Durch das Fenster seines Büros blickt Daniel Vasella auf die grösste Baustelle, die Basel je gesehen hat. Für zwei Milliarden Franken errichtet Novartis am linken Rheinufer ein neues Hauptquartier, genannt Campus. «Mit dem Campus vollziehen wir den Wandel vom Produktions- zum Wissensstandort», erklärt Vasella.

Ein Rundgang durch das 20 Hektaren umfassende Areal illustriert, was er meint: Gesichtslose Bürohäuser aus den dreissiger bis siebziger Jahren dominieren das Bild. Nur das Nötigste wurde hier investiert. Im Innern lange schmale Gänge, in denen sich eine Bürozelle an die nächste reiht. Zwischen den Häusern riesige Silos und Kamine, Lagerhallen sowie eine stillgelegte Verladestation für die Eisenbahn. Relikte vergangener Zeiten, als hier noch das Sprichwort galt: «Wenn es in Basel nicht stinkt, stinkts in Basel.» Die meisten der rund 40 Bauten werden in den nächsten Jahren abgerissen.

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Vis-à-vis von Vasellas Büro steht bereits das erste neue Campus-Gebäude mit dem Namen «Forum 3» (siehe Nebenartikel «Campus: Novartis baut sich eine Stadt»), das im letzten Mai eröffnet wurde. Der Gegensatz zum alten Gelände könnte kaum grösser sein: Die farbenfrohe Fassade, elegante offene Arbeitsräume sowie ein prächtiger Wintergarten vermitteln Impressionen des zukünftigen Campus. «Die Architektur», betont der Novartis-Chef, «soll die Kommunikation zwischen den Funktionen erleichtern – und damit das Zusammenarbeiten im Hinblick auf gemeinsame Ziele fördern.» Innert Jahresfrist sind drei weitere Neubauten fertig.

10 000 Mitarbeiter können auf dem Campus dereinst tätig sein, heute sind es 4500. Tausend weitere Angestellte arbeiten zurzeit noch in diversen Aussenstellen. Weil das Personal jedes Jahr um 250 bis 300 wächst, platzt das Hauptquartier aus allen Nähten. Die Postabteilung wurde ins Untergeschoss verbannt. Selbst im Innenhof des vierstöckigen Direktionsgebäudes entstand eine provisorische Baracke, um zusätzlichen Raum zu schaffen. Die Parkplätze lagerte man kurzerhand ins angrenzende Frankreich aus. Engpässe gibt es auch ausserhalb des Konzerns: Ausländische Mitarbeiter, die nach Basel ziehen, finden nur mit Mühe eine Wohnung. Und den internationalen Schulen fehlt es an freien Plätzen.

Der gigantische Bauboom auf dem Novartis-Areal kontrastiert mit der weitherum gedrückten Stimmung vor zehn Jahren, als der Konzern seinen Mega-Merger ankündigte. Dass mit Novartis ein weltweit führender Pharmakonzern entstehen sollte, nahm die Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis. Im Mittelpunkt stand der Stellenabbau – in einer Zeit, da die Arbeitslosigkeit laufend neue Rekordstände erreichte. In nur vier Jahren war die Erwerbslosenrate in der Nordwestschweiz von 0,8 auf 4,7 Prozent explodiert, in der Stadt Basel gar auf 6,4 Prozent.

Rückblende: Am 15. März 1996 traten Novartis-CEO Daniel Vasella und Präsident Alex Krauer in der Sendung «Arena» des Schweizer Fernsehens auf. Sie versuchten, das Publikum von den Chancen der Fusion zu überzeugen. Doch die meisten Diskussionsteilnehmer blieben skeptisch: Von einem «tief sitzenden Schock» und einer «grossen Beklemmung» war die Rede, angesichts des geplanten Abbaus von 10 000 Arbeitsplätzen, davon mehr als 3000 in der Schweiz.

Rhetorisch geschickt rechnete SP-Nationalrat Elmar Ledergerber – der heutige Zürcher Stadtpräsident – dem Duo Vasella/ Krauer vor, dass für jede gestrichene Stelle an der Börse ein Millionengewinn herausgeschaut habe, um dann in Richtung der Novartis-Manager zu rufen: «Das Lächeln auf Ihrem Gesicht ist nicht unseres.» Ein Basler Gewerkschafter verlangte, auf Entlassungen zu verzichten, und doppelte nach: «Ihr Herren Krauer und Vasella, Ihr seid in einer andern Welt.»

Tatsächlich forderte der radikale Konzernumbau zu Beginn viele Opfer. Innerhalb weniger Wochen musste das Management entscheiden, welche der weltweit 600 Standorte geschlossen werden. An zahlreichen Orten überbrachte Daniel Vasella die Hiobsbotschaft persönlich. Am 22. Juli zum Beispiel in Marly, einem Vorort von Freiburg, wo er selber aufgewachsen war. Die gesamte Belegschaft von 280 Personen stand an diesem Morgen dicht gedrängt in der Kantine, als ihnen der CEO verkündete, der Bereich werde nach Basel transferiert. «So etwas ist sehr schwierig mitzuteilen», sagt Daniel Vasella heute, «da muss man vollständig überzeugt sein, dass es das Richtige ist, und das einzig Richtige.»

Dass die Fusionsstrategie aufgehen würde, das allerdings war überhaupt nicht sicher. Die meisten wissenschaftlichen Studien beziffern die Erfolgsquote von Fusionen auf magere 30 bis 45 Prozent, erläutert Piero Morosini, der als Koryphäe auf dem Gebiet gilt. Akribisch hat der Professor der Managementschule IMD in Lausanne die wichtigsten Merger analysiert und dazu mehrere Bücher publiziert. Zu den zahlreichen schlechten Beispielen zählt er ABB oder DaimlerChrysler. Auch bei der Heirat von Ciba und Sandoz habe es anfänglich kritische Stimmen gegeben, erinnert sich Morosini: «Ein Konkurrent kommentierte damals sarkastisch: ‹Wenn sich zwei Krähen zusammentun, gibts daraus keinen Adler.›» Die Schmähungen kamen vorschnell, wie sich heute zeigt. Der Professor bezeichnet Novartis gar als «Vorzeigemodell»: «Die Fusion ist eine der ganz wenigen, die als wirklich erfolgreich gelten können» (siehe BILANZ 4/2006: «Die perfekte Fusion»).

Selbst die Arbeitnehmer haben letztlich profitiert. Die Zahl der Entlassungen in der Schweiz blieb mit 140 deutlich tiefer als ursprünglich befürchtet. Heute arbeiten bei Novartis, unter Berücksichtigung der ausgelagerten Firmenteile (namentlich Ciba Spezialitätenchemie und Syngenta), wieder mehr Personen als vor dem März 1996. Gleichwohl hat der Konzern in diesen zehn Jahren ein komplett neues Gesicht bekommen. Trug die Sparte Gesundheit anfänglich noch weniger als die Hälfte zum Umsatz bei, so ist dieser Anteil inzwischen auf 95 Prozent geklettert. In nur einer Dekade hat Novartis die Medikamentenverkäufe um das Zweieinhalbfache gesteigert, auf mittlerweile 38 Milliarden Franken. 13 Prozent der Schweizer Exporte entfallen allein auf Novartis (siehe Nebenartikel «Wirtschaftsfaktor Pharma: Ein Motor für Basel»).

Die schwierigste Phase erlebte Daniel Vasella im Jahr 1999, nachdem die anfänglichen Synergieeffekte der Fusion ausgeschöpft waren. «Die Investoren verlieren ihre Geduld», schrieb zum Beispiel das Magazin «Business Week». Doch der Konzernchef reagierte umgehend, mit der Abspaltung der Agrochemie-Sparte Syngenta sowie mit einer Marketingoffensive. Bis 2002 wurde die Zahl der Verkaufsagenten in den USA auf 5800 verdoppelt, was vor allem den Absatz des Medikaments Diovan beflügelte. Dieses Jahr dürften die Verkäufe des Herzmittels fünf Milliarden Franken übersteigen.

Die Bilanz über die letzte Dekade lässt wenig zu wünschen übrig: Zum sechsten Mal in Serie, seit 2000 also, hat Novartis den Pharma-Umsatz stärker gesteigert als die Branche insgesamt. Die Aktie hat sowohl den Schweizer Börsenindex SMI als auch den Index der Pharmabranche deutlich geschlagen.

Kaum war der Mega-Merger aus Basel angekündigt, traten schon die ersten Nachahmer auf den Plan. Am schnellsten war Credit-Suisse-Präsident Rainer E. Gut, der bis zur Novartis-Gründung dem Ciba-Verwaltungsrat angehört hatte. Am 1. April 1996 schlug er dem SBG-Präsidenten Nikolaus Senn per Telefon eine Fusion vor. Gut hatte jedoch Pech, die Avance fand den Weg in die Presse. «Hier ging offensichtlich ein Husarenritt in die Binsen», bemerkte die «Neue Zürcher Zeitung» darauf spöttisch. Dagegen fanden sich im Dezember 1997 die SBG und der Bankverein, die zur UBS fusionierten – nach dem gleichen Muster wie Novartis.

Auch in der Pharmabranche folgten die Merger nun Schlag auf Schlag: die britisch-schwedische AstraZeneca, die deutsch-französische Aventis und die rein britische GlaxoSmithKline entstanden. Derweil wartete Daniel Vasella auf eine günstige Gelegenheit, um seine Fusionskünste ein zweites Mal unter Beweis zu stellen. Zumal Novartis in der Liste der grössten Pharmakonzerne langsam nach hinten rutschte.

Da erhielt Vasella am 1. Mai 2001 einen Anruf des Financiers Martin Ebner. Dieser offerierte ihm 20 Prozent der Roche-Inhaberaktien zum Preis von 4,8 Milliarden Franken. Bereits einen Tag später war Novartis neuer Grossaktionär beim Lokalrivalen; der Anteil wurde später auf einen Drittel ausgebaut. Zwar hat das Engagement bislang einen netten Buchgewinn von 4,2 Milliarden Franken abgeworfen – doch zwischen den beiden Konzernzentralen herrscht absolute Funkstille.

Beinahe hätten die Hochzeitsglocken dann doch geläutet, im Frühjahr 2004. Die Pariser Firma Sanofi versuchte damals – mit unverhohlener Rückendeckung des französischen Staates –, die grössere Aventis zu übernehmen. Das Management von Aventis lehnte jedoch ab und favorisierte stattdessen eine Fusion mit Novartis. Über das Wochenende vom 24./25. April stand Daniel Vasella vor einer seiner schwierigsten Entscheidungen: Sollte er die Sanofi-Offerte von 85 Milliarden Franken überbieten? Nach hektischem Hin und Her sagte er ab.

«Es war richtig – auch retrospektiv», urteilt der Novartis-Chef heute, «obwohl wir es, wenn alles regelkonform abgelaufen wäre, wohl umgesetzt hätten.» Aber nicht nur die französische Regierung stand dem Deal im Wege. Den Ausschlag gab ebenso die grosse Skepsis der Investoren. Seit einiger Zeit schon werden Mega-Mergers an der Börse nicht mehr beklatscht, sondern mit Kursverlusten bestraft. «Es wäre naiv zu glauben, dass man immun sei gegen solche Fluktuationen der Finanzmärkte», sagt Vasella.

Dass eine Fusion sehr wohl gelingen kann, zeigt das Lehrstück Novartis. Welche Faktoren sind entscheidend? Auffallend ist zunächst das horrende Tempo, mit dem CEO Vasella die Integration der beiden Firmen vorantrieb. In nur zwei Monaten hatte er bereits die 300 wichtigsten globalen Manager sowie 200 Task Forces definiert. Bis im August 1996 waren zwei Drittel des operativen Geschäfts verschmolzen – obwohl die US-Behörden erst am 17. Dezember offiziell grünes Licht für die Fusion gaben. Vasella führte die Zügel extrem straff: Er setzte seinen Kaderleuten so genannte «Stretch Goals» – Ziele, die sie nur im allerbesten Fall erreichen konnten.

Die Mitarbeiter sollten so stark gefordert werden, dass sie keine Zeit hätten, sich in Grabenkämpfen zu verlieren, erklärte der Novartis-Chef einmal seine Methode. Dazu gehören auch seine zwar informellen, dafür aber umso effizienteren Kommentare, die er bei Bedarf oben rechts auf den Memos platziert.

Gegen aussen liess Vasella nie den geringsten Zweifel aufkommen, dass er die eingeschlagene Strategie für absolut richtig hielt. Doch eigentlich hatte er damals gar keine andere Wahl, wie er heute betont: «Am Anfang der Fusion wäre es nicht akzeptabel gewesen, etwas Wesentliches nicht zu wissen oder nicht im Griff zu haben.» Zehn Jahre später dagegen sei die Situation eine andere. «Der Unterschied ist der, dass neben mir nun viele Kollegen im Konzern arbeiten, die ihren Bereich kompetent führen, und eine gemeinsame Ausrichtung besteht. Jetzt ist es deshalb legitim, wenn ich eine Antwort nicht sogleich weiss.»

Diese Führungscrew heranzubilden, bezeichnet Daniel Vasella als eine der zentralen Aufgaben nach der Fusion. «Wir mussten Personen finden, die willens waren durchzugreifen – sogar wenn es wehtat. Doch gleichzeitig brauchten sie Einfühlungsvermögen, um auf die Mitarbeitenden eingehen und sie unterstützen zu können.»

Eine Schlüsselfigur ist Finanzchef Raymund Breu. Schon bei den Fusionsverhandlungen war der Kassenwart von Sandoz ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt. Bei Novartis implementierte der stets gemütlich wirkende Appenzeller ein striktes Controlling und hielt damit sämtliche Fäden in der Hand. Sollte Vasella etwas zustossen, tritt Breu an seine Stelle.

Das neu geschaffene Integrationsbüro führte ein weiterer Sandoz-Manager, der ehemalige McKinsey-Berater Paul Choffat. Der Romand leitet heute die Konzernsparte Consumer Health. Im Einsatz stand zudem ein 60-köpfiges McKinsey-Team unter Thomas Wellauer, mit dem Daniel Vasella schon zuvor eng kooperiert hatte. Derweil habe der Ex-Cibaner Alex Krauer als Verwaltungsratspräsident von Novartis kaum Einfluss auf die Umsetzung des Mergers ausgeübt, heisst es bei damaligen Kaderleuten. Gleichwohl lobt Vasella dessen Arbeit: «Herr Krauer war mir gegenüber sehr grosszügig, unterstützend und verständnisvoll. Das war von grosser Wichtigkeit.»

Nach drei Jahren gab Alex Krauer das Präsidium bereits wieder ab. Umso stärker drängten die Manager der kleineren, dafür aber ertragsstärkeren Sandoz an die Führungspositionen. «Da es zu Beginn noch keine eingespielten Strukturen gab, war der straffere Führungsstil, der im Hause Sandoz herrschte, von Vorteil», analysiert der ehemalige Cibaner und erste Kommunikationschef von Novartis, Walter von Wartburg.

Offiziell wurde die Novartis-Fusion als ein Merger of Equals, als Zusammenschluss zweier gleich starker Partner, deklariert – die Realität indes präsentiert sich anders. Heute besteht das neunköpfige Executive Committee aus nicht weniger als sechs ehemaligen Sandoz-Leuten: Neben Vasella, Breu und Choffat sind dies Chefjurist Urs Bärlocher, Andreas Rummelt, der die Generika-Division führt, sowie Jörg Reinhardt.

Der langjährige Entwicklungschef gilt intern als möglicher Nachfolger Vasellas. Bereits 1993 arbeiteten sie gemeinsam bei Sandoz an einem Projekt zur Verkürzung der Entwicklungszeiten. Nun übernimmt Reinhardt die Führung der neu gebildeten Impfstoffsparte, was Raymund Breu mit der sibyllinischen Bemerkung quittierte, mit der Funktion stehe er nun im Rampenlicht für das General Management. Aus der früheren Ciba stammt dagegen nur einer der neun Novartis-Topmanager, nämlich Personalchef Jürgen Brokatzky-Geiger. Zwei sind ausserdem nach der Fusion dazugestossen: Pharmachef Thomas Ebeling und der oberste Forscher Mark Fishman.

Doch ist ein Merger of Equals überhaupt erstrebenswert? Nein, meint Jürgen Dormann, der sich mit Fusionen auskennt wie nur wenige: «Bei einem dominanten Partner wird es einfacher. Er stülpt seine Kultur dem andern über. Das ist zwar schmerzhaft für viele, aber effizient.» Dormann präsidiert ABB, ist Vizepräsident von Sanofi-Aventis und designierter Präsident von Adecco – alles Firmen, die aus Fusionen entstanden sind. Gar noch einen Schritt weiter geht Jacques Aigrain, der heutige CEO der Swiss Re, der die Novartis-Fusion als Investment Banker begleitet hatte: «Einen Merger of Equals gibt es nicht – einer der Partner ist de facto stets der stärkere.»

Nahe liegend wäre somit gewesen, aus Novartis eine vergrösserte Kopie von Sandoz zu machen. Genau das jedoch wollte Daniel Vasella nicht: «Es ist wichtig, dass man eine grundlegend neue Identität definiert und sagt: Die Vergangenheit ist zwar prima, aber sie ist prima, um sie auch zur Seite legen zu dürfen.» Aus diesem Grund, erzählen Vertraute, sei Vasella bewusst auf eine gewisse Distanz zu seinem Mentor, dem Sandoz-Patron Marc Moret, gegangen. Als stolzer Architekt der Fusion habe Moret mit etwelcher Verbitterung darauf reagiert. Wegen gesundheitlicher Probleme hat der inzwischen 82-jährige Ehrenpräsident seinen Konzern seit einiger Zeit nicht mehr besucht.

Längst ist der 52-jährige Vasella aus dem Schatten seines Übervaters herausgetreten. Kein Schweizer Manager hat international ein solches Renommée erlangt wie er. Die Leser der «Financial Times» kürten ihn 2004 zum einflussreichsten europäischen Business Leader der letzten 25 Jahre. Novartis-Vizepräsident Hans-Jörg Rudloff landete in derselben Umfrage auf Rang sieben. Das Magazin «Time» schrieb über Daniel Vasella, er habe sich einen Namen als «Inbegriff des globalen CEO» gemacht. Auch bei «Forbes» oder «Business Week» lächelte er schon von der Titelseite. Und die Universität Harvard ehrte ihn 2003 mit dem Alumni Achievement Award.

Den Höhepunkt seiner Karriere erlebte Daniel Vasella am 10. Mai 2001. In Washington konnte er die in Rekordzeit erfolgte Zulassung des neuartigen Krebsmittels Glivec verkünden. Was es bei einem solchen Anlass noch nie gegeben hatte: Der US-Gesundheitsminister war persönlich erschienen und lobte das Medikament in seiner Rede als «Vorbote der medizinischen Zukunft». Vasella hat darauf sogar ein eigenes, 250 Seiten dickes Buch über Glivec geschrieben («Magic Cancer Bullet»).

Es beginnt mit den pathetischen Sätzen: «Wir fühlten, dass wir das Richtige taten. Aber tief in uns spürten wir auch Zweifel. Was immer die andern sagen mögen, wir waren überzeugt von unserer Mission. Was könnte wichtiger sein, als einen Patienten am Rande des Todes zu retten?» War die chronische myeloische Leukämie zuvor eine tödliche Krankheit, so sind nach einer vierjährigen Behandlung mit Glivec neun von zehn Patienten weiterhin am Leben. In seinem Buch hat Daniel Vasella ausserdem sehr persönliche Erfahrungen aus der Jugendzeit, insbesondere den Krebstod seiner Schwester, verarbeitet.

In deutscher Sprache ist «Magic Cancer Bullet» allerdings nie erschienen – wohl nicht ganz zufällig. Vasella selber bezeichnet den Stil des Buches als «amerikanisch». Wie es hierzulande ankäme, ist ungewiss. Zumal sich in der Schweiz eine gewisse Reserviertheit dem Novartis-Chef gegenüber feststellen lässt. Zum Titel des helvetischen «Managers des Jahres» beispielsweise, den die «HandelsZeitung» über eine Umfrage bei Wirtschaftsjournalisten ermittelt, hat es ihm bislang nicht gereicht.

Was die Liste illustriert: Bodenständige, typische schweizerische Personen und ihre Firmen, wie etwa André Dosé (Swiss) oder Philippe Gaydoul (Denner), schliesst die Bevölkerung bereitwillig ins Herz. Auf der andern Seite stehen Daniel Vasella und Novartis für die Globalisierung, die bei Herrn und Frau Schweizer noch immer einiges an Misstrauen weckt. Auch die Spitzengehälter sprengen die Kategorien, die man hier bis anhin kannte.

Im Weiteren hat Vasella regelmässig gewarnt, unser Land dürfe die führende Position in der Forschung nicht verlieren. 2001 unterzeichnete er das «Manifest für den Denkplatz Schweiz». «Die Konkurrenz nimmt nicht ab, sondern zu», lautet seine Botschaft, «darauf sollten wir mit weniger Selbstzufriedenheit reagieren.» Worte wie diese hört Volkes Seele nur ungern. Ebenso argwöhnisch registrierte die Öffentlichkeit vor vier Jahren den Bau eines neuen Forschungszentrums im amerikanischen Cambridge. Heute arbeiten dort 1000 Personen, verglichen mit 1600 Forschern in Basel.

Die kühle Resonanz, auf die Vasella in seiner Heimat trifft, hat einen weiteren Grund: Die traditionellen Netzwerke hat er nie sonderlich gepflegt. «Es gefällt ihm, in der kumpelhaften Schweizer Firmenwelt die Rolle des Aussenseiters zu spielen», notierte die «Financial Times». Zum Beispiel an der Generalversammlung von Roche im Jahre 2003: Über einen Gesandten, den Rechtsprofessor Rolf Watter, attackierte er den Roche-Präsidenten Franz B. Humer unüblich hart und machte dabei sogar dessen Lohn zum Thema.

Nach zehn Jahren gedeihlichen Wirkens stellt sich die Frage: Ist der Einfluss Vasellas auf die Geschicke von Novartis mittlerweile zu gross geworden? Der Konzernlenker verneint: «Wenn im Verwaltungsrat keine konstruktive Diskussion mehr stattfindet, kann das vielleicht ein paar Monate verborgen bleiben. Nicht aber während Jahren.» Dann fügt er hinzu: «Gefährlich wird es, wenn man glaubt, nicht mehr verwundbar zu sein. Erfolg ist nie definitiv. Nie.»

Daniel Vasella hat sich die eigene Messlatte hoch gesetzt. Zum einen des stolzen Salärs wegen, das er für seine Tätigkeit erhält. Zum andern sind mit der guten Entwicklung in der vergangenen Dekade auch die Erwartungen an die Zukunft stetig gestiegen. Der Börsenwert von Novartis beträgt imposante 195 Milliarden Franken. Damit gehört der Konzern zu den Top 25 dieser Welt.

Um die Erwartungen der Finanzmärkte zu rechtfertigen, muss das Unternehmen auch in den kommenden Jahren ein rasantes Wachstum erzielen. Die Analysten rechnen damit, dass Novartis den Umsatz bis 2008 auf 55 Milliarden Franken steigert, von 40 Milliarden 2005. Der Reingewinn soll in den nächsten drei Jahren gar um zwei Drittel auf 12,8 Milliarden Franken klettern. Da wartet noch einiges an Arbeit.