Die Luft ist geschwängert vom Geruch des Stahlabriebs, Schweisser stehen im Funkenregen, der Gabelstapler bahnt sich einen millimetergenauen Weg, beladen mit einem tonnenschweren Asphaltmischer. «Das funktioniert wie der Mixer zu Hause in der Küche», erklärt ein Arbeiter in Ammanns grösster Produktionshalle am Hauptsitz im bernischen Langenthal. Mit dem Unterschied, dass diese Maschine weder Karotten noch Gurken vermengt, sondern ein Vier-Tonnen-Gemisch aus Kies, Sand und dem Bindemittel Bitumen – und das in weniger als einer Minute.
In Langenthal fabriziert der Strassenbau-Zulieferer Ammann die Schlüsselkomponenten für seine Asphaltmischanlagen, die später in die Welt verschifft werden. Brasilien steht als Destination auf den Hightech-Maschinen – oder Indien, Italien.
Sechste Generation
Langenthal ist Ammann-Land: Der Arbeitgeber zählt 1200 Mitarbeitende, davon 124 Lehrlinge. Das Firmenlogo säumt den Weg entlang der Bahnlinie. 300 Millionen Franken hat der Konzern in den letzten zehn Jahren in den Standort investiert. Chef im Land des 145-jährigen Konzerns ist seit einem Jahr ein 34-Jähriger: Hans-Christian Schneider führt das Familienunternehmen in sechster Generation.
In Gestik, Mimik und Artikulation gleicht er seinem Vater und Vorgänger, Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Doch Hans-Christian Schneider argumentiert präziser, bringt seine Position auf den Punkt. «Was wollen Sie wissen?», fragt der junge Patron bestimmt, aber mit Schalk im Nacken.
Er sitzt vor einem in die Jahre gekommenen hellbraunen Büchergestell, ein Exemplar des Buches von Orientierungsläuferin Simone Niggli-Luder lehnt an der Wand: «Unterwegs mit der besten OL-Läuferin der Welt». Das Buch ist typisch für Schneider. Ausdauer und Zähigkeit braucht der junge Ingenieur und ehemalige OL-Läufer auch als oberster Asphaltmischer der Ammann Gruppe.
Dem Chef von 3400 Mitarbeitenden, verantwortlich für aktuell 910 Millionen Franken Umsatz, pfeift eine steife Bise um die Ohren. Der Umsatz brach nach dem Kollaps von Lehman Brothers und der Eurokrise ein, die Regierungen auf dem alten Kontinent sistieren Infrastrukturprojekte. Das hat für den Langenthaler Konzern, der rund zwei Drittel des Umsatzes in Euroland macht, Konsequenzen. «Die Eurokrise setzt uns noch immer zu. Europa hat sich bis heute nur teilweise erholt. Das wirkt sich logischerweise auch auf die Resultate aus», sagt Schneider. Seither sind die Ergebnisse unter Druck. Im Kerngeschäft, in der Industriegruppe in Langenthal, schreibt Ammann rote Zahlen – und das seit Ausbruch der Krise. Profitabel ist dort nur das in der Avesco zusammengefasste Handelsgeschäft. Deshalb gilt: Alternativen müssen her.
Identische Grundwerte
Zuletzt musste sich Schneider aber mit einem Kapitel aus der Ära seines Vaters herumschlagen. Dieser führte bis 2009 als Konzernchef und Verwaltungsratspräsident Offshore-Konten erst in Luxemburg und dann auf Jersey. Schneider verzieht das Gesicht. «Solche Gesellschaften sind für ein internationales Unternehmen üblich und waren in unserem Fall immer legal und gegenüber den Steuerbehörden transparent», kommentiert er. Mehr will er dazu nicht sagen. Sein Job ist schwierig genug.
Hans-Christian Schneider trägt die Bürde, ein Familienunternehmen in die Zukunft zu führen. Und er trägt die Bürde, ständig mit seinem Vater verglichen zu werden. Der Vater Johann, mehr als zwei Jahrzehnte Konzernchef und Verwaltungsratspräsident des Langenthaler Familienunternehmens, polternder Präsident des Industrieverbands Swissmem, FDP-Bundesrat. «Hannes Schneider», wie sie ihn nennen, war Mr. Werkplatz, schoss gegen hohe Managersaläre, drohte dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse mit dem Austritt der mächtigen Swissmem. Ein Unternehmer, ein Patron, der links wie rechts Beifall abholte und sich damit in den Bundesrat beförderte.
Hans-Christian Schneider geht seinen eigenen Weg. Sein Asset: Er ist kein Politiker. Er muss nicht gefallen. Er muss die Ammann Gruppe weiterentwickeln. «Ich glaube nicht, dass politisches Engagement die unternehmerische Tätigkeit beeinflusst. In den Grundwerten unterscheiden sich mein Vater und ich nicht», sagt Hans-Christian Schneider, der wie sein Vater Mitglied der FDP ist. «Aber bei den einzelnen Entscheiden gibt es sicherlich Abweichungen. Schliesslich haben sich auch die Welt und die Märkte in der Zwischenzeit weiterentwickelt.»
Das kam bislang gut an. Er sei fokussiert, höre zu, sei intelligent und spreche Probleme direkt an, sagen jene, die ihn gut kennen. Vielleicht fällt es dem zweiten Konzernlenker mit Nachnamen Schneider an der Ammann-Spitze auch etwas leichter. Schneider: «Wir stehen als Familie geschlossen hinter der industriellen Tätigkeit und haben eine klare Rollenverteilung. Ich kann mich voll auf das industrielle Geschäft konzentrieren.»
Ganz den vorgespurten Pfad mag Hans-Christian Schneider aber nicht verlassen. Er sitzt im Swissmem-Vorstand. Gleichzeitig ist Ammann-Präsident Christoph Lindenmeyer einer der zwei Vizepräsidenten des Verbands. Auch nach Vater Johanns Abgang bleibt die Ammann Gruppe eine starke Stimme. Doch Schneider relativiert: «Ich wurde angefragt und sagte Ja. Christoph Lindenmeyer und ich stellen sicher, dass Ammann immer vertreten ist.»
Festhalten am Werkplatz Schweiz
Hans-Christian Schneider hat schon einige Meilensteine gesetzt. Dem darbenden europäischen Markt trotzte er mit der Expansion nach Indien und Brasilien, die langjährige Beteiligung am Kunden Implenia reduzierte er. «Wir haben Implenia im Abwehrkampf gegen Laxey geholfen. Heute ist die Unternehmung sehr stabil und erfolgreich unterwegs und braucht uns nicht mehr», sagt Schneider. Und auch der Hauptsitz Langenthal wird unter Schneiders Ägide verstärkt auf seine Profitabilität durchgekämmt. «Wir müssen selbstverständlich strategisch, operativ und betriebswirtschaflich überprüfen und optimieren. Damit wir den Werkplatz Langenthal aufrechterhalten können, müssen wir langfristig erfolgreich sein.»
Die Überprüfung der Gesamtstrategie und der Wirtschaftlichkeit ist ein Schritt, dem am Hauptsitz grosse Bedeutung zukommt. Denn die Holding hat sich quasi eigene Fesseln auferlegt. Statutarisch ist das Unternehmen der «langfristigen Sicherstellung des Fortbestandes dieser Gesellschaften und – auf direkte und indirekte Weise – der Arbeitsplätze in Langenthal» verpflichtet, auch wenn das im Oberaargau rote Zahlen bedeuten könnte. «Ich hätte mehrfach ausweichen und an billigeren Standorten Geld verdienen können. Das haben wir nicht gemacht», sagte Bundesrat Johann Schneider-Ammann jüngst der «NZZ».
Ammann fabriziert die Kernelemente ihrer Asphalt-Mischanlagen in der Schweiz und liefert sie dann in die Produktionsanlagen nach Deutschland, Italien, China, Brasilien oder Indien. Da freuen sich zwar die Sozialpartner. Betriebswirtschaftlich ist das aber wenig sinnvoll. Ammann-Kenner sprechen von einem Fass ohne Boden, zollen der Familie gleichzeitig aber Respekt. Denn der Familienkonzern folgt nicht dem Prinzip der Gewinnmaximierung. Ammann strebt nach Erfolg, aber nicht um jeden Preis: Mitarbeiter sind das höchste Gut. Die Familie folgt hohen ethischen Prinzipien. Das kann sie sich leisten: Die Firma gehört ihnen zu 100 Prozent. Mit Ulrich Andreas Ammann wohnt gar ein Familienmitglied im ländlichen Madiswil BE, wo vor über hundert Jahren der Grundstein zur heutigen Unternehmung gelegt wurde.
Vom Mahlen zum Mischen
Ende des 19. Jahrhunderts fertigt Unternehmensgründer Jakob Ammann in Madiswil Mühlen, Wasserräder und Turbinen, sein Bruder Ulrich, ausgebildeter Mühlenbauer, fokussiert später auf Antriebe für Brot- und Futtermehl-Mühlen. Ab 1896 residiert die Firma am heutigen Standort Langenthal, acht Jahre später folgt die erste Maschine zum Mischen von Kies und Teer, ab 1931 ist Ammann Exklusivvertreiber der Baumaschinen von Caterpillar. Ammann trennt das Schweizer Handelsgeschäft 2001 unter dem Namen Avesco ab. Die Firma beschäftigt mittlerweile etwa die Hälte der 1200 Langenthaler Mitarbeiter. Die Umsatzzahlen werden für die Schweiz aber gemeinsam dargestellt. Avesco-Vizepräsidentin ist Hans-Christians Schwester Daniela.
In all den Jahren bleibt Langenthal die Basis. Eine Region mit bodenständigen Familien – wie den Ammanns. Daran ändert auch nichts, als Ende der achtziger Jahre in fünfter Generation mit Johann Schneider erstmals ein Firmenlenker den Konzern führt, der nicht in direkter Nachfolge steht. Mit seinen beiden Schwagern Christoph und Ulrich Andreas stehen Schwiegersohn Johann zwei direkte Ammann-Nachkommen zur Seite. Schneider ordnet dem Erhalt des Werkplatzes Schweiz und des Standorts Langenthal alles unter. Die zeitweise durchzogenen Resultate in Langenthal nimmt er in Kauf. Das kann sich nur leisten, wer auf einer vollen Kasse sitzt. Hans-Christian Schneiders Grossvater Ulrich Ammann hatte vorgesorgt. Als er 1972 die Holding gründete, hielt er in den Statuten auch «Erwerb und Verwaltung von sonstigen Vermögensanlagen sowie Durchführung von Finanzgeschäften» fest. Das praktizierte man laut mehreren Quellen offenbar mit einigem Erfolg.
Finanzkräftig
Ammann schaffte sich in den Anfängen mit erfolgreicher Handels- und Industrietätigkeit einen schönen Grundstock. Vor allem der Vertrieb von Caterpillar-Baumaschinen war lukrativ. Die Vermögensverwalter legten dem Vernehmen nach das familiäre Portfolio (u.a. Swatch, Mikron, Implenia) derart clever an, dass das Finanzvermögen insbesondere in den neunziger Jahren stark wuchs. Bis vor der Wirtschaftskrise dürften sich die Eigenmittel auf mehr als eine Milliarde Franken vermehrt haben, schätzt BILANZ; auch mit den Finanzgesellschaften in Luxemburg oder Jersey. Dort parkierten die Berner offenbar Obligationen. Bonds deshalb, weil diese im Gegensatz zu Aktien zu 80 und nicht bloss zu 60 Prozent belehnbar waren.
Die Ammann Gruppe sei eine Bank mit einer Werkstätte, pflegten die Revisoren bei der Rechnungsabnahme jeweils zu sagen. Ähnliches galt früher für den Pharmakonzern Roche oder die Ems-Chemie. Hans-Christian Schneider macht es wie immer, wenn ihm Fragen zu Ammanns Innenleben gestellt werden. Er schmunzelt vielsagend und meint: «Dazu will ich mich nicht äussern.» Er fügt dann doch an: «Ammann ist seit je Bauausrüster. Und dies mit Herz und Seele. Ammann hat in ihrem Industrieteil über die letzten zehn Jahre im Durchschnitt Geld verdient.» Das klingt nach einem Auf und Ab. Allein aus Produktionserträgen wäre die Expansion in die Schwellenländer wohl kaum finanzierbar gewesen.