff für die Schweiz. Die Ausgleichssysteme innerhalb der Kantone wirken oft noch lähmender, weil sie den reichen Gemeinden noch mehr wegnehmen.
Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und regelmässiger Kolumnist der «Handelszeitung». Die in den Kolumnen vertretenen Ansichten können von jenen der Redaktion abweichen.
Förderung von Bevölkerungswachstum, Verdichtung und Zersiedelung
Für die Berechnung der Finanzkraft zählen die Einkommens- und Vermögenssteuern von natürlichen und juristischen Personen – aber nicht die Grundstückgewinnsteuern und die Mehrwertabschöpfung bei Ein-, Um- und Aufzonungen.
Das gibt den Kantons- und Gemeinderegierungen perverse Anreize: Während es ihnen nichts oder nur wenig nützt, wenn bei ihnen das Einkommen pro Kopf besonders stark wächst, profitieren sie voll, wenn es viele Liegenschaftsverkäufe sowie Ein- und Umzonungen gibt, sprich: wenn Bevölkerung, Verdichtung und Zersiedlung boomen.
Denn das lässt ihre Steuereinnahmen, Budgets und Bedeutung wachsen. Aber für die Einwohnerinnen und Einwohner ist es nur negativ. Weil die Infrastrukturkosten überproportional zum schnellen Bevölkerungswachstum ansteigen, bleiben für sie netto Verluste.
Was also tun? Den Politikerinnen und Politikern müssen wirksame Anreize gegeben werden, für mehr Lebensqualität und Wohlstand statt für Bevölkerungswachstum und Verdichtung einzutreten. Leider erscheint es unrealistisch, starkes Bevölkerungswachstum abzustrafen. Umso mehr sollte den Kantonen und Gemeinden, die den Wohlstand pro Kopf und so die Finanzkraft steigern, das Geld nicht gleich weggenommen werden, sondern es sollte ihnen während vier bis acht Jahren ein Bonus bezahlt werden.
1 Kommentar
Ein Problem was ich seit Jahren beobachte ist, dass wir zu viele Gemeindepolitiker haben, die immer den Stimmbürgern erklären, dass wir in den Gemeinden viel Schulden machen müssen, dass wir Finanzausgleich bekommen. Mittelfristig sind die Gemeinden dann Sanierungsfälle, wo dann der Kanton plötzlich die Verwaltung übernimmt, verbunden mit Steuererhöhungen für die Einwohner. Die Schuldenpolitik ist eines der grössten Probleme in den Gemeinden und Kantonen, aber auch der Bürger ist Mitschuld, er fordert immer die Gemeinde muss zahlen, für wirklich Unmögliches oder vor allem Unnütztes.