Gleich dreimal hat Ilona De March in den letzten drei Wochen ihr Flugzeug verpasst. Und obwohl sie sagt, dass ihr die Reiserei, die der Job mit sich bringe, Spass mache, gibt sie zu: «In solchen Momenten frage ich mich manchmal schon, warum ich mir das antue.»

Doch lange halten ihre Zweifel nicht an. Dazu arbeitet De March zu gerne. Als Konzernleitungsmitglied des holländischen Business-Reiseanbieters BCD Travel ist sie zuständig für 62 Länder und Chefin von 4500 Mitarbeitern. Daneben sitzt sie seit gut einem Jahr im Verwaltungsrat der SBB, wo sie Mitglied des Risikoausschusses ist. Zur monatlichen Sitzung der Schweizerischen Bundesbahnen reist sie diesmal aus Chicago an. Und schon am nächsten Tag geht es weiter via London nach Südafrika.

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Die 47-Jährige ist eine der wenigen Schweizer Top-Managerinnen, die im Ausland reüssiert haben. In der Reisebranche geniesst sie einen exzellenten Ruf. Sie sei entscheidungsfreudig, engagiere sich «mit Haut und Haar» für ihren Job und traue sich grundsätzlich fast alles zu, heisst es über sie. Einziger Kritikpunkt: Sie sei «ungeduldig wie ein kleines Kind». Bei diesem Profil kommt unweigerlich die Frage auf: Was macht eine solche Person im Verwaltungsrat der SBB - einem Gremium also, dessen Spielraum aufgrund der politischen Vorgaben begrenzt ist? Darauf angesprochen, lacht De March und sagt dann in breitem Baslerdialekt: «Geduld leere.»

Managerin als Berufswunsch

Es sei schon eine neue Erfahrung, wenn sie über Themen entscheiden müsse, die im Jahre 2030 umgesetzt würden. «Da habe ich auch schon mal gerechnet und mich gefragt: Arbeite ich dann überhaupt noch?» Zur schnelllebigen Reisebranche sei das aber ein spannendes Kontrastprogramm. Strategie sei etwas Langfristiges. Und sie fühle sich sehr wohl im Gremium, wo mit Christiane Brunner eine weitere Frau Einsitz hat. Nach 16 Jahren im Ausland habe es sie gereizt, in ihrer Heimat eine Zusatzaufgabe zu übernehmen.

Dass sie beruflich etwas erreichen wollte, wusste Ilona De March schon früh. «Ich habe während der Schule schon in diese Poesie-Alben geschrieben, dass ich Managerin werden will.» Ihr italienischer Vater hätte es indes lieber gesehen, seine Tochter hätte früh geheiratet und Kinder bekommen. Ihre Mutter habe sich diesbezüglich aber durchgesetzt. Ihre Vorliebe für Style, Design und für gutes Essen - das habe sie von ihrem Vater geerbt, der früh verstarb. Ihre Mutter habe danach die beiden Töchter alleine durchbringen müssen. «Sie war tough. Wenn sie etwas nicht geschafft hat, dann tat sie sich drei Tage lang leid, aber danach ist sie wieder aufgestanden und weiter gings.»Zur Mutter pflegt De March auch heute noch regen Kontakt. Vor 16 Jahren wanderte diese nach dreiwöchigen Ferien spontan nach Kenia aus - ohne dass sie Englisch konnte oder dort über ein Beziehungsnetz verfügt hätte. Heute lebt sie in der Nähe von Mombasa. Auf ihrer Reise nach Südafrika, die ansteht, wird De March wie meistens eine Stippvisite bei ihrer Mutter einlegen. Ein bis zwei Tage wird sie bleiben, dann muss sie weiter.

Die Verwaltungsratssitzungen der SBB dauern jeweils einen ganzen Tag. Manchmal hat sie am Tag davor noch eine Sitzung des Risikoausschusses. An den Sitzungen sei jeweils die SBB-Konzernleitung mit dabei, Firmenchef Andreas Meyer bleibe gar während des ganzen Tages da.

Meyer wird aufgrund seines Führungsstils zuweilen hart kritisiert, es gab unter seiner Leitung verschiedene Wechsel auf oberster Stufe. Wie schätzt sie die Stimmung in der Konzernleitung ein? «Die Aussenwahrnehmung und das, was ich mit der Konzernleitung erlebe, sind wie zwei Paar Schuhe», so De March. Der Verwaltungsrat kenne die Gründe der Fluktuationen der letzten Monate. Abgänge seien normal, «und wenn ein Unternehmen vor derart grossen Herausforderungen steht wie die SBB momentan, dann braucht das eine Verhaltensänderung bei den Menschen, die dort arbeiten». Es sei legitim, wenn Einzelne solche Veränderungen nicht mitmachen wollten.

Der Verwaltungsrat stehe jedenfalls «voll und ganz hinter Andreas Meyer». Dieser mache seinen schwierigen Job «hervorragend», lobt sie. Die Suche nach dem neuen Chef für den Bereich Personenverkehr sei auf gutem Weg, zu kommunizieren gebe es indes noch nichts. Jürg Schmid, der Chef von Schweiz Tourismus, hatte diesen Posten nach nur sechs Wochen im Amt wieder aufgegeben.

«Frauen, ihr müsst euch bewerben!»

Ein Ziel, das De March am Herzen liegt, ist die Erhöhung der Frauenquote im obersten SBB-Kader. Von heute 8 will man den Anteil bis ins Jahr 2014 auf 15 Prozent fast verdoppeln. Wie soll das gehen? Für Positionen im Top-Kader spreche man nun ganz gezielt Frauen im Unternehmen an. De March findet aber auch, die Frauen müssten sich von sich aus bemerkbar machen. Sie sage oft: «Meine lieben Damen, ihr müsst euch bewerben!» Viele Frauen im mittleren Kader würden einen guten Job machen, aber das falle niemandem auf. Sie sehe das bei sich und ihren 4500 Angestellten bei BCD Travel: Mit vielleicht 30 oder 40 Mitarbeitern arbeite sie regelmässig zusammen und könne diese realistisch einschätzen. «Beim Rest habe ich keine Chance.»

Persönlich macht sie durchaus auf sich aufmerksam. Sie hat sich in der Vergangenheit auch mal ungefragt bei der einen oder anderen Firma gemeldet. Zudem hat sie sich schon auf Stellen beworben, bei denen sie nicht alle Qualifikationen mitbrachte. «Es geht doch darum, die eigenen Vorzüge herauszustreichen und aufzuzeigen, was man mitbringt. Und nicht zu betonen, wo allfällige Defizite liegen.» War sie immer so selbstbewusst oder hat sie sich das angeeignet? Wieder lacht sie und sagt: «Wenn Kollegen meine Mutter kennenlernen, sagen sie oft: Jetzt ist uns alles klar.» Ihre Mutter, eine gebürtige Österreicherin, sei auch «eine Laute» gewesen.

Dass sich auch Ilona De March immer wieder etwas zugetraut hat, zeigt sich in ihrem Lebenslauf. Mit gut 20, als sie in der Reisebranche anfing, wollte sie ihr Chef zu einem der schwierigsten Kunden schicken. Sie habe zugesagt. Ihr Chef habe dann noch ergänzt: «Sei nicht überrascht, wenn er dich nach zehn Minuten rausschmeisst - das macht er immer.» Tatsächlich sei dieser Kunde dann ins Sitzungszimmer gekommen, habe sie gemustert und gesagt: «Oha, eine ganz Neue. Was haben Sie für mich?» Sie habe geantwortet: «Das versuche ich grade herauszufinden.» Rausgeschmissen hat er sie nicht. Vielmehr war diese Begegnung der Grundstein einer jahrelangen Zusammenarbeit.

Lieber gearbeitet als studiert

Auf Leute zugehen und zuhören, das liegt ihr. Immer wieder ist sie dabei auf Menschen wie diesen Grosskunden gestossen, die ihr eine Chance gaben. «Man kann vieles durch eigene Leistung erreichen, aber man braucht auch stets etwas Glück für den Erfolg.» Das habe sie gehabt.

Und so kam es, dass De March ohne Studium in den letzten Jahren Stufe für Stufe auf der Hierarchieleiter erklommen hat. Aus der Ground Hostess bei der früheren Swissair - auch da war sie von Anfang an für die schwierigen Kunden zuständig -, wurde sie erst Verkaufsleiterin von Carlson Wagonlit Travel in Deutschland, wechselte dann ins Hauptquartier von TQ3 und amtet seit der Übernahme durch BCD Travel in ihrer heutigen Position als Chefin der Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika (Emea).

«Ich wollte arbeiten», sagt sie als Begründung, warum sie nicht studiert habe. Sie war zwar Klassenbeste, hat sich aber gegen die Matura und für die Handelsmittelschule entschieden. Denn dort konnte sie Wirtschaftsfächer besuchen, was sie unbedingt wollte. Die fehlende akademische Ausbildung war in ihrem Berufsleben nie ein Hindernis. «Learning by doing» liege ihr. Genauso wie der Kontakt mit Kunden. Inzwischen kennt sie die meisten Eigenheiten ihrer internationalen Klientel. Ihr Beruf bringe es mit sich, dass man aufeinander zugehe und Kompromisse mache - auch wenn man manchmal eine andere Sprache spreche. De March hält wenig von Floskeln. Als ein englischer Kunde eine Präsentation von ihr kürzlich mit den Worten «Thats interesting» quittierte, habe sie nur gelacht und gesagt: «You mean its bullshit.» Eine neue Präsentation musste her, und die hat dann gepasst.

Fotografieren als Hobby

Vor lauter Kundengesprächen und den vielen Reisen bleibt ihr nur wenig Zeit für ihren Partner, mit dem sie in Amsterdam ein Appartement in einer ruhigen Gracht teilt. Der Partner ist Controller in einem grossen Unternehmen und beruflich ebenso eingespannt wie sie. Dass sie kinderlos blieb, hat ihre Mutter zwar bedauert, «aber sie hat es akzeptiert, wie sie all meine Entscheidungen akzeptiert hat». In ihrer spärlichen Freizeit fotografiert De March leidenschaftlich gerne. Landschaften und Tiere in Kenia gehören zu ihren liebsten Sujets, «aber ich habe auch schon mal an einer Sitzung gesagt: Jetzt bleibt kurz alle so, wie ihr seid, das muss ich fotografieren!»

Wer so viel berufliche Ambitionen an den Tag legt, stellt bestimmt auch seine Bilder öffentlich aus? De March lacht einmal mehr und sagt dann zwei Sätze, die man von ihr so nicht erwartet: «Ich würde wirklich gerne, aber wissen Sie was? Ich traue mich nicht!»