Ich war gewarnt: Das Interview könne mehr als schwierig werden. An manchen Tagen plaudere Phil Knight wie ein Wasserfall, an anderen sage er kaum ein Wort. Ich hatte Glück. An diesem grauen Januarmorgen im Nike World Headquarter in Beaverton, Oregon, war der Gründer von Nike in Plauderstimmung. Dies war sein letzter Tag als CEO jener Firma, die er vor 40 Jahren aus dem Nichts gegründet hatte. Tinker Hatfield, seit 24 Jahren im Dienste des Konzerns, erklärt mir, dass auch er auf seine Fragen von Knight zuweilen keine Antwort bekomme. (Hatfield setzt dieses Schweigen immer mit einem Ja gleich.)

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Was immer der Grund sein mag, jetzt plaudert Knight munter über die Höhen und Tiefen seiner Karriere. Er erinnert sich an die Höhepunkte bei der Errichtung seines Firmenimperiums, an die Athleten, die er unter Vertrag genommen hat, an die Mitarbeiter, die er geführt hat. Knight, der berühmt dafür ist, kaum jemals seine dunkle Sonnenbrille abzusetzen, lässt während des Gespräches die Gläser liegen.

Es gibt nur eine Frage, die er am Ende unseres Gespräches verneint. «Dürfte ich Ihr Büro sehen?», frage ich ihn. Knight schüttelt den Kopf. «Sie möchten es nicht zeigen?» Wieder Kopfschütteln. Nur wenige Angestellte sind jemals in seinem Büro gewesen. Ein Hauptabteilungsleiter erklärte mir, er habe während zehn Jahren dieses Allerheiligste nie betreten dürfen. Man weiss nur, dass Knight sein Büro im japanischen Stil eingerichtet hat. Und dass im Arbeitszimmer keine Schuhe erlaubt sind. Nicht einmal solche von Nike.
Knight war immer einer der unkonventionellsten, um nicht zu sagen exzentrischsten Konzernlenker in Amerika. Ein Mann, der das Gegenteil dessen zu verkörpern scheint, was an seinem Lebenswerk gepriesen wird. Er ist die graue Eminenz in einer Firma, die es geschafft hat, Topathleten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Er ist introvertiert und liebt es, grosse Sportveranstaltungen zu besuchen, ist gelernter Buchhalter in einem Konzern, in dem aggressive Verkäufer und flippige Designer grösste Hochachtung geniessen, ist ein Pionier der Werbung, der sich einst einer Agentur mit den Worten vorstellte: «Ich bin Phil Knight, und ich glaube nicht an Werbung.»

Und trotz oder gerade wegen dieser Verschrobenheiten hat er eine Firma geschaffen, die vielen als Nonplusultra gilt. Auch mit ihrer Bilanz spielt Nike locker in der Champions League: In den letzten vier Jahren ist Nike von 9,5 Milliarden zu einem Giganten von fast 14 Milliarden Dollar Umsatz gewachsen. Rund 40 Prozent aller Markensportschuhe, die in den USA verkauft werden, stammen von Nike; der zweitgrösste Hersteller für den US-Markt, Reebok, bringt es auf 13 Prozent.

Während die Aktie von Nike in den letzten zwei Jahren um 75 Prozent auf derzeit rund 87 Dollar stieg, beträgt die Marktkapitalisierung mit 23 Milliarden Dollar das Dreifache von Adidas, dem zweitgrössten Sportschuhhersteller der Welt. Ein Investor, der 1980 beim Börsengang mit 1000 Dollar in die Firma einstieg, kann sich heute über 64 000 Dollar freuen. Die Anteile von Knight – er kontrolliert 27 Prozent des Unternehmens – sind rund 6,2 Milliarden Dollar wert, was den Turnschuh-Tycoon zu einem der reichsten Männer der Welt macht.

Nike befindet sich – wieder einmal – an einem Scheideweg. Knight hat genau zu jenem Moment die Zügel an Bill Perez, den Ex-CEO des Konsumgüterherstellers S.C. Johnson, übergeben, da das Wachstum nur schwer aufrechtzuerhalten erscheint (siehe «Bill Perez’ neuer Spielplan» auf Seite 70). Der Markt für hochpreisige Sportschuhe in den USA ist gesättigt, Perez muss dringend neue Absatzmärkte erschliessen. Und er weiss, dass Knight von der aktiven Firmenleitung schon zweimal zuvor zurückgetreten ist. Beide Male geriet Nike in existenzielle Schwierigkeiten, und ihr Gründer sah sich gezwungen zurückzukommen. Perez will dafür sorgen, dass Knights Ruhestand diesmal dauerhaft ist.

Die grösste Herausforderung für den neuen Chief Executive ist nicht unbedingt die geschäftliche Seite, hat Perez doch bereits bei S.C. Johnson verschiedene Marken weltweit aufgebaut und erfolgreich vermarktet. Bei Nike steht ihm zudem ein erfahrenes Team zur Seite, auf das er bauen kann. Grösste Herausforderung dürfte das Management des Konzerns selber sein. Als ultimativer Delegierer hat Knight Legionen von Abteilungsleitern herangezüchtet, die sein Schweigen als Freiheit gedeutet haben, ihr eigenes Ding zu machen. «Nike ist seit 40 Jahren um meine Verschrobenheiten herum gewachsen», bekennt Knight. Will der neue CEO den Wachstumskurs von Nike fortsetzen, muss er zunächst erkennen, wie der Konzern tickt. Und herausfinden, was genau seinen Gründer – dessen Führungsstil an keiner Wirtschaftshochschule unterrichtet wird – so erfolgreich gemacht hat.

«Was zum Teufel ist das hier?», fragt Knight und hält die braune Kunstlederjacke von Tinker Hatfield am Ärmel. Hatfield ist Vizepräsident der Entwicklungsabteilung, und er geniesst innerhalb der Firma als Designer der Kultmodelle Air Jordan einen legendären Ruf.
«Dies ist eine Jordan-Jacke!», erwidert Hatfield und zeigt uns das Futter: eine Collage mit Bildern von Michael Jordan.

«Ist das ein Einzelstück?», fragt Knight lästernd.

«Nein, nein. Die kommt in die neue Kollektion.»

Knight lacht kurz auf – und geht weg. Tinker nimmt die Anspielung gelassen hin. Zum einen ist Knight selbst nicht gerade ein modisches Aushängeschild. An diesem Tag trägt er ein T-Shirt mit Flecken, einen gestreiften Blazer, zu lange Jeans und ein Paar Slipper von Cole Haans (auch eine Marke von Nike). Sein aschblondes Haar ist ungekämmt, es sieht aus, als wäre er in einen Hurrikan geraten. Der andere Grund, warum sich Tinker nicht aus der Ruhe bringen lässt, ist die Tatsache, dass Knight nie jene Art CEO war, der alles und jedes wissen will, was in seiner Firma vorgeht.

Was Knight wirklich tut bei Nike, ist tatsächlich ein Geheimnis. Wenn Angestellte Geschichten über ihn erzählen, beschwören sie zumeist eine Vaterfigur, einen Führer, einen Visionär herauf. Für Howard Weiss, Vice President der Jordan-Marke, ist Knight schlicht ein Genie. Doch wenn man ihn darum bittet zu beschreiben, worin dieses Genie bestehe –, nimmt das Gespräch einen unbestimmten Ton an. Zugegeben: In jede wichtige Entscheidung im Unternehmen ist Knight irgendwie involviert. Aber was bedeutet dies genau?

Sogar Mitarbeiter, die eng mit ihm zusammengearbeitet haben, sind nicht im Stande, plausible Antworten zu geben. Mark Parker und Charlie Denson arbeiten seit 1979 als Vizepräsidenten bei Nike, Parker zunächst in der Designabteilung, Denson im Verkauf. Ich fragte Denson, wie oft er Knight während der letzten Jahre im Schnitt traf. «Einmal wöchentlich», antwortet er. Kurze Pause. «Na ja, in Wahrheit wohl nur zweimal im Monat.» Für Parker macht gerade das einen Teil von Knights Genie aus: Er gibt seinen Leuten die Freiheit zum Atmen. «Er ist sicherlich kein autoritärer CEO.» Wenn PowerPoint-Präsentationen gezeigt oder Firmen-Kennziffern besprochen werden, klinke sich Knight gewöhnlich gedanklich aus.

Man könnte behaupten, das Erfolgsgeheimnis von Nike sei lediglich gewesen, früh auf die Welle der Sportbegeisterung in den USA Anfang der achtziger Jahre aufgesprungen zu sein. Und Knight habe somit einfach Glück gehabt. Die Antwort ist wohl nicht so schlicht. Die Firma erlebte Perioden rasanten Wachstums, aber auch Zeiten der Stagnation, in denen viele meinten, dass Nike seine besten Tage hinter sich habe. Knight schaffte es, das Schiff immer wieder auf Kurs zu bringen. Mit Methoden, die eigentlich wider seine innerste Natur sind. Er ist nämlich kein grosser Kommunikator. Dennoch handhabt er drei Sachen besser als irgendjemand anderes: gute Leute anzustellen, diese ständig herauszufordern und sie zu motivieren.

In Knights Erfolgsgeschichte spielt der Begriff «Motivation» tatsächlich eine zentrale Rolle. In den fünfziger Jahren studierte er an der Universität von Oregon Buchhaltung. Viel wichtiger war, dass er Mittelstreckenläufer in einer der besten Universitätsmannschaften war. Ihr Trainer: Bill Bowerman, für seine unkonventionellen Trainingsmethoden bekannt. Bowerman schusterte eigene Laufschuhe und stellte sie der Mannschaft zu Verfügung. Nach seinem Studienabschluss liess Knight der Gedanke an bessere Laufschuhe nicht los. An der Stanford Business School verfasste er eine Seminararbeit, in der er den Import von japanischen Laufschuhen in die USA vorschlug, wo die Sportler damals noch vor allem die teuren deutschen Fabrikate Adidas und Puma trugen. Im Jahr 1962 unternahm Knight eine Reise nach Japan und überzeugte die Hersteller der Laufschuhe der Marke Tiger – später als Asics bekannt –, ihn als ihren Vertriebsmann in den USA einzusetzen. Name der neuen Firma: Blue Ribbon Sports. Nach der Rückkehr ernannte Knight seinen alten Trainer Bowerman zum Mitbegründer des Unternehmens.

Zunächst arbeitete Knight weiter in seinem Tagesjob als Rechnungsprüfer bei Price Waterhouse, später als Buchhaltungsprofessor an der Portland State University. Das Turnschuhprojekt lief nebenher. Er begann, jenen Managementstil zu entwickeln, den er so erfolgreich kultivieren sollte: Leute finden, die Begeisterung für das Produkt mitbringen, und sie dann die Details selber managen lassen. Knight kümmerte sich um die Finanzierung, Bowerman entwarf die Schuhe, und der erste Angestellte, Jeff Johnson, handhabte von Santa Monica aus den Vertrieb. Eine frühe Angestellte war Penny Parks, eine ehemalige Studentin von Knight, die bei der Führung der Bücher aushalf. Knight begann mit ihr eine Liebesbeziehung, als sie 19 war und er 30. Sie heirateten 1968 und hatten schnell das erste von drei Kindern.

In der Folge machte sich Knight daran, sein Imperium zu errichten. Als 1971 sein japanischer Lieferant das Geschäft in Eigenregie übernehmen wollte, kündigte Knight den Vertrag. Er zahlte einem lokalen Grafikdesigner 35 Dollar, der das berühmte Swoosh-Logo entwarf, arbeitete ein Abkommen mit einem Lieferanten aus und nannte die neue Marke Nike, nach der griechischen Göttin des Sieges. Ein Name, den Jeff Johnson geträumt hatte.

Nun nahm Knight den Kampf gegen die etablierten Marken auf, und er hielt seine Firma dazu an, wie ein Underdog zu denken. Er stellte Leute an, die ihm menschlich nahe standen und mit denen er gern auch die nächste Bar besucht hätte. Was die unternehmerische Strategie anging, war er zurückhaltend: «Verkaufen Sie Schuhe!», erklärte Knight seinem Spitzenmanager Rob Strasser lakonisch, als er diesen 1981 nach Europa schickte, um dort das Geschäft aufzubauen. Kein Problem: Die Jogging-Welle war damals so richtig am Rollen, und Nike hatte jene Schuhe, die jeder tragen wollte.

Die Dinge liefen so gut, dass Knight das Gefühl hatte, er könne seinen Konzern ruhig mal für eine Weile verlassen. «Ich will, dass Sie der neue Präsident sind», erklärte er seinem langjährigen Manager Bob Woodell im Frühjahr 1983, bevor er zu einer ausgedehnten Reise nach China aufbrach. In den nächsten Monaten ebbte das Jogging-Fieber ab, und an seine Stelle trat die Aerobics-Welle. Nike hatte den Trend zu lange belächelt. Ein verhängnisvoller Fehler. Der Newcomer Reebok schnappte sich den Löwenanteil am boomenden Markt, die Erlöse von Nike in den USA fielen innert zwei Jahren um sechs Prozent auf 730 Millionen im Jahre 1985. Knight erkannte, dass er das falsche Management berufen hatte. Im Herbst 1984 kehrte er zurück und übernahm die Führung wieder von Woodell. Darauf verliessen die meisten Angestellten aus der Gründungsphase, einschliesslich Woodells, das Unternehmen. Andere wurden vom Schwarzen Freitag im Dezember 1986 aus der Firma gespült, als Nike zehn Prozent ihrer US-Angestellten entliess. 1988 trat Knight an, um Nike mit einem neuen Team wieder aufzubauen.

Das Unterfangen gelang. Bis Mitte 1997 war Nike zu einem gigantischen Imperium angewachsen, das über 40 Prozent des US-Schuhgeschäfts kontrollierte. Knight verbrachte immer weniger Zeit am Konzernsitz in Oregon, sondern war vornehmlich bei grossen Sportveranstaltungen anzutreffen. Tom Clarke, ein langjähriger Produktentwickler und Präsident seit 1994, stand plötzlich in der Verantwortung, die Firma zu leiten. Bald befand sich Nike erneut in rauer See. Das Unternehmen hatte versäumt, auf die sich verlangsamende Nachfrage nach teuren Turnschuhen in den USA zu reagieren, und bekam dazu die Asienkrise zu spüren.

Darüber hinaus musste sich Nike gegen Vorwürfe zur Wehr setzen, die Firma lasse in Asien Kinderarbeit zu und betreibe Fabriken mit schlechten Arbeitsbedingungen. Der Umsatz, der sich zwischen 1994 und 1997 auf 9,2 Milliarden verdoppelt hatte, stagnierte und rutschte im Jahre 2000 auf 9 Milliarden Dollar ab.

1999 kehrte Knight zurück. Im Mai 2000 beauftragte er Clarke mit der Entwicklung des Neugeschäftes und übernahm erneut die Rolle des Präsidenten. Ihm gelang es, die Firma wieder zu beleben. Knight tat das, worin er am besten ist: motivieren, begabte Manager finden und diese dann ihr eigenes Ding machen lassen. Er holte neue Top-Executives ins Unternehmen. Gleichzeitig versetzte er einige seiner Topmanager innerhalb des Konzerns. Auch eine Vorliebe von Knight: altgediente Executives mit neuen Aufgaben zu betrauen. Sie lernen, dass das Schmieden von Allianzen bei Nike die einzige Chance ist, Sachen durchzusetzen und mit Ideen erfolgreich zu sein.

Knight steht als Fürsprecher aber nicht zur Verfügung. Er setzt Leute in Positionen ein, um sie dort Entscheidungen treffen zu lassen, und nicht, damit sie mit jedem Problem zu ihm kommen. Sollte er doch zu einem Standpunkt gezwungen sein, sichert er sich meist mit einer Floskel ab: «Ich nehme für mich das Recht in Anspruch, meine Meinung morgen zu ändern.»
Diese Art von Managementstil kann leicht zu Chaos führen. 25 000 Angestellte, die mehreren Chefs Rechenschaft schuldig sind und nur gelegentlich sibyllinische Stichwörter von einem Chef an der Spitze empfangen: Genau dies scheint ein sicheres Rezept für totale Verwirrung zu sein. Ist es aber nicht. Das liegt wahrscheinlich an Knights Fähigkeit anzuspornen, den Athleten in jedem Mitarbeiter zu wecken.

Er kann das, weil er Wettkämpfer ins Unternehmen holt. Nike verfügt über Heerscharen von Angestellten, die irgendwann einmal auf hohem Niveau Sport betrieben haben.

Enrique Washington, einst Marketingchef von Nike, sagt, dass die Firma nicht unbedingt nach Athleten suche, aber der Antrieb von Athleten absolute Einstellungsvoraussetzung sei. Im Hauptquartier von Nike, in dem Knight Bilder verdienter Athleten aufgehängt hat und wo Gebäude nach Spitzensportlern benannt wurden, können sich Sportbegeisterte gleich zu Hause fühlen.

Aber um sich jener Person zu erinnern, die als Spiritus Rector über allem schwebt, brauchen sie nur auf die Strasse zu blicken, die in das Reich führt: Bowerman Drive. Es gibt niemanden, der für Knight und für Nike wichtiger wäre als Bill Bowerman. Knight machte seinen Trainer, der nie eine Art Managementfunktion übernommen hat, zum Coach für jeden. Neue Angestellte erhalten ein Buch von Maximen. Unter Nummer elf ist zu lesen: «Vergessen Sie IHN nicht!» Gemeint ist Bowerman. Er startete Amerikas Dauerlaufverrücktheit mit dem 1967 publizierten Buch «Jogging». 1970 erfand er die berühmte Waffelsohle von Nike, indem er flüssigen Gummi in das Waffeleisen seiner Frau goss.

«Abgesehen von meinen Eltern hat niemand mich mehr beeinflusst als Bill», bekennt Knight. Bowerman gelang es, aus einem Team von durchschnittlich begabten Sportlern die beste Universitätsmannschaft der Welt zu formen.» Als Bowerman 1999 im Alter von 88 Jahren starb, wuchs sein Ansehen bei Nike noch weiter. In diesem Konzern nimmt Bowerman heute gottgleichen Status ein. Liz Dolan, bei Nike einst verantwortlich für das weltweite Marketing, erinnert sich, wie sie Knight einmal wegen eines Problems aufsuchte. Knight gab ihr lediglich eine Anekdote mit auf den Weg: Während seiner Hochschulzeit habe er einst Bowerman um einen Ratschlag gebeten, wie er seine Laufzeiten verbessern könne. Bowerman habe lakonisch geantwortet: «Verdreifachen Sie Ihre Geschwindigkeit!» – «Dies ist die Art Antwort, die Sie von Phil erhalten», lacht Dolan. «Für ihn bedeuten diese Art Weisheiten mehr als endlose Debatten über unternehmerische Strategie.»

Obwohl er es verabscheut, vor grösseren Gruppen zu sprechen, läuft Knight immer dann zu rhetorischer Höchstform auf, wenn es seine Firma am nötigsten braucht. Als er Anfang 1999 nach einjähriger Abwesenheit wieder an Bord kam, um sein Lebenswerk zu retten, berief er eine Vollversammlung ein. Mehr als 1500 Mitarbeiter versammelten sich auf dem Basketball-Court des Bo-Jackson-Gebäudes am Hauptquartier. Knight erinnerte sie an das Erbe der Firma, erklärte, dass sie schon mehrmals schwierige Zeiten durchschritten und dass sie auch diesmal den Turnaround schaffen würden. Am Ende entschuldigte er sich für seine Abwesenheit – und begann zu schluchzen.

Warum entschied sich Knight jetzt abermals zum Rücktritt? Der Verwaltungsrat hat ihn nicht gedrängt. Knight habe erfahren müssen, dass Nike seine Inspiration benötigt, um Erfolg zu haben, sagt ein Topmanager. Aber er sei sich auch im Klaren darüber, dass er nicht für immer und ewig die Energie dazu hat. Wenn man Knight zuhört, war es eine Entscheidung, die auf Logik basierte: «Ich stand da gar nicht im Mittelpunkt», wiegelt er ab, «es ging darum, was für den Konzern am besten ist. Offensichtlich ist der Mensch sterblich, und ich bin weit über sechzig.» So weit, so plausibel. Manager, die ihm nahe stehen, bezeugen, dass ihm der Entscheid viel schwerer gefallen ist, als er zugeben will. «Die Suche nach einem Nachfolger ist ein schwieriger Prozess, und Phil hat sich damit lange Zeit gelassen», sagt Ralph DeNunzio, Verwaltungsratsmitglied bei Nike.

Knight begann die Suche 2001. Einen Chief Operating Officer wünschte er sich. Und wenn dieser sich gut machen würde, könnte er wohl eines Tages in die CEO-Position nachrücken. Er beauftragte Gerry Roche, den Vorsitzenden des Rekrutierungsunternehmens Heidrick & Struggles, ihm diese Person zu finden. Roche befragte mögliche Kandidaten, DeNunzio musste seinen Segen geben, bevor Vorschläge an Knight weitergeleitet wurden. Vor anderthalb Jahren erklärte Roche, man müsse die Angelegenheit offensiv als Suche nach einem neuen Chief Executive deklarieren, andernfalls habe man keine Chance, die besten Anwärter zu finden.

Es ging darum, jemanden zu finden, der nicht versuchen würde, den Konzern gleich umzubauen. Gesucht wurde jemand, der zur Kultur passen würde. Jemand, der die Gründerväter von Nike ehren würde. Jemand mit Leidenschaft. Und doch benötigte Nike auch jemanden mit Fähigkeiten, die niemand im Unternehmen aufweisen konnte: die Fähigkeit nämlich, verschiedene Marken erfolgreich zu führen. Gesucht wurde ein neuer CEO, der überdies eine enge Affinität zum Leistungssport hat.

Ein tragisches Ereignis im vergangenen Mai änderte alles: Phil Knights ältester Sohn, Matthew, verbrachte einen Tauchurlaub in El Salvador. Seine Ausrüstung versagte. Der 34-Jährige starb und hinterliess eine Frau und zwei Söhne. Knight und seine Frau Penny waren am Boden zerstört. In einer Mitteilung an seine Angestellten erklärte Knight, dass sie, statt ihm Beileidsbekundungen zu schicken, lieber mehr Zeit mit ihren Familien verbringen sollten. Die Suche nach einem neuen Chief Executive hatte von nun an eine ganz andere Dringlichkeit.

Phil Knight nahm sich den Sommer frei. Kurz nach seiner Rückkehr verkündete der Suchausschuss, einen Kandidaten gefunden zu haben: den 57 Jahre alten Bill Perez, Marathonläufer und – viel wichtiger – Manager in einem Unternehmen, das eine ähnlich introvertierte Kultur hat wie der Sportartikelhersteller: S.C. Johnson, Hersteller von Produkten wie dem Sprühreiniger Windex und dem Insektengift Raid. S.C. Johnson bezeichnet sich selbst als Familienfirma, die von fünf Generationen der Johnsons geprägt wurde. Perez hat die Kultur lange aufgesogen – er trat 1970 S.C. Johnson bei und hat das Unternehmen seither nie verlassen.

Perez und Knight trafen sich zum ersten Mal im Februar 2004 in einem Hotel in Palm Springs. Die zwei verbrachten eine Stunde zusammen. Beide eher introvertiert, verharrten sie während eines grossen Teils des Gesprächs beim Thema Sport. Später besprachen sie das Thema Unternehmenskultur. «Ich versuchte mir vorzustellen, wie er zu Nike passen würde», erinnert sich Knight, «ich habe ihn mir sehr genau angeschaut.» Nach einem weiteren Treffen sagte Phil Knights Ehefrau Penny über Bill Perez, dass dieser sie sehr an Phil erinnere. Im September lud Knight Perez und dessen Frau in sein Haus ein nach Racine, Wisconsin. Gemeinsam flogen sie zurück im Privatjet – in der Gewissheit, dass Perez der geeignete Nachfolger sei.

Bereits auf den 24. Januar dieses Jahres räumte Knight sein Büro für seinen Nachfolger. Knights neues Büro als Chairman des Verwaltungsrates befindet sich im Mia-Hamm-Gebäude, über dem Labor, das firmenintern «Innovationsküche» heisst und wo völlig abgeschirmt die Designer an der nächsten Air- oder Shox-Generation herumtüfteln.

Nicht dass Phil Knight sein Werk vollendet hätte. Er wird als Chairman weiter präsent sein. Indem er durch die Gänge schlendert, in bestimmte Projekte hineinschaut, sich mit Leuten unterhält und – am allerwichtigsten – stets in ihrem Hinterkopf drin ist. Und indem er sie stets daran erinnert, dass sie bei Problemen einfach nur ihre Geschwindigkeit verdreifachen müssten.