Sie haben sich an der Generalversammlung der Bâloise sehr kritisch über die Politik geäussert. Was läuft Ihrer Ansicht nach schief in der Schweiz?
Rolf Schäuble: Wir haben in unserem Lande keine Visionen mehr. Wir haben keine Leitfiguren, und es herrscht eine Stimmung, die Veränderungen nicht mehr zulässt. Das hat auch mit den Strukturen dieses Landes zu tun. Der dreistufige Aufbau mit Volksrechten, die viel zu weit gehen, blockiert das Land.
Welche Veränderungen braucht es?
Schäuble: Wir müssten den Staatsaufbau in Frage stellen. Der Staat hat sich seit 1848 nicht an die veränderte Welt angepasst. Unternehmen müssen sich dauernd an neue Situationen anpassen, um zu überleben.
Der Staat ist aber keine Unternehmung ...
Schäuble: Sicher muss der Staat anderen Ansprüchen genügen. Aber wir leben noch mit den Strukturen aus der Gründerzeit, mit massiv ausgebauten Volksrechten. Kleinstgruppen können sehr viel verhindern. Unserem Land geht es von Jahr zu Jahr schlechter.
Was wollen Sie konkret verändern?
Schäuble: Wir müssten beschliessen, dass wir in diesem Land 20% weniger ausgeben wollen als bisher. Das ist möglich, wenn wir neue Ebenen schaffen, andere Kompetenzen zuordnen, nicht mehr alles in 3000 Gemeinden machen. Zudem müssen wir mehr in Bildung, Forschung und Infrastruktur investieren. Nicht unbedingt in die Neat zwar ...
... aber in die Swiss?
Schäuble: Nein. Auch das war ein Fehler. Wir brauchen keine eigene nationale Airline. Wir brauchen gute Verbindungen, nicht mehr und nicht weniger. Auch die Expo war notabene ein Fehltritt: Wir haben 2 Mrd Fr. investiert, ohne etwas Bleibendes geschaffen zu haben.
Machen Sie es sich nicht etwas zu einfach, wenn Sie mit dem Finger auf die Politiker zeigen? Die Wirtschaftsführer haben sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, wenn ich an die Lohnexzesse denke ...
Schäuble: Sicher, das möchte ich nicht schönreden. Aber ich sehe viele Unternehmer und Unternehmen, die ihre Sache sehr gut machen. In der Politik jedoch sehe ich kaum etwas Positives. Fast alles, was die Politiker heute machen, geht in die falsche Richtung.
Ramponiert es den Ruf der Wirtschaft nicht, wenn Manager 400-mal mehr verdienen als Arbeiter im selben Betrieb?
Schäuble: Das sind wenige Einzelfälle, und sie sind erst in den letzten Jahren akut geworden. Bis vor zehn Jahren standen die Löhne in den Firmen in einem verantwortbaren Verhältnis.
Das hat sich verändert. Finden Sie zweistellige Millionenlöhne denn in Ordnung?
Schäuble: Wissen Sie, wer setzt denn den Massstab, was in Ordnung ist und was nicht? Ich setze auch Fragezeichen hinter diese sehr hohen Löhne. Nur: Diese Leute schanzen sich die Löhne nicht selber zu. Entschädigungen werden von einem Compensation Committee abgesegnet, letztlich vom Verwaltungsrat. Wenn die Generalversammlung nicht einverstanden ist, muss sie andere Verwaltungsräte wählen.
Wie gross ist die Differenz bei der Bâloise zwischen dem höchsten und dem tiefsten Lohn?
Schäuble: Das habe ich noch nie ausgerechnet.
Gibt es keine Richtgrösse?
Schäuble: Das wäre mir nicht bekannt. Ich finde es aber auch nicht sinnvoll. Löhne müssen sich an der Leistung und am Umfeld etc. ausrichten. Und nicht an einer Verhältniszahl.
Apropos Verwaltungsräte: Eine Studie der HSG St. Gallen zeigt, dass je mehr Mandate Verwaltungsräte haben, desto schlechter ist die Performance ihrer Firmen. Sollten die Mandate pro Verwaltungsrat begrenzt werden?
Schäuble: Durchaus! Vor allem bei grösseren Firmen. Ich persönlich habe nur das Mandat bei der Bâloise. Und im Verwaltungsrat der Bâloise kennen wir keine Überkreuz-Mandate. Stossend finde ich die so genannten Profiverwaltungsräte. Das Wort ist per se schon ein Unwort. Die sind nirgends richtig präsent, dafür überall ein bisschen. Ich finde das höchst unprofessionell. Es gibt prominente Leute, die sitzen in zu vielen Verwaltungsräten. Das lässt sich gar nicht bewältigen, es gibt Terminkollisionen, Interessens- und Gewissenskonflikte.
Nochmals zurück zur Politik. Ist Ihre Branche nicht einfach sauer auf die Politiker, weil diese die berufliche Vorsorge verpolitisiert haben?
Schäuble: Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen Politiker. Es gibt gute, es gibt schlechte, genauso wie im Sport und den Unternehmen. Doch die Qualität der Politiker hat in den letzten Jahren konstant abgenommen. Das Bundesparlament ist geprägt von Funktionären. Das sind nicht mehr diese Persönlichkeiten, die wir früher gehabt haben.
Aber Sie waren doch nicht besonders glücklich damit, wie die Politik Ihre Branche behandelt hat?
Schäuble: Gerade zimperlich ist man mit der Assekuranz nicht umgegangen.
War man zu hart?
Schäuble: In der beruflichen Vorsorge stimmt einfach vieles nicht. Wenn man der 2. Säule eine Chance geben will, muss man dafür sorgen, dass das Geschäft rentabel betrieben werden kann. Sonst müssen wir es aufgeben. Gewissen Kräften wäre das recht. Dann könnte man die 2. Säule gemeinsam mit der 1. Säule zu einer Staatsrente ausbauen.
Was tut die Bâloise, wenn sich der Bundesrat weiterhin weigert, den Mindestzins nach einer Formel zu berechnen?
Schäuble: Die Formel kommt. Davon bin ich überzeugt. Wir brauchen eine wirtschaftlich festgelegte Grösse. Schliesslich geht es nicht um den Kirschenpreis, der je nach Ernte schwanken kann.
Die Bâloise ist die Grossaktionäre endlich losgeworden. Bleiben Sie nun selbstständig?
Schäuble: Ich habe immer gesagt, dass die Selbstständigkeit kein Unternehmensziel per se ist. Wir haben aber bewiesen, dass es nicht so einfach ist, die Bâloise zu schlucken. Trotz der beiden Grossinvestoren, die uns zu mehr als 40% besessen haben, gibt es uns noch! Heute sind wir wieder eine echte Publikumsgesellschaft, kein Aktionär besitzt über 4% Aktienanteil. Das passt uns.
Ihr Management hat sich in der Vergangenheit für den Fall einer Übernahme mit saftigen Entschädigungen abgesichert, die fällig geworden wären. Wird diese Klausel jetzt gestrichen?
Schäuble: Diese Abmachung läuft Ende 2004 aus. Ob wir sie verlängern, ist noch offen. Man muss aber schon sehen: Ohne diese Absicherung hätten wir in der Vergangenheit keine Manager gefunden. Wer wechselt schon zu einer Firma, die zu über 40% von Grossaktionären kontrolliert wird?
Wohin geht die Reise der Bâloise strategisch?
Schäuble: Wir haben uns reorganisiert, auch mit Blick auf das Auslandgeschäft, und uns aufs Kerngeschäft fokussiert. Als wir 1997 begonnen haben, Länder und Gesellschaften abzustossen, die unseren Vorstellungen nicht entsprochen haben, hat man uns als Exoten belächelt. Heute tun es alle. Wir haben auch im letzten Jahr antizyklisch gehandelt, als wir die Securitas in Deutschland gekauft haben. Alle haben verkauft, wir haben gekauft. Die Securitas ist stark im Nichtleben-Geschäft.
Kann man mit Lebensversiche-rungen überhaupt noch Geld verdienen?
Schäuble: Ja. Absolut. Wir wollen das Lebengeschäft weiterhin betreiben. Aber nicht zu jedem Preis. Wir zeichnen neue Geschäfte nur noch, wenn wir etwas daran verdienen.
Bedeutet das, immer mehr fondsgebundene Versicherungen anzubieten, wo die Kunden das Anlagerisiko tragen?
Schäuble: Wir sind Versicherer und müssen primär die Kunden gegen ein Risiko absichern. Wir würden deshalb nie den Kunden nur noch Fondsprodukte anbieten. Wenn wir auf den klassischen Produkten aber kein Geld mehr verdienen können, und die Versicherten wie in Deutschland auch noch den Steuervorteil verlieren würden, wieso sollten wir dann noch solche Produkte anbieten?
Wo wollen Sie geografisch wachsen?
Schäuble: Wir bleiben in Kontinentaleuropa. Das heisst in den deutschsprachigen Ländern plus Luxemburg und Belgien, wo wir schon sind.
Sind die neuen EU-Länder eine Chance für die Bâloise?
Schäuble: Absolut! Wir sind indirekt durch unsere Tochtergesellschaft Deutscher Ring, zu dem der Strukturvertrieb OVB gehört, in allen Westeuropa angegliederten Ländern tätig, also in Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Kroatien. Wir vertreiben Produkte verschiedener Anbieter.
Die Analysten der ZKB halten den Deutschen Ring für eine Wertvernichtungsmaschine...
Schäuble: Wir haben diese Gesellschaft 1985 gekauft, sehr günstig notabene. Der Deutsche Ring richtet sich an untere und mittlere Käuferschichten. Die arbeiten sehr gut. Ich kann diese Kritik deshalb überhaupt nicht verstehen.
Auch das Projekt Bâloise Bank SoBa wird immer wieder in Zweifel gezogen. Alles nur Neid, weil bei der Konkurrenz ähnliche Projekte nicht funktioniert haben?
Schäuble: Ob es Futterneid ist oder nicht, weiss ich nicht. Tatsache ist, dass die Bâloise Bank SoBa rentabel ist. Bâloise und Bâloise Bank SoBa zusammen bieten rund 9 Mrd Fr. Hypotheken in der Schweiz an.
Der Ausflug ins Private Banking ausserhalb des Kerngebietes ist aber gescheitert...
Schäuble: Wir sind nicht die Einzigen, die bedingt durch die Börsenbaisse Private-Banking-Pläne haben zurückfahren müssen. Wir setzen jetzt auf das Mobile Banking, wo der Aussendienst der Basler die Dienstleistungen der Bank schweizweit vertreibt. Dank unserem synergetischen Modell hat die Bâloise Bank SoBa über 4000 neue Kunden gewonnen.
Kein Verkauf der Bâloise Bank SoBa also?
Schäuble: Bestimmt nicht.
Profil: Steckbrief
Name: Rolf Schäuble
Funktion: Verwaltungsratspräsident Bâloise
Alter: 60
Wohnort: Lenzburg
Karriere
1972 Dr. oec. HSG
1975-1993 Verschiedene Funktionen inkl. Konzernleitungsmitglied für den Bereich Schweiz bei der Zürich Versicherungs-Gruppe
Seit 1994 Verwaltungsratspräsident der Bâloise-Holding, 1996 bis 2002 zusätzlich CEO der Bâloise
Schlagworte:
«Im Kanton Aargau lässt es sich gut leben, weil...
... der Kanton so nahe an der Stadt Basel liegt.»
«Die Basler spielen besser Fussball als die Zürcher, weil...
... die Basler Kicker einen -artigen Zürcher Trainer haben.»
«Eine nationale Airline braucht die Schweiz nicht, weil...
... sich im hochfliegenden Business genügend Mitbewerber tummeln, die optimale Leistungen anbieten.»
Bâloise N Letzer Kurs: Fr. 51.80
(in Mio Fr.) 2003 2002 %
Bruttoprämien 7375 7275 1.4
Leben 4301 4633 7.2
Nichtleben 3089 2658 16.2
Reingewinn 92 635
Beschäftigte 8745 8703 0.5
Fazit: Der Kurs der Bâloise ist seit dem Monat März infolge von Zinsängsten eingebrochen. Diese Furcht ist übertrieben: Höhere Zinsen machen das Lebengeschäft grundsätzlich profitabler. Je höher die Zinsen, desto besser die Aussichten für die Bâloise.