Von insgesamt 30 000 Restaurants sind 10 000 überflüssig, sagten Sie uns vor einem Jahr. Wie sieht die Situation heute aus?

Klaus Künzli: Die Situation hat sich nicht verändert, sondern noch verschärft. Auf 200 bis 230 Einwohner gibt es in der Schweiz einen gastgewerblichen Betrieb. Das ist eindeutig zu viel.

Was prognostizieren Sie?

Künzli: Wenn man die Liberalisierung beibehält und die Schraube nicht anzieht, wird das so weitergehen.

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Sie sind gegen die Liberalisierung?

Künzli: Nein, aber ich bin nicht für die totale Liberalisierung. Ich befürworte eine minimale Ausbildung in gesetzesrelevanten Fächern.

Sie wollen als Einstiegshürde die Wirteprüfung wieder einführen und haben deshalb im Grossrat Bern eine Motion eingereicht, die den Fähigkeitsausweis für Wirte verlangt.

Künzli: Im Kanton Bern ist der Fähigkeitsausweis nur für Betriebe mit mehr als 30 Sitzplätzen notwendig. Diese Zweiklassengesellschaft ist nicht in Ordnung.

Die Hälfte der Kantone hat die Wirteprüfung abgeschafft. Wird der Arbeitgeberverband Gastrosuisse auch in diesen Kantonen aktiv werden, um den Fähigkeitsausweis wieder einzuführen?

Künzli: Als Verband sind wir nicht die Holding der einzelnen Betriebe, aber wir können versuchen, die Rahmenbedingungen zu verändern. So empfehlen wir unseren Vertretern in den Kantonen, sich für den Fähigkeitsausweis einzusetzen.

Ausgerechnet Sie als FDP-Mitglied sind gegen die Marktwirtschaft und für neue Regulierungen?

Künzli: Ich habe in gewissen Kreisen bei der FDP keine Freude ausgelöst mit meiner Motion. Aber ich stehe ein für weniger Staat und mehr Freiheit. In unserer Branche stellen wir aber fest, dass viele scheitern, weil sie die minimale Ausbildung und Kenntnis nicht besitzen. Das passiert in anderen Gewerben nicht. Es fällt doch keinem ein, eine Metzgerei oder eine Bäckerei zu eröffnen, wenn er das Handwerk nicht beherrscht. Aber im Gastgewerbe glauben allzu viele, das Geschäften sei ganz einfach, und dann scheitern sie daran.

Genau das ist freie Marktwirtschaft und gehört zum Unternehmerrisiko.

Künzli: Aber die vielen Konkurse schaden dem Image des Gastgewerbes und hinterlassen einen Scherbenhaufen. Immer wieder werden in diesen Fällen Lieferanten, Mehrwertsteuer und Sozialversicherungen nicht bezahlt.

Wenn der Markt spielt, überleben die Guten, die Schlechten gehen ein.

Künzli: Das ist richtig. Aber sollen die Mitarbeiter, die Lieferanten, die Gäste, der Staat darunter leiden?

Sie argumentieren wie ein linker Gewerkschafter. Aber gerade die Vertreter der Arbeitnehmer wie zum Beispiel die Hotel- und Gastro-Union sind für die freie Marktwirtschaft und gegen den Fähigkeitsausweis.

Künzli: Bei meiner Motion haben mich aber SP-Leute, an vorderster Front die Gewerkschaften, unterstützt. Der Grosse Rat wird die Motion in der Novembersession behandeln.

Das Image der Wirte war schon früher, als die Wirteprüfung noch überall Gültigkeit besass, nicht sehr gut. Es heisst nicht von ungefähr: «Wer nichts wird, wird Wirt.»

Künzli: Ich sage nicht, dass wir allein mit dem Fähigkeitsausweis das Problem in den Griff bekommen und dann nur noch gesunde Betriebe existieren. Aber wir müssen geeignete Massnahmen treffen, um die Situation zu verbessern, und deshalb verlangen wir eine minimale Ausbildung.

Warum existieren zu viele Restaurants, obwohl die Margen mit durchschnittlich 1,2% tief sind und 62% der Betriebe Verluste schreiben?

Künzli: Wir haben in der Schweiz rund 50% Mietbetriebe. Wenn ein Wirt aufgibt oder Konkurs macht, sucht der Hausbesitzer einen anderen. Wir haben kein Beizensterben, sondern ein Beizersterben. Jährlich wechseln 25% der Gastrobetriebe ihren Wirt. Die Restaurants existieren weiter, auch wenn sie von der Struktur, von den Einrichtungen oder vom Standort her gar nicht mehr überlebensfähig sind.

Im Detailhandel funktioniert es anders. Dort waren die vielen kleinen Läden auch Mietobjekte und sind trotzdem verschwunden.

Künzli: Es ist einfacher, einen Verkaufsladen umzunutzen als ein Restaurant. Die Investitionen in einen Gastrobetrieb macht in der Regel der Hausbesitzer. Das Kleininventar, wie Besteck, Maschinen, gehört dem Restaurateur, das Grossinventar, wie die Kücheneinrichtungen, Mobiliar, Beleuchtung, gehört in der Regel dem Hausbesitzer.

Kennen Sie eine Branche in der Schweiz, wo vorgeschrieben wird, wer Unternehmer werden darf und wer nicht?

Künzli: Zum Beispiel eine Arztpraxis kann auch nicht jeder eröffnen.

Beim Arzt geht es um Leben und Tod. Haben wir nicht genügend Instrumente, um die Wirte zu überprüfen, zum Beispiel die Lebensmittelkontrolle?

Künzli: Die Lebensmittelinspektoren kontrollieren sehr gut. Sie haben die Möglichkeit, im Extremfall einen Antrag auf Betriebsschliessung zu stellen. Der Entscheid liegt dann jedoch bei einer anderen Instanz, die das Ganze aus einer anderen Warte betrachtet und dem Wirt manchmal noch eine Chance geben will. Ich will denen aber nichts unterstellen.

Die Vollzugsbehörde ist also zu wenig hart.

Künzli: Bei vielen Gesetzen gibt es immer wieder Vollzugsprobleme.

In Genf existiert immer noch die Wirteprüfung und trotzdem sind dort 2003 am meisten Betriebe eröffnet worden. Der Fähigkeitsausweis hat also nicht zu einer Verbesserung geführt.

Künzli: Der Fähigkeitsausweis allein ist noch keine Garantie für eine untadelige Betriebsführung. Aber er bietet Gewähr für ein gutes Grundwissen.

Die Wirtekurse führen die Berufsverbände durch. Sie verdienen daran. Ist dies der Grund, dass Sie sich dafür einsetzen?

Künzli: Die Kurse sind nicht obligatorisch. Wir verlangen nur, dass sich ein Wirt über ein minimales Fachwissen ausweist.

Die Prüfung nimmt aber Ihr Verband ab, und dafür wird ein Prüfling doch bezahlen müssen.

Künzli: Die Kandidaten müssen Prüfungsgebühren bezahlen, aber Gewinn bringende Einnahmen sind das nicht. Ich muss noch etwas anfügen: Das Ganze ist auch eine Sache der Sprache. Manche Wirte verstehen die Landessprachen nicht. Sie können somit zum Beispiel auch die gesetzlichen Bestimmungen nicht umsetzen und wissen nicht, was ein Hygienekonzept ist.

Wollen Sie damit sagen, dass die Ausländer, welche unsere Sprache nicht verstehen, Schuld haben an der Misere?

Künzli: Sobald ich das Wort Sprache nenne, wird mir das so ausgelegt. Darum geht es überhaupt nicht. Aber es braucht ein Mindestmass an Sprachbeherrschung, um die Vorschriften einzuhalten.

Gastrosuisse klagt aber selber immer wieder über die vielen Fesseln, wie etwa Deklarationsvorschriften, Lebensmittelkontrollen, aufwendige Mehrwertsteuerabrechnungen. Jetzt wollen Sie mit dem Fähigkeitsausweis noch eine Vorschrift mehr?

Künzli: Das kann man so auslegen. Aber der Fähigkeitsausweis ist einmalig, nicht wie die anderen Vorschriften.

Die Liberalisierung hat frischen Wind in die Branche gebracht. Mit der Deregulierung sind neue Gastrokonzepte entstanden.

Künzli: Damit habe ich gar keine Probleme. Das ist gut so. Aber wir wollen das Jekami zu ungleichen Bedingungen unterbinden.

Die Einführung der Wiedereinführung der Wirteprüfung ist ein Rückschritt.

Künzli: Nein, das ist ein Fortschritt. Es gäbe dann weniger Fälle, die scheitern, weniger Konkurse.

Der Arbeitnehmerverband moniert, dass viele Unternehmer den Gesamtarbeitsvertrag nicht einhalten und dafür nicht bestraft werden. So führt gut ein Drittel der Wirte keine Arbeitszeitkontrollen durch.

Künzli: Gewisse Mitglieder haben Probleme mit der Einhaltung der Arbeitszeitkontrolle, aber fehlerhafte Betriebe werden sanktioniert. Die Vorschriften werden auch immer anspruchsvoller und sind bei den unregelmässigen gastgewerblichen Arbeitszeiten nicht einfach umzusetzen. Zudem sind wir ein Gewerbe, das seine Dienstleistung dann zu erbringen hat, wenn der Gast da ist. Aus diesem Grund sind auch kurzfristige Arbeitsplanänderungen nicht zu vermeiden.

Mehr als eine Beiz von dreien ist zu viel. Wann schliessen Sie Ihren «Bären», Ihren eigenen Betrieb?

Künzli: Von schliessen kann keine Rede sein. Unser Betrieb funktioniert seit 25 Jahren. Natürlich haben wir auch Schwankungen gespürt.



Profil

Name: Klaus Künzli

Funktion: Zentralpräsident von Gastrosuisse und Pächter des Hotel-Restaurants Bären in Ostermundigen

Alter: 53

Familie: Verheiratet, 2 Töchter

Karriere

1977-1978 Wintersaison als Warenkontrolleur des Hotels Tschuggen in Arosa

Seit 1979 Pächter des Hotel-Restaurants Bären in Ostermundigen

Seit 2002 Zentralpräsident von Gastrosuisse



Der Streit um die Sterne: Trotz Kritik eigene Klassifizierung

Gastrosuisse-Zentralpräsident Klaus Künzli wollte sich nicht zum Streit um das Klassifizierungssystem für die Hotels äussern. In dieser Frage sei der Direktor, Florian Hew, zuständig, heisst es bei Gastrosuisse. Auch nachdem der Verband vergangene Woche von Hotelleriesuisse, der Marketingorganisation Schweiz Tourismus und von einzelnen Parlamentsmitgliedern Kritik einstecken musste, sagt Hew: «Wir entwickeln unser eigenes Hotel-Klassifizierungssystem, wie es unsere Mitglieder wünschen.» Allein die Tatsache, dass sich nur rund 2500 der rund 5000 Hotels mit den Sternen von Hotelleriesuisse schmücken, zeige doch, dass das bisherige System bei vielen Hoteliers nicht ankomme. «Es ist zu kompliziert und nicht auf Familienbetriebe zugeschnitten», sagt Hew. Und das System wird nach Ansicht des Gastrosuisse-Direktors noch komplizierter, wenn Hotelleriesuisse im Jahr 2006 wie bereits angekündigt für die 3-, 4- und 5-Sterne-Häuser den Zusatz «Superior» einführt.

Dass Gastrosuisse mit einem zusätzlichen Klassifizierungssystem die Gäste verwirren könnte, glaubt Hew nicht: «Die Konsumenten sind es gewohnt, mit unterschiedlichen Marken umzugehen.» Das von Gastrosuisse erarbeitete System soll im Jahr 2006 markttauglich sein. (gwe)