Die Aktienindizes und die einschlägigen Stimmungsindikatoren sprechen eine deutliche Sprache: Weltweit sind die Anleger in bester Kauflaune. Indessen zeigt ein Blick auf die «Einkaufslisten», dass es vom guten Mut der Investoren bis zum Übermut noch lange hin ist. Denn dort findet sich vorwiegend, was günstig ist und stabile Kursgewinne verspricht jene Papiere also, die gemeinhin mit dem Etikett «Value» (Wert) versehen werden.
Favorisierte Pharmariesen
Für Alfred Roelli, Leiter Finanzanalyse bei der Genfer Privatbank Pictet, ist das ein gutes Zeichen. «Die Outperformance von Value-Titeln ist ein Hinweis darauf, dass es bis zu einer grösseren Marktkorrektur noch länger dauern könnte.» Denn für gewöhnlich stürzen sich die Anleger in der Schlussphase eines Bullenmarkts auf Werte mit hohen Kursgewinnen, aber auch hoher Bewertung, «Growth» (Wachstum) im Börsenjargon. Kaum jemals wurde diese Tendenz deutlicher als während des Runs auf Technologie-Werte im Jahr 2000.
Anders heute. Statt luftiger Versprechen sind harte Kennzahlen gefragt, insbesondere ein tiefes Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) und eine stattliche Dividendenrendite. Gewiefte Value-Investoren wie der US-Milliardär Warren Buffett schauen zusätzlich auf die Qualität der Firmenführung und zukünftige Markttrends. Und sie werden immer noch fündig. «Value ist noch nicht ausgereizt», versichert Roelli von Pictet. Das eröffnet gerade für den Schweizer Aktienmarkt interessante Aussichten. Denn kaum eine Benchmark wird derart von Value-Titeln beherrscht wie der Swiss Performance Index (SPI): Die Pharmariesen Novartis und Roche decken fast einen Viertel der gesamten Kapitalisierung an der SWX Swiss Exchange ab – gemäss Roelli sind beides Value-Anlagen.
So sind Roche wie auch Novartis hochrentabel, und fast ebensovoll wie die Kasse ist ihre Medikamente-Pipeline. Das verschafft ihnen ein solides Fundament; eine alternde Bevölkerung ist ausserdem auf ihre Produkte zunehmend angewiesen. An diesen Aussichten gemessen ist gerade Novartis mit einem KBV von 3 sehr günstig bewertet. Zurzeit kommen jedoch beide Titel kaum vom Fleck. Verzögerungen bei der Lancierung von Medikamenten und Patentstreitigkeiten blockieren den Aufstieg.
Ganz anders die Titel der Schweizer «Old Economy». Die Aktien – insbesondere der Investitionsgüter-Produzenten – haben nach Übernahmespekulationen kräftig zugelegt. Aber auch hier ortet Roelli mit den Valoren von Rieter noch Werthaltiges.
ZFS, Bobst und Dätwyler
Unter den Industrietiteln ebenfalls fündig wird Martin Schlatter, Head Equity Mandates bei Clariden Leu. Für seine Bank sucht der Experte vermittels quantitativer Analyseprogramme die weltweiten Aktienmärkte nach Wert und Wachstum ab. Das System identifiziert Value nach tiefer Bewertung in Kombination mit positivem Sentiment, Growth nach historischen Wachstumsraten und positiven Gewinnrevisionen. Auf den SPI angewandt, favorisiert die Analyse auf der Wert-Seite Bobst und Dätwyler, ergänzt um den grössten Versicherer der Schweiz: Zurich Financial Services (ZFS).
Bobst wie Dätwyler sind mit einem KBV von 2 günstig bewertet, und beide Titel haben noch Potenzial nach oben. So setzt Vontobel das Kursziel von Verpackungsmaschinenhersteller bei 82 Fr. fest (aktuell 77 Fr.), jenes des Industrie-Mischkonzerns Dätwyler gar auf 8500 Fr. (7900 Fr.). Die ZFS-Aktie ist mit einem KBV von 2 in derselben Preisklasse angesiedelt und erhält dabei Substanz durch ein Management, das stark auf Profitabilität fokussiert. Ausserdem schwingt bei der Zurich immer auch eine Prise Übernahmefantasie mit. Ein Umstand, der Anleger rinsgum anlockt: In den letzten Wochen wurde eine ganze Reihe von Call-Optionen auf die ZFS-Namen ausgegeben, während die umtriebige Beteiligungsgesellschaft Victory neu 1,2% am Versicherungsunternehmen hält.
Trotz des breiten Angebots an Value-Titeln lassen sich aber auch im SPI attraktive Growth-Werte ausmachen – etwa der Blue Chip ABB. 2007 hat die Aktie bereits 26% zugelegt. Mehr soll folgen: «ABB trauen wir den Gesamtsieg im SMI in diesem Jahr zu», jubiliert die Zürcher Kantonalbank.