Coop setzt auf Schlankheit. Innerhalb weniger Monate hat der Detailhändler ein ganzes Sortiment von Jogurt über Käse, Wurstwaren, Schokolade bis zu Sandwiches mit weniger Fett und wenig bis gar keinem Zucker aus dem Boden gestampft. Und damit einen Volltreffer gelandet. Über 100 Artikel für kalorien- und gesundheitsbewusste Konsumenten führt Coop inzwischen in den Regalen. Wie viel damit bereits umgesetzt wird, will Sprecher Jörg Birnstiel nicht verraten. Er spricht aber von zweistelligen Zuwachsraten und nennt zwei Beispiele: 14% des Tilsiters (1/4 Fett) und 15% aller verkauften Erdbeerjogurts seien bereits «Lifestyle».
Konsumenten geben über 200 Millionen Franken pro Jahr aus
Auch die Migros hat im letzten Jahr ihr Slimline- und Léger-Sortiment erweitert und den Umsatz von 85 auf rund 100 Mio Fr. gesteigert. Besonders gefragt ist Light-Butter, mit einem Absatzplus von 50% innerhalb von zwei Jahren. «Slimline- und Légerprodukte verkaufen sich sogar besser als Bio-Produkte», sagt Migros-Sprecher Urs Peter Naef.
Wie viel die Konsumenten gesamthaft ausgeben, um sich schlank und gesund zu essen, lässt sich nur abschätzen. Allein für kalorienreduzierte Produkte dürfte der Markt im letzten Jahr die Schwelle von 200 Mio Fr. überschritten haben. Noch höher ist der Umsatz mit Functional Food, der laut IHA bereits vor drei Jahren diese Marke erreicht hatte. Die Wachstumskurve hat sich hier aber abgeflacht.
Sicher ist dagegen: Mit «Lifestyle» geht Coop gezielt in eine weitere Nische, die nicht nur hohes Wachstum, sondern noch höhere Margen verspricht. Im Vergleich zu konventionellen Produkten sind für «dünnere» und «gesündere» Produkte bis zu 50% mehr zu berappen. Stephan Wehrle, Pressesprecher bei Emmi, die für Coop und Migros deren Eigenmarken herstellt, begründet die hohen Preise mit der aufwendigeren Herstellung (Entfettung, teure künstliche Süssstoffe) und den hohen Werbekosten. Experten gehen allerdings davon aus, dass bei Functional Food und Low Fat mit deutlich höheren Margen operiert wird. Dass dem so ist, bestätigt Daniela Reichlin, Marketingleiterin der Bio Familia AG. Vor einem Jahr hat das in Sachseln OW ansässige Unternehmen mit «fit crisp» ein Müsli lanciert, das viermal weniger Fett enthält. «Wir haben damit einen Volltreffer gelandet», sagt Reichlin. Gleiches gilt für das Functional-Müsli, das vor sieben Jahren auf den Markt gebracht wurde. Das Unternehmen konnte, seit es auf der Gesundheits-Welle reitet, den Umsatz von 29 auf 41 Mio Fr. steigern, die Menge nahm von 7000 auf über 9000 t zu. Functional Food und Low Fat machen bereits 16000 t aus. Auch unter dem Strich ist mehr geblieben. Emmi wiederum verkaufte im letzen Jahr 113 Mio Fläschchen Molkegetränke (Aktivit, Aloe Vera, Benecol). In diesem Jahr möchte man 300 Mio «Tagesportionen Gesundheit» wie die eigene Werbung formuliert absetzen.
An der Handelsfront profitieren davon Migros und Coop. Sie dürften, wie Thomas Hochreutener von der IHA schätzt, an der Absatzfront vier Fünftel des Kuchens für sich beanspruchen. Unter den Herstellern gehören nebst Emmi und Bio Familia auch Unilever Bestfoods zu den grössten Profiteuren. Genaue Erfolgszahlen geben sie zwar nicht bekannt. Unilever-Managerin Magdalena Färemo spricht aber von zweistelligen Zuwachsraten für die verschiedenen fettarmen Margarinen, die zum Teil mit Pflanzensterinen angereichert werden, was den Cholesterinspiegel senken soll.
Ernährung: Wer gesund isst, kann hohe Gesundheitskosten sparen
Die Hersteller und Händler profitieren nicht zuletzt von den Empfehlungen der Präventivmediziner. Ein Drittel der Schweizer Bevölkerung ist übergewichtig. Nach Schätzungen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) sind rund 30% der Gesundheitskosten, also rund 13 Mrd Fr., auf ernährungsbedingte Krankheiten zurückzuführen. Billiger als mit Medikamenten wie Xenical oder Reductil oder mit teuren Magen-Bypass-Operationen lässt sich Übergewicht präventiv bekämpfen mit einer gesunden, kalorienarmen Ernährung: Jogurt, Kraftriegel, Getreideflocken, Früchte und Gemüse sollen gegen Diabetes II, Herzgefässkrankheiten, Krebs, Osteoporose, Wechseljahr- und Altersbeschwerden sowie Gelenkerkrankungen wirken.
Ob es allerdings auch zusätzliche Vitamine, Mineralien, Faserstoffe sowie spezielle Fette und Bakterien braucht, ist umstritten. Heinrich von Grüningen, Präsident der Schweizerischen Adipositas-Stiftung, rät bei «Functional Food» zu Vorsicht. Die Aus- und Nebenwirkungen der Zusätze seien noch nicht ausreichend erforscht. Im Zweifel sollte auf solche Produkte zu Gunsten von Frischprodukten verzichtet werden.
Und was die Light-Produkte betrifft, so könnten sie die Umstellung auf eine fett- und kalorienreduzierte Ernährung zwar unterstützen. «Sie sind aber kaum geeignet für einen dauerhaften Ersatz normaler Lebensmittel.» Esther Infanger von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung betont: «Wer sich gesund und ausgewogen ernähren möchte, kann sich an die Empfehlungen der Lebensmittelpyramide halten. Dann sind Functional Food und andere Nahrungsergänzungen nicht nötig.»
Die Detailhändler können solche Bedenken wohl kaum ärgern. Sie werden, wenn es um gesunde Ernährung geht, stets zu den Gewinnern gehören, ob nun das Rezept «functional» oder schlicht mehr Obst und Gemüse heisst.