Im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl und ihrem Bruttoinlandprodukt verfügt die Schweiz über die grösste Anzahl an attraktiven Marken mit internationaler Bedeutung. Hier ist eine Tradition erkennbar, die aus verschiedenen Ursachen entstanden ist:
– einem kleinen Heimmarkt, der die Markeneigner zwingt, sich schnell in Richtung des «grossen, unheimlichen» Auslands zu orientieren,
– höchsten Qualitätsansprüchen, die beinahe schon zu einem Kulturelement im Wirtschaftsleben geworden sind und die Wahrnehmung sowie die Ausbreitung der Schweizer Marken im Ausland massgeblich beeinflusst haben,
– einer starken grafischen Tradition, die das visuelle Erscheinungsbild der Marken als integrativen Bestandteil der Markenleistung begriffen hat,
– einer stark ausgebildeten KMU-Struktur, die echtes Unternehmertum fördert,
– der frühen Entwicklung zur Wissensgesellschaft auf der Grundlage eines relativ kleinen industriellen Kerns und eines traditionell starken Dienstleistungssektors,
– der über allem stehenden und mit grösster Strahlkraft versehenen Marke Schweiz selbst.
All diese Ursachen machen die Schweiz zu einer grösseren Markennation mit langjährigerer und tieferer Verwurzelung, als sie vermeintlich grossen Markennationen wie die USA oder Deutschland aufweisen.
Eigentlich dürften die Schweizer Markenfachleute nicht in die Markenseminare der US-Gurus gehen, sondern sollten den Amerikanern einmal beibringen, was Markenführung heisst. Warum? Markenführung hat immer etwas mit Werthaltigkeit und Nachhaltigkeit zu tun. Aber das ist eine urschweizerische Einstellung. Die US-Markenmanager sind Weltmeister darin, Marken «downzutraden». Ursprünglich als Premium-Brands eingeführt, werden US-Marken häufig und immer schneller in Grund und Boden gemanagt, was sich in der Entwicklung des Durchschnittserlöses pro Verkaufseinheit zeigt. Hauptsache Volumen und schnelles Geld.
Auch die Disziplin der Ausweitung beherrschen die amerikanischen Marketers perfekt: eine Idee, immer wieder multipliziert, mit fast null Anpassungen an die lokalen kulturellen Unterschiede. Markenimperialismus par excellence. Ich persönlich kann die immer gleichen Beispiele von McDonald’s, Nike, Starbucks, Crest und Dell nicht mehr hören, weil sie nicht zu unserer Kultur, Mentalität und Herkunft passen.
Der grosse Mangel der Amerikaner ist das «Uptraden». Sie wissen einfach nicht, wie das geht, und bis auf ganz wenige Ausnahmen (Harley-Davidson) können sie es auch schlichtweg nicht. Das verträgt sich nicht mit ihrer Grundeinstellung des Fast Money und des Big Deal. Franzosen, Italiener und Schweizer sollten Vorträge in Amerika darüber halten, wie man Marken so begehrenswert macht, dass die erzielbaren Durchschnittspreise steigen und alle Welt darüber redet. Ricola, Lindt, Swatch, Rolex, Nestlé, Synthes, UBS und Saurer sind Beispiele dafür, wie Schweizer Markenmanager in ihren jeweiligen Segmenten attraktive und hochwirksame Marken bilden können.
Als Deutscher sei mir aber auch ein kritischer Blick auf die aktuelle Markensituation in meinem Heimatland gestattet. Die Wirtschaftsmedien in Deutschland wurden in den letzten Wochen von einem Thema dominiert: dem Streik bei der Electrolux-Tochter AEG Hausgeräte in Nürnberg. Der Mutterkonzern will das 80 Jahre alte Stammwerk einer der vormals grössten Marken der Welt schliessen und die Arbeitsplätze nach Polen verlagern, dies mit dem Argument, die Produktionskosten seien zu hoch.
Schorndorf bei Stuttgart, Sitz von Bauknecht. Dieselbe Branche, gleiche Produktionskosten. Bauknecht stellt Mitarbeiter ein und arbeitet im Dreischichtenbetrieb, um die Nachfrage befriedigen zu können.
Über Produktionskosten, Effizienz, Produktivität und Kostenstrukturen im Zeitalter der Globalisierung können andere sicher besser reden als ich. Letztlich kommt das Geld immer vom Kunden. Was vorne nicht reinkommt, kann hinten nicht optimiert werden. Was hat AEG falsch gemacht und Bauknecht richtig?
Die AEG-Mutter Electrolux behauptet, der Preiszerfall bei den Kernprodukten im AEG-Sortiment – Wasch- und Spülmaschinen – sei schuld. Der Verbraucher sei nicht bereit, mehr als 500 Euro dafür auszugeben. Wieso erlöst Bauknecht dann im Schnitt rund 1000 Euro pro Maschine? Gibt es ein Gesetz, das Verbrauchern verbietet, mehr als 500 Euro zu zahlen? Gibt es eine Marktforschungsstudie, die besagt, dass Kunden immer weniger für eine Waschmaschine bezahlen wollen, obwohl die Technik, die Qualität, die Zuverlässigkeit, die Bedienbarkeit, der Energieverbrauch stetig optimiert werden? Läuft da nicht etwas falsch und wird auch nicht richtiger, je mehr wir uns daran gewöhnt haben?
Wo liegt die Ursache des Problems? Die meisten Unternehmen in den westlichen Industrienationen haben ein gemeinsames Kernproblem. Sie haben sich in den Jahrzehnten ständiger Produktentwicklung, permanenter Verbesserung, andauernder Innovation, Kundenforschung, Marketing usw. auf ein nie da gewesenes Leistungsniveau geschraubt.
Versuchen Sie mal, ein simples Produkt wie ein Küchenmesser zu kaufen. Sie werden von der Komplexität auf dem Küchenmessersektor erschlagen! Da gibt es nicht nur alle erdenklichen Formen. Es gibt Messer für beinahe jedes Lebensmittel. Es gibt sie eisgehärtet oder aus Damaszenerstahl. Die Stähle haben verschiedene Güte- und Härtegrade. Es geht natürlich auch ohne Stahl, nämlich mit Keramik. Dann kommt noch der Schliff hinzu und, ganz wichtig, die Verbindung zwischen der Klinge und dem Heft. Wie ist diese ausgeführt, wie abrutschsicher ist sie und, und, und? Unzählige Hölzer kämpfen gegen ebenso viele Kunststoffe mit all ihren Bequemlichkeitsvorteilen um die Aufmerksamkeit des kaufwilligen Kunden.
Das ist das Dilemma: Auf der einen Seite steht die gut gemeinte, aber überbordende Komplexität, auf der anderen so gut wie keine Hilfestellung und schon gar keine Orientierung.
Leistungen, die ein Unternehmen zwar erbringt, aber nicht vermitteln kann, sind unnötig!
Denn all diese Leistungen kosten Geld, viel Geld. Was bringt es einem heimischen Messerproduzenten, dass er hier produziert, wenn er es nicht zum Ausdruck bringt? Ein einfaches «Swiss made» reicht schon lange nicht mehr aus. Er muss diese Leistung untrennbar mit seinem Namen verbinden. Das ist bei weitaus komplexeren Leistungsinhalten noch wichtiger. Woher kommt der Stahl? Wie wird er bearbeitet? Wie sind die Qualitätsrichtlinien beim Einkauf? Das muss verdichtet und so ausgedrückt werden, dass es Bedeutung, Relevanz beim Kunden erzeugt. Wer dies unterlässt, liefert im Extremfall – der mittlerweile zum Standard geworden ist – seinem Kunden nur noch einen Differenziator: den Preis.
Wenn man als Verkäufer oder Hersteller wirklich alles falsch gemacht hat, was falsch zu machen ist, bleibt nur noch der Preis übrig – der bleibt allerdings immer. Also muss der Kunde diesen nehmen, um daran seine Kaufentscheidung festzumachen und sie vor sich selbst und anderen rechtfertigen zu können. Mangels anderer Differenziatoren bekommt dadurch der Preis eine viel zu hohe, ihm nicht zustehende Bedeutung. Seinen Kunden dann vorzuwerfen, dass sie nur über den Preis einkauften, ist daher nicht nur ungerecht, sondern gibt auch Zeugnis über den Stand der eigenen Selbsterkenntnis ab.
Was müssen Sie ändern? Heute müssen Produkte und Dienstleistungen, egal ob im Business-to-Business- oder im Business-to-Consumer-Bereich, egal ob von KMU oder Weltkonzern, zweimal hergestellt werden. Einmal physisch und einmal im Kopf des Kunden.
Es müssen Wege entwickelt werden, dass alles, was Geld kostet, auch Geld einbringt. Die Leistung jedes einzelnen Kostenblocks muss vermittelt werden können, oder sie gehört abgeschafft. Wegen der Veränderungen bei Dienstleistern, Verkäufern und Händlern kann man diese Aufgabe nicht mehr alleine an diese delegieren, sondern muss sie selbst wahrnehmen. Das einzige bekannte System, das in der Lage ist, diese Aufgabe zu bewerkstelligen, ist die Marke.
Der Unterschied zwischen einer Leistung und einem Wert ist die Unbedenklichkeit. Ein Markenwert ist verdichtete Leistung. Wo eine Leistung hinterfragt und bewiesen werden muss und getestet wird, da liegt die Schwelle zur Unbedenklichkeit bei einem Wert viel niedriger.
Wenn Hyundai heute behauptet, ein Sportauto zu bauen, muss das vorgeführt, getestet und bewiesen werden. Wenn Porsche das Gleiche behauptet, glaubt es jeder. Der Unterschied? Hyundai kann das vielleicht leisten, Porsche jedoch hat diesen Wert fest in ihrem System gespeichert.
Mit dieser einzigartigen Eigenschaft sind Marken in einem globalisierten Wettbewerb das Ventil, um dem Kunden die hervorragenden Leistungen eines Unternehmens in herausragender Weise zu vermitteln und damit so viel Mehrwert zu erzeugen, dass der Preis immer kleiner wird.
Bauknecht hat dies weltweit geschafft – und AEG verlagert jetzt die Arbeitsplätze nach Polen.
Klaus-Dieter Koch ist Gründer und Geschäftsführer von Brand:Trust, Brand
Strategy Consultants. Er ist seit vielen Jahren als Berater und Referent im Bereich Markenstrategieberatung tätig.
Buchtipp
Reiz ist geil
Lässt sich heute nur noch verkaufen, was billig ist? Nein, meint der Autor und erläutert, warum eine Marke trotz der «Geiz ist geil»-Mentalität ungehinderte Aufmerksamkeit geniessen kann. Und auf welchen Gesetzen eine erfolgreiche Markenstrategie gründet.
Klaus-Dieter Koch
Reiz ist geil – In 7 Schritten zur attraktiven Marke
Orell Füssli Verlag, Zürich, 192 Seiten, gebunden, 49 Fr.