ÜBERNAHMEN. Die Stunde der Wahrheit wird 2010 schlagen. Dann, wenn der hiesige Rohwerkegigant Eta aus dem Swatch-Konzern die Lieferung von Werke-Bausätzen einstellt. Zu ihren Abnehmern gehören beispielsweise Selitta oder Soprod.
Apropos Soprod: Das Schweizer Traditionsunternehmen mit Sitz im bernischen Reussilles, welches zahlreiche Etablisseure mit fertigen Uhrwerken beliefert, befindet sich seit Anfang Oktober 2007 in chinesischer Hand, genauer gesagt im Besitz der einflussreichen Peace Mark Holdings, Hongkong. Diese besitzt bereits seit 2002 die Uhrenmarke Milus und vertreibt in China Rolex-Uhren. Im Geschäftsjahr 2006/07 hat die Gruppe Verkäufe im Umfang von 3 Mrd Hongkong-Dollar (450 Mio Fr.) und einen Reingewinn von 304,6 Mio Hongkong-Dollar erwirtschaftet.
Auch Indtec und SFT verkauft
Soprod-Verkäufer an die Peace Mark ist die Genfer Holding STM (Umsatz 120 Mio Fr.), welche ihrerseits der Private-Equity-Gruppe Léman Capital (LC) gehört. Sie hatte Soprod erst 2005 erworben. Zum Deal gehören auch, ebenfalls aus dem Besitz von LC, die Werkeproduzenten Indtec und SFT (Société de Finance et Technologie), beide in Sitten. Beide waren 2001 unter das LC-Dach gelangt. Zudem das, was von der ehemaligen France Ebauches übrig geblieben ist. Betroffen sind weltweit mehr als 1500 Mitarbeiter: 1200 in China, gut 150 in Sitten, etwa 70 in Reussilles und der Rest in Frankreich. STM ist im internationalen Werkebusiness eine ernst zu nehmende Grösse. Immerhin fertigt sie etwa 10% aller konventionellen Quarzwerke. Indtec, Sitten, und Ineltec, Maîche (Frankreich), produzieren die Komponenten, während Swissebauches den Zusammenbau in China bewerkstelligt. Gegenwärtig verlassen jährlich rund 70 Mio Quarzwerke die Fabriken, aber die Kapazität ist auf rund 100 Mio Werke ausgelegt. Soprod besitzt einen hochrangigen Kundenkreis und ist für 200000 mechanische Kaliber einschliesslich besonderer Module und Aufbauten per annum gut. Ein langfristiger Vertrag mit der Eta sichert die Belieferung bis mindestens 2011.
Liefert Seiko die Spirale?
Wer STM hört, denkt zwangsläufig an das Automatikkaliber Alternance 10 (A 10), dessen Dimensionen exakt mit dem Bestseller Eta 2892-A2 übereinstimmen. Etwa 80000 Exemplare davon sollen jährlich entstanden und an namhafte Kunden, darunter auch Franck Muller, geliefert worden sein. Das Delikate an der Angelegenheit: Es wird vermutet, dass das A 10 mit Seiko-Spiralen tickt. Zur Verhinderung eines Technologietransfers nach China könnten die Japaner ihre Lieferungen überdenken, zumal Peace Mark eine Beteiligung am chinesischen Werkefabrikanten Sea Gull hält. Warum sich europäische Grössen wie der LVMH-Konzern den Deal entgehen liessen, bleibt unklar. Dessen Tochter TAG Heuer hätte speziell die Soprod-Kompetenz sicherlich gut brauchen können.
TechnoTime im Besitz von Chung
Es passiert also einiges, zumal sich auch TechnoTime, La Chaux-de-Fonds, ein anderer Hersteller von Uhrwerken und Komponenten, indirekt unter chinesischer Kontrolle befindet. Gemeint sind der Milliardär Charles Chong und seine Chung Nam Watch, welche über die Schweizer Uhrenmarke Roamer gebieten.In Schweizer Hand geblieben ist hingegen die Werke- und Komponentenfertigung von Roger Dubuis. Über finanzielle Probleme der Manufaktur war in den zurückliegenden Monaten nicht nur einmal gemutmasst worden. Begleitet von heftigen Dementis aus dem Genfer Vorort Meyrin. Nun ist tatsächlich der ungemein potente Richemont-Konzern eingestiegen. Er erwarb den Produktionsbereich von Roger Dubuis samt zirka 200 Mitarbeitern, die künftig für Richemont-Marken und weiterhin auch für die Roger Dubuis SA Werke sowie Komponenten herstellen werden.Im Paket befinden sich ein neues, zweckmässiges Gebäude und ein umfassender Maschinenpark der letzten Generation, zu dem ein Dutzend moderner ALMAC CU 3005-Fertigungszentren, fünf Drahterosionsmaschinen und zwei Mikroverzahnungsautomaten gehören. Und das breite Spektrum von 28 mechanischen Kalibern, welches vom schlichten Handaufzug bis hin zu unterschiedlichsten Komplikationen reicht, ist ebenfalls nicht zu verachten. Man darf gespannt sein, unter welchen Zifferblättern oder in welchen Gehäusen diese Uhrwerke künftig ebenfalls ticken werden. Die Collection Privée von Cartier bietet sich hier förmlich an. Die Richemont-Töchter A. Lange & Söhne sowie Jaeger-LeCoultre benötigen den Support dagegen kaum. Sie besitzen ihre eigenen Kapazitäten und sind daher nicht auf fremde Fertigungshilfe angewiesen. Vacheron Constantin strebt unter der Leitung von Charly Torres den Status einer Voll-Manufaktur mit ausschliesslich eigenen Uhrwerken an. Inwieweit hier Synergien greifen können, lässt sich momentan nicht absehen.
Richemont zog die besten Karten
Jedenfalls ist Richemont nach dem Zukauf von Roger Dubuis Werkeproduktion bei mechanischen Kalibern bestens aufgestellt. Mit der Manufacture Horlogère ValFleurier gibt es nämlich noch eine weitere Fertigungsstätte für Uhrwerke. Unter der umsichtigen Leitung von Eric Klein arbeitet ValFleurier lieber im Hintergrund. Zu den Auftraggebern gehören Montblanc, Piaget und insbesondere Panerai. Das ambitionierte, aus unterschiedlichsten Berufszweigen bestehende Team umfasst gegenwärtig 55 Leute, von denen sich 30 in Buttes NE mit der effizienten Komponentenproduktion und 25 in Neuenburg mit komplexen Entwicklungsarbeiten beschäftigen. Von dort werden die Datensätze online in die eher abgeschiedene Ortschaft versandt, wo sie in die elektronischen Speicher computergesteuerter Fertigungszentren der neuesten Generation wandern. Selbige laufen derzeit an fünf Tagen rund um die Uhr. Doch Eric Klein will mehr: 300 Tage Maschinenlaufzeit per annum, um Kits für 80000 Uhrwerke herstellen zu können. Die ungemeine ValFleurier-Dynamik wird den Mitarbeiterstab bereits bis 2008 auf 200 Personen anwachsen lassen. Bis sämtliche Rohkomponenten für ein traditionelles Handaufzugskaliber fertig sind, vergehen in der Summe aller Arbeitsvorgänge etwa 30 Minuten. Bei aufwendigeren Komplikationen können bis zu drei Stunden ins Land gehen. Manche der Winzlinge sind derart komplex, dass sie sich nur mit einer hypermodernen 10-Achsen-Maschine produzieren lassen. Die kommt aus Japan, kostet rund 400000 Euro und leistet dank kreativer Bedienerführung bei ValFleurier deutlich mehr, als sich die fernöstlichen Konstrukteure in ihren kühnsten Träumen vorstellen konnten.
Von Progress über STT zu Dimier
Eine Schweizer Lösung ist auch Dimier. Der Mann ist ein Phänomen, denn er kennt jeden seiner rund 70 Mitarbeiter mit Vor- und Nachnamen. Ausserdem weiss Pascal Raffy, der die Philosophie vertritt, dass das Team unser Erbe ist, ganz genau, wer in welchem Atelier gerade mit welchen Aufgaben betraut ist. Und das, obwohl ihm, wie er immer wieder betont, gar nichts von der Uhrenmanufaktur Dimier in Tramelan gehört. «Meine drei Töchter besitzen alles: Dimier, Bovet und auch das Château von Môtiers, die Wurzel der Familie Bovet, in dem wir ein Museum eröffnen werden.» Einen Tag pro Woche soll dieser Prachtbau mit der Privatsammlung Raffy ab dem Frühjahr 2008 für das Publikum geöffnet werden. Nach dem Kauf der STT (Swiss Time Technology) Holding im Juni 2006 hatte der Workaholic erst einmal nichts zu lachen. Für sein Geld bekam er unter anderem die STT Complications SA (ehedem Progress Watch), die STT Mechanical Movements SA und die STT SPIR-IT (Unruhspiralen). Das Firmenkonglomerat befand sich in einem eher schlechten Zustand. «Als Erstes musste ich neun Mitarbeitern kündigen, welche den alten Geist partout nicht ablegen wollten und so eine Gefahr für die neue Struktur darstellten. Und dann waren wir gezwungen, Komponenten im Wert eini-ger Mio Fr. wegen miserabler Qualität schlichtweg zu vernichten.»
Mehr als nur Drehgestelle
Erst dann konnte der Nachfolger Dimier nach den klaren Vorstellungen seines Chefs so richtig loslegen. Qualität schreibt Raffy ungemein gross. Penibel achten er und sein Team darauf, dass nur 100%-ige Produkte verkauft werden oder in den Uhren mit den eigenen Signaturen Bovet und Dimier zum Einsatz gelangen. Apropos Dimier: Diese Signatur ist Raffys Fantasie entsprungen, weil er meinte, sie könnte gut in diese Gegend unweit Saint-Imier passen. «Erst hinterher haben wir festgestellt, dass dieser Name hier oben bereits seit 1738 existierte. Und das hat uns natürlich besonders gefreut.» Aktuell könnte man Dimier als reine Tourbillon-Manufaktur bezeichnen, denn sie produziert – noch – ausschliesslich Drehgang-Kaliber. Gegenwärtig rund 500 Exemplare pro Jahr. Deren Basis stammt unübersehbar von Progress. «Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir jedes Teil unter die Lupe genommen und vollkommen überarbeitet haben. Das waren wir uns und unseren Kunden schuldig.» Wichtigster Partner ist Harry Winston, mit dem ein langfristiger und in die Zukunft gerichteter Vertrag existiert. «Aber selbstverständlich beliefern wir alte Kundschaft weiter.» Dazu gehören Chronoswiss und Alain Silberstein.
D
er Weg zur echten Uhrenmanufaktur ist lang und steinig. Carl F. Bucherer (CFB) will und wird ihn gehen. Marscherleichterung bringt der Kauf eines Ateliers für uhrmacherische Komplikationen im Jura zum 1. Juli 2007 (siehe auch Seite 35). Nach zehnjähriger Kooperation mit der Techniques Horlogèrs Appliquées SA (THA) in Ste-Croix lag dieser Schritt irgendwie nahe, zumal der Vorbesitzer Pascal Courteault seine Tätigkeit wegen gesundheitlicher Probleme aufgeben musste. Nun ist eine vollständige Integration in die Welt von CFB angesagt, dessen CEO Thomas Morf eine doppelte Strategie verfolgt: «Auf der einen Seite werden wir bekannte Basiskaliber verwenden und Komplikationen, welche entweder exklusiv für Carl F. Bucherer entwickelt wurden oder wir verbauen eigene Kaliber und Komplikationen. Dies stellt dann die Spitze in unserem Sortiment dar und wird logischerweise auch preislich in einem höheren Preissegment angesiedelt sein.»
In diesem Sinne könnte man die THA als Denkfabrik, Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionszentrum von CFB sehen, welches gegenwärtig über zwölf Mitarbeiter verfügt. Überdies wird die gesamte Werkmontage (T1) von Lengnau nach Ste-Croix verlegt. In Lengnau verbleibt hingegen die Montage der Uhren (T2).
1. Schritt