Rush hour im Sihlcity. Schwärme von Angestellten, Schülern und Handwerkern eilen über Mittag ins schicke Zürcher Einkaufszentrum. Im grossen Laden der Modekette Peek & Cloppenburg am Eingangstor aber merkt man vom emsigen Treiben vor der Türe nichts. Im obersten Stockwerk verlieren sich zwei Kunden, auf der ersten Etage finden sich vier und im Erdgeschoss schlendern gerade mal acht Menschen durch das Angebot.
Mit ehrgeizigen Plänen ist die deutsche Modekette aus Düsseldorf vor vier Jahren gestartet. Der Laden im Sihlcity sollte den Brückenkopf bilden für die Expansion in die kaufkräftige Schweiz. Doch es blieb bis heute bei dieser einen Verkaufsstelle. Nun wird der Laden umgebaut. «Wir wollen uns neu positionieren, frischer, jünger, dynamischer und kompetenter daherkommen», erklärt Philipp Troitzsch, Geschäftsführer von Peek & Cloppenburg. Und schickt gleich noch nach: «Es läuft gut.»
Allen Durchhalteparolen zum Trotz: Die neuen Schweizer Shoppincenter laufen mässig. Sihlcity spricht in der Medienmitteilung zwar von einem «weiteren erfolgreichen Geschäftsjahr» und freut sich an der Umsatzsteigerung von 9 Prozent im Jahr 2010. Doch die Erwartungen, welche die Centerleitung bei der Eröffnung 2007 hegte, wurden bei Weitem nicht erfüllt. Damals wurde nach neun Monaten mit 300 Millionen Umsatz gerechnet. Hochgerechnet wären das rund 400 Millionen Franken pro Jahr. Mehr als drei Jahre später sind es erst 372 Millionen. Der heutige Centerleiter Philipp Schoch relativiert: «Das waren Annahmen, die 100 Tage nach der Eröffnung getroffen wurden. Und es fehlen nur noch 28 Millionen bis zu diesem Ziel.» Für 2012 rechne er mit einem Umsatz von 400 Millionen Franken. «Es braucht eine Einführungszeit von fünf Jahren.»
Ausländische Ketten suchen Lokale
Dennoch werden in der Schweiz Einkaufszentren geplant auf Teufel komm raus. In den nächsten Jahren sollen neue Center mit einer Gesamtfläche von rund 510 000 Quadratmetern entstehen, wie Thomas Hochreutener vom Marktforschungsunternehmen GfK errechnet hat. Das sind mehr als 20 neue Westsides. Stark frequentierte Passantenlage sind hierzulande schwierig zu finden. So bleiben vielen expansionswilligen ausländischen Ketten nur Shoppingcenter, um in den Schweizer Markt einzutreten. Sie sind treibende Kräfte im rasanten Ausbau der Flächen.
Dabei sind die Erfolgschancen der ausländischen Anbieter unsicherer denn je. «Der Schweizer Detailhandel wird als attraktiv beurteilt mit hoher Kaufkraft, hohen Margen und Stabilität», schreibt Hochreutener. Dabei werde die Komplexität des Marktes oft unterschätzt. Ein Fakt, den auch Peek & Cloppenburg spürt.
Gebaut wird trotzdem. Die Bauherren sparen dabei nicht. Die drei neusten Einkaufszentren sind allesamt Prestigebauten von international bekannten Architekten. Das Berner Westside hat Daniel Libeskind entworfen. Bei Sihlcity führte Theo Hotz die Hand. Und im Stücki das bekannte Architekturbüro Diener und Diener. Die neuen Malls glänzen mit Design und sparen nicht bei der Grösse. Sie liegen deutlich über der Schweizer Durchschnittsfläche der Einkaufszentren.
Dass das schöne Äussere nicht gegen die Kräfte des Marktes schützt, muss jetzt das Shoppingcenter Stücki lernen. Das Haus im Basler Dreiländereck öffnete im September 2009 seine Tore. Heute herrscht Katerstimmung. «Mindestens ein Drittel aller Mieter würde sofort wieder ausziehen oder die Geschäfte verkleinern, wenn die Eigentümerin einwilligen würde», schreibt Marc-Christian Riebe von der Location Group in einer Marktstudie. Die Umsätze seien jenseits dessen, was man sich auch nur im Geringsten erhofft hatte. «Wir haben mit Detailhändlern gesprochen und uns umgesehen. Die Umsätze im Stücki, aber auch im Berner Westside sind für viele Mieter katastrophal und beim Zürcher Sihlcity kann auch noch einiges gemacht werden», erklärt Riebe seine Aussagen. Gegen diese Einschätzung wehrt sich Stücki-Centerleiter Jan Tanner: «Das ist so nicht richtig. Es gibt Mieter, die nicht so gut gestartet sind, mit denen stehen wir im Dialog.» Wie viele ausziehen wollen, will er nicht beziffern. Die langjährigen Mietverträge haben zur Folge, dass ein Auszug nur unter happigen Verlusten möglich ist oder wenn die Läden einen passenden Nachmieter finden. Im September 2009 gestartet und bereits ausgezogen sind die Taschenmarke Rossi, der Bettwarenverkäufer Fischbacher und das Kleidergeschäft Ward & Robe.
Obwohl das Stücki im September 2009 gestartet ist, sind bisher keine Umsatzzahlen bekannt gegeben worden. Tanner gibt zu: «Der Umsatz entspricht nicht den Erwartungen. Wir sind an allen Fronten gefordert und werden alles in Bewegung setzen, um die Immobilie erfolgreich auf dem Markt zu etablieren. Es braucht eben länger.»
Nur: Der Standort des Einkaufszentrums Stücki verheisst für die weitere Zukunft keinen Erfolg. Im Einzugsgebiet des Stücki liegt das Basler Einkaufszentrum St. Jakob Park. Und im Basler Dreiländereck sind gleich mehrere neue Einkaufszentren geplant: Das 3pays auf französischer Seite beim Flughafen und das Erlenmatt-Center auf Schweizer Boden, kaum 500 Meter vom Stücki entfernt. Treibende Kraft hinter dem Bau des Basler Centers war ebenfalls eine ausländische Kette: So setzte der deutsche Elektronikdiscounter Saturn vom Stücki aus mit seinem ersten Laden in der Schweiz zu deren Eroberung an.
Westside auf halbem Weg
Auch die Westside-Leitung wehrt sich gegen Riebes Aussage, dass es katastrophal laufe. «Ein Einkaufszentrum wie Westside braucht drei bis fünf Jahre, um sich zu verankern», erklärt Sprecherin Andrea Grepper. «Wir sind zeitlich genau auf halbem Weg und als Ganzes voll auf Kurs.» Sie räumt jedoch ein: «Es gibt Läden, die mit der Erwartung sehr zufrieden oder zufrieden sind. Einige wenige haben ihre Zielsetzungen noch nicht erreicht.»
Trotz gesättigtem Markt und teilweise wenig berauschenden Erfahrungen drängen ausländische Anbieter weiter in die Schweiz. Sie hoffen, im Verdrängungskampf bessere Karten zu haben. Und für Finanzinvestoren ist die Rendite von Shoppingcentern nach wie vor attraktiv. Das zeigen Eckdaten von Sihlcity: Bei einem Investitionsvolumen von 600 Millionen Franken betrug der Mietertrag 2008 insgesamt 46 Millionen Franken. Die Immobilienentwickler können mit einer Rendite von 7,6 Prozent rechnen. Das Risiko tragen primär die Händler. «Mietverträge haben eine lange Laufzeit. Viele Mieter sind bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen, dass sie in ein Einkaufscenter einziehen dürfen», erklärt Detailhandels-Experte Hochreutener.
Mit dem Ausbau der Flächen nimmt die Produktivität ab. Bereits von 2000 bis 2007 ist diese Kennziffer gesunken. Während die Verkaufsfläche bei den Einkaufszentren um 58 Prozent zunahm, stieg die Umsatzentwicklung bloss um 37 Prozent. Das führt zu kleineren Margen und verschärft den Konzentrationsprozess (siehe Grafiken).
Es gibt in diesem verrückten Rennen aber auch Gewinner: Die grossen Schweizer Detailhändler. Von den 152 Einkaufszentren gehören 35 der Migros und 27 Coop. Die beiden Marktführer können die sinkende Flächenproduktivität besser abfedern, weil sie daneben von erklecklichen Mieteinnahmen profitieren. So folgt nach dem Rausch für manchen ausländischen Detailhändler der Kater. «Kultmarke Palmers feiert Schweizer Premiere in Sihlcity», verkündete 2007 der österreichische Dessousanbieter. Still hat er sich im Januar aus Sihlcity zurückgezogen, schon bald will er das Abenteuer Schweiz ganz abbrechen.