Die Schweiz ermittelt im grössten Wirtschaftsskandal der kroatischen Geschichte. Das Bundesamt für Justiz und die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zug bestätigen entsprechende Informationen der «Handelszeitung». Hintergrund ist die Beinahe-Pleite des kroatischen Detailhandelsriesen Agrokor.
Das Unternehmen gehört zu den grössten Arbeitgebern auf dem Balkan, geriet wegen Misswirtschaft aber in finanzielle Schräglage. Die Schuldenlast betrug zuweilen über 7 Milliarden Schweizer Franken – das entsprach seinerzeit ungefähr 15 Prozent des kroatischen Bruttoinlandprodukts.
Ein Konkurs der Gruppe hätte fatale Folgen gehabt. Banken, Zulieferer und die Regierungskoalition fürchteten um die Existenz. Zehntausende Jobs waren gefährdet. Der Staat sprang in einer Notfallübung ein und zimmerte ein Sondergesetz. Das Unternehmen wurde kurzerhand verstaatlicht.
Ermittlungen in Zug
Gegen die damalige Agrokor-Führung unter Gründer Ivica Todorić laufen mehrere Strafverfahren. Dem Management wird vorgeworfen, die Bücher geschönt zu haben. Der langjährige Chef Todorić soll ausserdem Geld über die Schweizer Niederlassung in Zug abgezweigt haben. Die Rede ist von mehreren Millionen Franken.
Die Zagreber Behörden sind deshalb in Zug vorstellig geworden. Sie haben die hiesigen Behörden um Hilfe bei den Ermittlungen gebeten. Das Schweizer Bundesamt für Justiz ist informiert, federführend sind aber die Zuger.
«Wir können bestätigen, dass von den kroatischen Behörden ein Rechtshilfeersuchen bei der Staatsanwaltschaft Zug eingegangen ist», sagt Sprecherin Judith Aklin. «Im Rahmen dieses Rechtshilfeersuchens erfolgte zudem eine Geldwäscherei-Meldung durch die Meldestelle für Geldwäscherei wegen Verdachts auf Geldwäscherei.»
Fall eines Tycoons
Todorić war einst der reichste Mann Kroatiens. Sein Vermögen wurde zu Bestzeiten auf mehrere hundert Millionen Franken geschätzt. Als bekannt wurde, dass er die Bücher von Agrokor frisiert haben soll, stellte ihn die Regierung kalt. Polizisten durchsuchten seine Häuser, er selbst versteckte sich über Monate in London, bis er nach Kroatien ausgeliefert wurde.
Todorić soll zuweilen auch Unterschlupf in der Schweiz gefunden haben. Die kroatischen Behörden suchten ihn per internationalem Haftbefehl. Der Vorwurf: Bilanzfälschung und Konkursverschleppung.
Der einst mächtigste Mann der kroatischen Wirtschaftswelt wehrt sich bis heute gegen die Entmachtung. Sein Standpunkt: Die Regierung habe ihm das Unternehmen gestohlen. Agrokor wird nun vom staatlichen Sonderbeauftragten Fabris Peruško geführt, der als quasi-CEO amtet.
Ehemaliger Blumenhändler
Todorić ist ein Aufsteiger, der zu jugoslawischer Zeit als kleiner Blumenhändler begann. Vor fast drei Jahrzehnten liess er in der Schweiz eine Agrokor-Tochtergesellschaft aufbauen. Der helvetische Firmenspross in Zug war das einzige Unternehmen des riesigen Agrokor-Konstrukts, das nicht auf dem Balkan registriert war.
Agrokor: Neu die Fortenova Group
Der Nahrungsmittel- und Handelsriese Agrokor hat nach zwei Jahren unter staatlicher Aufsicht einen Neuanfang gestartet. Die neue Dachgesellschaft Fortenova Group nahm am 1. April den Betrieb auf. Es ist das Datum, an dem der im Vorjahr erreichte Gläubigervergleich in Kraft getreten ist, der im Februar 2018 auch vom Zuger Kantonsgericht abgesegnet wurde.
Die russische Sberbank mit rund 39 Prozent der grösste Aktionär der Fortenova-Gruppe. Darauf folgen diverse US-Fonds mit 25 Prozent, die russische VTB Bank mit 7,5 Prozent und BNP Paribas mit 2,5 Prozent.
Die neue Dachgesellschaft bündelt die gesunden Unternehmensteile. Die alte Muttergesellschaft Agrokor wird später liquidiert.
Mit der Übertragung des Agrokor-Vermögens auf die neue Dachgesellschaft endet die staatliche Oberaufsicht. Laut dem Sanierungsmanager Fabris Peruško hat die Verstaatlichung rund 50'000 Jobs in Kroatien und der Region gerettet. Peruško soll als CEO weiterhin im Unternehmen bleiben.
Welche Geschäfte Todorić über die Schweiz laufen liess, ist bis heute unklar. Der staatliche Sonderbeauftragte Peruško liess einen Fragekatalog der «Handelszeitung» unbeantwortet. Erfolglos blieb auch der «Tages-Anzeiger», der sich vor zwei Jahren auf Spurensuche machte und einzig eine Briefkastenfirma fand.
Gesichert ist, dass ein Sohn des gefallenen Tycoons in der Schweiz lebt und ein Unternehmen in Zürich eingetragen hat. Es handelt sich dabei laut eigenen Angaben um eine Consulting-Firma. Ein der Todorić-Familie nahe stehender Anwalt sagt, dass weder der Todorić-Sohn noch sein Unternehmen im Fokus Schweizer oder kroatischer Ermittler stünden. Es gäbe keine Konto- oder Reisesperren.
Lenz & Staehelin involviert
Weiter gesichert ist, dass die Schweizer Tochter bereits mehrfach Thema am Zuger Obergericht war. Die Juristen haben wiederholt den Konkurs des Unternehmens hinausgeschoben. Die Nachlassstundung wurde zuletzt Anfang April um vier Monate verlängert. Neues Ablaufdatum ist Anfang August.
Der Fall scheint grössere Dimensionen zu haben. Die renommierte Wirtschaftskanzlei Lenz & Staehelin hat vier Personen damit mandatiert. Tanja Luginbühl und Roland Fischer, beides Partner bei der Kanzlei, führen das Team. Luginbühl ist spezialisiert auf Insolvenzverfahren und Restrukturierungen. Auf ihrem Schreibtisch landen nur die wichtigsten Dossiers – Rechtsstreitigkeiten, die sich über Jahre hinziehen können. So wirkte sie etwa in den Gläubigerausschüssen von Lehman Brothers Schweiz oder von Petroplus Marketing.
Auf das Mandat angesprochen, gibt sich die Top-Jurstin aber wortkarg. Einzige Auskunft: «Aufgrund des Anwaltsgeheimnisses ist es mir nicht möglich, zu einem laufenden Verfahren Auskunft zu erteilen.»