Grosse, gebogene Nase, kerzengerade Körperhaltung, buschige Augenbrauen unter dem blanken Schädel. Und dieser scharfe, durchdringende Blick. Wie ein alter Häuptling, der Würde, Zufriedenheit und Gelassenheit zugleich ausstrahlt. Einerseits.

Andererseits spürt man bei John Snow, US-Finanzminister, ehemals Chief Executive der Eisenbahngesellschaft CSX Corporation, wie hart er sein kann jenseits diplomatischer Höflichkeit. Hart mit sich, den politischen Gegnern, hart mit denen, die nicht wollen wie er. Fiskalpolitische Übereiferer und masslose Subventionierer etwa. Alles, was irgendwie nach krudem Keynesianismus riecht, jener Politik des leichten Geldes, die darauf hofft, mit staatlichen Ausgaben und niedrigen Zinsen dauerhaft Wachstum zu erzeugen. Scheiterte schon in den Siebzigerjahren …

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Wie John Snow da Ende letzten Jahres in einem Interview des Fernsehsenders CNBC bekräftigte, ein starker Dollar liege im Interesse der USA – man hatte das Gefühl, die ganze Sache sei bei diesem älteren Herrn bestens aufgehoben. Und jetzt: alles Makulatur? Ist John Snow womöglich ein Schwindler? Seine Beteuerung, es gebe keine Veränderung an der Politik des starken Dollars, entpuppt sich jedenfalls mehr und mehr als Lüge. Zumindest als Notlüge eines Währungspolitikers, der Angst vor den Konsequenzen seines Handelns hat: vor Zinsanstieg zum Beispiel und sinkenden Kursen am Aktienmarkt.

Seit Monaten ist der Dollar nun auf Rekordkurs – nach unten. Im Januar gab es kaum einen Tag ohne neuen Tiefststand gegenüber Franken, Euro oder Yen. Dabei wäre eine langsame Abwertung der ehemaligen Leitwährung nach Ansicht der Experten noch nicht einmal ein Problem, wohl aber das Tempo des Verfalls: Sollte der Dollar weiter unter massiven Abwertungsdruck geraten, könnte der Kapitalfluss in die USA deutlich nachlassen.

Die Investment-Bank Goldman Sachs hält einen massiven Rückzug währungsmässig nicht abgesicherter US-Investitionen von Ausländern nicht mehr für ausgeschlossen: «Je stärker sich die Erwartung einer weiteren Dollar-Schwäche verbreitet, desto stärker wird die Bereitschaft der Investoren zum Kauf von amerikanischen Wertpapieren abnehmen.» Bei Goldman Sachs wittert man bereits Kapitalflucht. Für Professor Lester Thurow vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston wäre die Kapitulation amerikanischer Investoren endgültig das Zeichen, dass es brenzlig werden könnte (siehe «Devisenmärkte lassen sich nicht wie ein Auto lenken»). Die Folge: globale Wachstumsverluste, möglicherweise sogar eine Weltwirtschaftskrise.

«Das Ganze sieht nach einem Seiltanz mit ständig steigender Fallhöhe aus», diagnostizierte George Soros im November im Gespräch mit der BILANZ in London. Warnende Worte von einem Mann, der das eine oder andere von Währungskrisen versteht: «Die amerikanische Regierung spielt da mit dem Feuer.»

Professor Lester Thurow über die Dollar-Schwäche
«Devisenmärkte lassen sich nicht wie ein Auto lenken»


BILANZ: Professor Thurow, halten Sie einen Dollar-Crash für möglich?


Lester Thurow: Das Risiko besteht natürlich, dass der Greenback unkontrolliert abwertet. Für allzu wahrscheinlich halte ich das momentan allerdings nicht. Bei aller Aufregung ist die Dollar-Abwertung bisher ja durchaus kontrolliert verlaufen.


Lassen sich die Devisenmärkte überhaupt wie gewünscht steuern?


Die Devisenmärkte sind kein Auto, das sich beliebig lenken lässt. Aber Regierungen und Notenbanken haben ja in den letzten hundert Jahren aus Krisen durchaus gelernt. Dieselben Fehler wie Ende der Zwanzigerjahren würde die Federal Reserve heute kaum mehr machen.


Was steht Ihrer Ansicht nach im Pflichtenheft der Finanzminister an oberster Stelle, damit sich ein Crash vermeiden lässt?


Die Wechselkursrelationen zwischen Dollar, Euro und Yen sollte man im Wesentlichen dem Markt überlassen. Gleichwohl müssen alle grossen Wirtschaftsregionen zusammenwirken, um die globalen Ungleichgewichte geordnet abzubauen. Die Europäer sollten ihr Binnenwachstum vor allem durch Strukturreformen stärken und nicht wieder auf die amerikanische Konjunkturlokomotive warten. Japan könnte noch energischer die Deflation im Land angehen. Und die Schwellenländer Asiens mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen und hohen Währungsreserven sollten in stärkerem Masse die Aufwertung ihrer Währungen zulassen.


Und Amerika? Das Haushaltsdefizit hat bedenkliche Ausmasse erreicht.


Natürlich ist das so nicht haltbar. Ich fürchte, unsere Regierung hofft noch zu sehr, dass sich das Defizitproblem in der Leistungsbilanz über Wachstum allein lösen lässt. Wir müssen aber über Ausgabeneinsparungen nachdenken, gegebenenfalls auch die Steuersenkungspolitik überprüfen.


Und derweil finanziert das Ausland brav Amerikas Defizit weiter?


Was wir in den Vereinigten Staaten vor allem brauchen, ist ein starkes Produktivitätswachstum. Und da haben wir die besten Voraussetzungen. Die Produktivität der US-Wirtschaft ist in den Neunzigerjahren enorm gestiegen ...


… was Ihr Kollege Robert Solow vom MIT ja immer bestreitet.


Bob hat nur dargelegt, dass sich die Produktivitätssteigerung mit grosser Verzögerung in den Statistiken niederschlägt. Aber sie ist real – und für mich Garant dafür, dass der Dollar nicht abstürzt. Ein starkes Produktivitätswachstum bildet immer noch die beste Gewähr dafür, dass Kapital, das nach Amerika geht, eine gute Verzinsung bekommt. Wenn die Kapitalgeber das Gefühl hätten, dies sei nicht mehr der Fall, dann hätten die Amerikaner und die Weltwirtschaft wirklich ein Riesenproblem.


Zunächst freilich scheinen die europäischen Exportwirtschaften die grossen Verlierer des Dollar-Verfalls zu sein.


Ja, ihre Ausfuhren leiden natürlich kräftig. Die Europäische Zentralbank muss die Zinsen weiter senken, damit der beginnende Aufschwung nicht gleich wieder über den Export abgewürgt wird. Im Notfall muss sie auch Dollars kaufen, um den Krach abzuwenden. Und schliesslich müssen die Regierungen Europas endlich mehr für Wachstum tun, endlich die Nachfrageseite der Volkswirtschaft stimulieren – auch wenn das nicht in die herrschende Wirtschaftsideologie passen mag.


Lester Thurow ist Professor für Wirtschaft und Management an der Sloan School of Management in Cambridge, Massachusetts. Der 65-Jährige begründete seinen Ruhm als Autor zahlreicher Bücher, darunter die «Reichtums-Pyramide», «Die Zukunft des Kapitalismus», «Kopf an Kopf» oder sein neuestes Buch, «Die Zukunft der Weltwirtschaft». Über das Thema seines letzten Buches wird er in der Schweiz einen Vortrag halten (2. Februar, 17.15 Uhr im Gottlieb Duttweiler Institut, Rüschlikon, Telefon 01 724 61 11, E-Mail: info@gdi.ch).

Mit seinen gigantischen Ausgabenprogrammen – nicht zuletzt zur Finanzierung des Waffengangs im Irak – und der ebenso grosszügigen Steuerreform hat George W. Bush innerhalb kürzester Zeit den US-Haushalt ruiniert. War sein Vorgänger Clinton noch stolz auf Überschüsse, summierte sich das Staatsdefizit der Amerikaner im vergangenen Jahr auf 400 Milliarden Dollar. Die unsoliden Staatsfinanzen und die Niedrigzinspolitik der US-Notenbank, die europäische Staatspapiere für Anleger attraktiver macht, belasten den Dollar ebenso wie das enorme Leistungsbilanzdefizit in Höhe von rund fünf Prozent des amerikanischen Bruttoinlandproduktes. Die Amerikaner importieren sehr viel mehr, als sie ausführen – und das auf Pump.

Noch in den Neunzigerjahren tauschten die Investoren aus aller Welt ihre Yen und Pfund bereitwillig in Dollars und legten sie in den USA an, in der Hoffnung, in dem ewigen Boomland ordentliche Renditen zu erzielen. Die Folge war ein stetig steigender Dollar-Kurs. Doch die Anleger haben umgedacht. Da sie die eindrucksvollen US-Konjunkturzahlen für ein Strohfeuer halten, bricht die Nachfrage nach amerikanischen Wertpapieren deutlich ein. In der Folge verliert der Dollar an Kraft, und der Kurs des Euro steigt schier unaufhaltsam. Verabschiedet sich die Finanzgemeinde aber zu schnell von der amerikanischen Valuta, dann ist Schluss mit vom Ausland finanzierten Krediten. Die USA könnten sich zwar vergangener Schulden entledigen, aber wer soll die künftigen bezahlen?

Fast 50 Milliarden Dollar Zuflüsse von aussen brauchen die Amerikaner Monat für Monat, um weiter über ihre Verhältnisse zu leben, sprich mehr ausgeben zu können, als sie im Inland erwirtschaften. Dabei ist es egal, in welcher Form das Geld ins Land kommt – über Investitionen in US-Aktien, in US-Staatsanleihen oder als Direktinvestitionen.

Sechs Monate in Folge ziehen die ausländischen Anleger aber schon Geld von der Wall Street ab, obwohl die Kurse steigen – allerdings nur in Dollars gerechnet. Zum Glück gibt es die asiatischen Zentralbanken, allen voran die japanische und die chinesische. Sie subventionieren den Dollar, damit ihre Exportgüter nicht teurer werden. Die asiatischen Notenbanken verhindern per Intervention am Devisenmarkt ein Nachgeben des Greenback gegenüber Yen, Renminbi oder Hongkong-Dollar. Sie kaufen mit dem eigenen Geld unbegrenzt Dollars auf und legen sie in US-Staatsanleihen an. Das verhindert einerseits den ultimativen Dollar-Crash, andererseits hält es die Zinsen auf US-Anleihen schön niedrig.

Die internationalen Investoren haben dieses Spiel durchschaut. Sie wissen, dass das Leistungsbilanzdefizit nur noch durch öffentliches Geld gedeckt ist. Irgendwann werden auch die asiatischen Zentralbanken aufhören, Amerika unbegrenzt Geld zu geben, fürchten sie. Eine verunglückte Auktion von Staatsanleihen, ein Ausrutscher eines Zentralbank-Verantwortlichen im falschen Moment könnten einen dramatischen Kurssturz des Dollars auslösen. «Die Erfahrung zeigt, dass bei einer zu einseitigen Marktstimmung keine Anstiegsdynamik mehr entwickelt werden kann», erklärt Spekulant Soros. Ein Dollar-Crash würde zu einer starken Kapitalflucht aus Amerika führen, die nur durch einen deutlichen Zinsanstieg aufgefangen werden könnte. Das wäre jedoch Gift für die Börsen.

Die Entwicklung wäre verheerend: Wenn der Dollar nichts mehr wert ist, warum sollte man noch Euro oder Yen halten? Wer kann schliesslich den anderen Ländern etwas abkaufen, wenn die USA als Einkäufer der letzten Rettung ausfallen? Den Ländern bliebe das «Prinzip Hamstern», wie in Deutschland nach 1945: in Kellern und auf Dachböden, aber auch in den Wohnzimmern nach alten Meistern oder dem Familiensilber suchen, um damit in der Hoffnung aufs Land zu fahren, dass wohlmeinende Bauern dafür etwas zum Essen herausrücken. Aus der Traum von einer globalen, dynamischen Wirtschaftsordnung.

Wie nervös die Stimmung dieser Tage ist, zeigt sich, wenn sogar ein gestandener Notenbanker wie Wim Duisenberg himmlische Mächte um Hilfe bittet: Er hoffe und bete, dass sich die unausweichliche Abwertung des Dollars langsam und in geordneten Bahnen vollziehe, liess der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) vor kurzem wissen.

Tatsächlich mehren sich ängstliche Stimmen, die Devisenmärkte könnten in eine psychologisch bedingte Übertreibungsphase schlingern. Ein weiterer Euro-Anstieg, und der zarte Konjunkturaufschwung in Europa wäre futsch, glaubt Werner Sinn, Präsident des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung. Wer sich nicht ausreichend gegen Wechselkursrisiken abgesichert hat, dem verhagelt es jetzt schon die Bilanzen. Aus Befragungen von Unternehmen geht hervor, dass bei einem Euro-Kurs von 1.30 Dollar die Gefährdungsgrenze erreicht wird. «Dann wird die Luft für exportorientierte Firmen wirklich dünn», so Sinn.

Drei Viertel der Dollarschulden der USA liegen als Guthaben bei Notenbanken und Privatanlegern im Ausland. Wird der Dollar abgewertet, geht dies also zu drei Vierteln zu Lasten der ausländischen Notenbanken und Gläubiger. Insbesondere die Notenbanken könnten geneigt sein, ihre Dollar-Devisenreserven in die USA zurückzuführen. Das aber würde die Abwertung des Dollars weiter beschleunigen. Deshalb hat der amerikanische Aussenminister die europäischen Regierungen beschworen, den Dollar zu halten. Diesen bleibt kaum etwas anderes übrig, als diesen Befehlen zu gehorchen, wenn sie nicht andere Strafmassnahmen riskieren wollen.

Was bleibt zu tun? Bisher haben die USA das Abstürzen des Dollars durchs Fed und durch die «schwarze Kasse» des Treasury Departement, den Exchange Stabilization Fund (ESF), zu halten versucht. Dies geht kaum mehr, weil auch der Goldmarkt abgestützt werden muss und die USA zudem mit Milliardenbeträgen die politische Gefolgschaft anderer Länder wie Pakistans, der Türkei, Polens oder Russlands erkaufen mussten. Die Kurspflege des Dollars scheint an ihre Grenzen gekommen.

Wenn George Bush im Herbst 2004 wieder gewählt werden will, kann er allerdings keinen Kollaps der Aktien- und Bondmärkte gebrauchen. Rettung verspricht – zumindest kurzfristig – ein Plan, der in Washington bereits den Senat passiert hat. Danach wird den US-Unternehmen angeboten, ihre im Ausland verdienten und dort noch liegenden Gewinne innert zwölf Monaten steuergünstig in die USA zu transferieren. Und zwar zu einem Satz, der statt der üblichen 35 Prozent nur 5,25 Prozent beträgt. Die Experten schätzen die Summe, die repatriiert werden könnte, auf 135 bis 300 Milliarden Dollar. Das entspräche gut der Hälfte des Leistungsbilanzdefizits – gross genug, um den Dollar für ein paar Monate über Wasser zu halten.

Doch reicht das? «Das Schlimmste, was dem Dollar momentan passieren könnte, wäre der Eindruck, der Bush-Administration sei in Währungsfragen der Verstand abhanden gekommen», sagt Carl Weinberg, Chefökonom von High Frequency Economics in New York. Unvorstellbar? Nicht unbedingt. Die Signale, welche die US-Regierung an das Währungsgefüge sendet, stiften unter den Akteuren an den Devisenmärkten seit Monaten Verwirrung.

Nicht nur Finanzminister Snow, auch Präsident Bush hinterliess während seiner letzten Asienreise den Eindruck, dass Washington doch an einem starken Dollar interessiert sei. Dies passt kaum zusammen mit dem Bemühen, die chinesische Führung und auch die japanische Regierung zu bewegen, mehr Flexibilität in Bezug auf den Wechselkurs gelten zu lassen. «Bush ist nach Asien gereist, um über Währungen zu sprechen. Er schien mir aber verwirrt zu sein, welche Position er vertreten soll», kommentierte Weinberg zynisch.

Keine angenehme Position, in die sich John Snow da hineinmanövriert hat. Vor allem vor dem Hintergrund, dass auch Japan den Wechselkurs inzwischen als ein Mittel entdeckt hat, mit dem man der Deflationsfalle entkommen kann. Der Yen befindet sich folgerichtig trotz den gewaltigen Leistungsbilanzüberschüssen des Landes im freien Fall – gegenüber dem Euro.

Es sieht also ganz danach aus, als betrieben mit den USA und Japan die beiden wichtigsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt ein Wechselkursdumping, einen Abwertungswettlauf mit ungewissem Ausgang. Es ist Feuer unterm Dach der Weltwirtschaftsordnung.