Der Trend geht zur personalisierten Ernährung mithilfe von Big Data. Auf diesen Zug ist auch der Schweizer Lebensmittelriese aufgesprungen. Und zwar in Japan, wo die alternde Bevölkerung zunehmend zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problem wird.
Nestlé-Chef Mark Schneider hatte im vergangenen Jahr erklärt, der Konzern wolle mit gesunden Lebensmitteln und Getränken deutlich höhere Umsätze erzielen. In Japan werden nun konkrete Schritte in Richtung Gesundheitsunternehmen unternommen: Die japanische Tochtergesellschaft lancierte bereits 2015 die Online-Plattform «Nestlé Wellness Ambassadors». Neu ist, dass die Kunden Ernährungstipps basierend auf ihren Blut- und DNA-Testergebnissen erhalten.
Japan ist damit der erste Markt, auf dem das neue Geschäftsmodell des Lebensmittelgiganten getestet wird. Bisher ist Nestlé dort vor allem mit den Marken Nescafé und Kitkat bekannt. Zuletzt hatte dort der rosa Kitkat-Riegel für Aufsehen gesorgt. Oder auch das grüne Matcha-Kitkat in ein Hit in Japan.
Vorreiter für künftige Geschäftsmodelle
Japan-Chef Kozo Takaoka will die Gesundheitsstrategie von Nestlé Japan zum Vorbild für künftige Geschäftsmodelle des Konzerns in anderen Industrieländern machen, die vor ähnlichen demografischen Herausforderungen stehen. Takaoka stehe im engen Austausch mit dem Nestlé-Management in der Schweiz, welches die Innovationen in Japan sehr genau beobachte, wie die japanische Wirtschaftszeitung «Nikkei» berichtete. Nestlé Japan ist seit Jahren sehr profitabel. Gelingt die neue Strategie, könnte das CEO Takaoka zu einem Posten in Vevey als Chief Innovation Officer verhelfen, spekuliert «Nikkei».
Das in Japan lancierte Programm könnte Nestlé eine Fülle von Daten über das Wohlbefinden und die Ernährung seiner Kunden liefern. «Nestlé Wellness Ambassador» ist ein kostenpflichtiger Abo-Dienst, der bereits von fast 100'000 japanischen Kundinnen und Kunden genutzt wird. Sie fotografieren ihre Mahlzeiten und über eine App werden die Nahrungsmittel mithilfe künstlicher Intelligenz auf ihren Nährstoffgehalt analysiert. Auf Grundlage der Blut- und DNA-Ergebnisse – Nestlé liefert ein Test-Kit für zu Hause mit – werden individuelle Ernährungstipps gemacht. Das Abo für die Kapseln aus nährstoffreichen Tees, Smoothies und anderen Vitaminsnacks kostet laut «Bloomberg» bis zu 600 Dollar im Jahr.
Investitionen in der Gesundheitssparte
Nestlés Japan-Programm ist nicht der einzige Schritt in Richtung Gesundheitsunternehmen. So hat der Multi in jüngster Zeit eine Reihe von Investitionen getätigt: Vor knapp einem Jahr kaufte Nestlé Sweet Earth, einen US-Hersteller für vegetarische Burger. Kurz zuvor stiegen die Schweizer beim Essenslieferdienst Freshly ein. Ende 2017 übernahm das Unternehmen dann den kanadischen Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln Atrium Innovations für 2,3 Milliarden Dollar.
«Gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit Lebensmitteln und Ernährung sind zu einem grossen Thema geworden», sagte Japan-Chef Takaoka gegenüber «Bloomberg». Dies sollte sich Nestlé zur Mission für das 21. Jahrhundert machen – allein in Japan könnte die Wellness-Sparte die Hälfte des Umsatzes ausmachen.
Das Geschäft mit pharmazeutischen Lebensmitteln – sogenannten Neutraceuticals – boomt. Denn bei Konsumenten, die zunehmend skeptisch gegenüber Massenprodukten sind, kommen diese Nahrungsmittel an. Personalisierte Ernährungspläne mittels Genetik und künstlicher Intelligenz gehen aber noch einen Schritt weiter. Allerdings ist Nestlé nicht der einzige Lebensmittelkonzern, der sich dies zu Nutzen macht. Bereits 2016 investierte der US-Konzern Campbell Soup in das Start-up Habit, das per DNA- und Blutanalyse Ernährungsempfehlungen und -coachings sowie massgeschneiderte Mahlzeiten anbietet.
Zukunft der Ernährung
Die Vision von personalisierten Ernährungs- und Gesundheitsprogrammen als die Zukunft der Ernährung stellte übrigens der ehemalige Nestlé-Präsident Peter Brabeck in seinem Buch «Nutrition for a Better Life» vor. «Mit einer Nespresso-ähnlichen Kapsel können die Menschen individuelle Nährstoffcocktails einnehmen oder ihr Essen über 3-D-Drucker nach elektronisch erfassten Gesundheitsempfehlungen zubereiten», schrieb Brabeck 2016.
Heute, zwei Jahre später trinken japanische Abonnenten des Wellness-Programms nun nährstoffangereicherte Tees aus Kapseln, die in einer Art Nespresso-Maschine aufgebrüht werden.