Herr Birchler, «Too big to fail» hat beim Niedergang der Credit Suisse nicht funktioniert. Warum konnte man die Schweizer Einheit der Credit Suisse nicht aus dem Konzern herauslösen?
Sowohl Ökonomen als auch internationale Organisationen sind der Meinung: Die im Gesetz vorgesehenen Instrumente hätten eingesetzt werden können. Auch die Finma hatte namentlich für die CS schon ein Jahr zuvor bestätigt: Die Pläne zur Behandlung eines Solvenzproblems sind bereit. Im entscheidenden Moment hatten die Behörden nicht den Überblick oder den Mut, die Pläne umzusetzen. Zu lange wiegte man sich in der Hoffnung, es komme doch noch gut. Entscheidend waren aber vermutlich ideologische Scheuklappen. Sie blockierten den Blick auf die richtige Lösung: Eine vorübergehende Verstaatlichung.
Die Aktien der UBS haben seit einem Jahr um mehr als 50 Prozent zugelegt. Wurde die Credit Suisse verscherbelt?
Die UBS hat bis jetzt die Integration der CS gut gemeistert; das honorieren die Märkte. Ob der Preis zu tief war? Gut möglich. Hätte der Staat die Zügel übernommen und die CS oder ihre Teile an die Meistbietenden verkauft, wäre möglicherweise mehr zu holen gewesen. Das werden wir nie wissen. Vor allem aber wäre nicht unbedingt dieser problematische Monolith entstanden.
Was bedeutet die neue Giga-Bank UBS für den Finanzplatz Schweiz? Fluch oder Segen?
Die UBS ist in der heutigen Bankenstruktur der Schweiz der Mammutbaum im Schrebergarten. Sie ist für die Schweiz nicht nur als finanzielles Risiko zu gross. Ohne es zu wollen, hat sie auch ein Übergewicht in der politischen Diskussion. Die Verantwortlichen – Sergio Ermotti und Colm Kelleher – haben es in bewundernswerter Weise geschafft, die UBS als verantwortungsvolle, sichere, eher zu kleine und sogar ein bisschen sympathische Bank darzustellen. Längerfristig muss man aber die Bankenstruktur emotionslos betrachten. Da bleibt dann einfach das Klumpenrisiko für die Eidgenossenschaft.
Die UBS unter Ermotti und Kelleher hat Wachstumsambitionen. Macht Sie dies nervös?
Ja, natürlich macht mich das nervös. Und auch die Vergütung von Herrn Ermotti irritiert mich.
Warum?
An so einem Salär irritiert mich nicht die Höhe als solche. Es ist nämlich auch ein undankbare und mühsame Position, wo man privat viel opfert. Problematisch ist der Umstand, dass die Verantwortlichen ihren Selbstwert stark mit der Höhe des Salärs oder der Grösse der Bank verknüpfen. Dann wird Wachstum wichtiger als Sicherheit.
Welche anderen Banken können wohl langfristig vom Verschwinden der Credit Suisse am meisten profitieren?
Das Verschwinden der CS wäre durchaus eine Chance für andere Banken im inländischen Kreditgeschäft, sowohl für inländische als auch für Konkurrentinnen aus dem Ausland. Nur müssen viele von ihnen gleichsam das Velorennen bergauf bestreiten. Die UBS darf dank impliziter Staatsgarantie bergab fahren.
Inwiefern ist die entstandene Konzentration für die Schweizer Wirtschaft hinderlich?
Viele Unternehmen haben den Wegfall der CS sehr bedauert. Ob der Wettbewerb im schweizerischen Kreditgeschäft längerfristig leidet, hängt davon ab, ob andere Konkurrentinnen in die Bresche springen werden. Zu denken gibt: Auch eine wegen geschwächtem Wettbewerb geringe Verteuerung der Kredite kann sich zu volkswirtschaftlich hohen Kosten zusammenläppern.
Braucht es in Zukunft andere regulatorische Kennzahlen und Vorgaben, um systemrelevante Banken regulieren zu können?
Es braucht drei Dinge: Eigenmittel, Eigenmittel und Eigenmittel. Gäbe es keine Notenbanken, die den Banken bei einer Vertrauenskrise Bargeld vorstrecken können, müssten die Banken viel mehr Eigenmittel haben: Soviel, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit stets unerschütterlich bleibt. Schon die Existenz einer Notenbank als letzte Kreditquelle (lender of last resort) entlastet die Banken teilweise. Und die implizite verdirbt den Banken den Appetit, mittels Eigenmitteln ihre Risiken selbst zu tragen, noch ganz. Drum klagen grosse Banken über die angeblich teuren Eigenmittel. Eigenmittel sind aber nur teuer für diejenigen, die zu wenig davon haben und ihre Risiken gern dem Staat überlassen.
Wie viele Bankenrettungen kommen noch?
Wenn Sie eine makabre Antwort wollen, müssen sie sich an Friedrich Dürrenmatt wenden. Er hat 1966 ein Bild gemalt mit dem Namen 'Die letzte Generalversammlung der Eidgenössischen Bankanstalt'. Dort bringen sich nach einem letzten Festschmaus alle Bankverantwortlichen gemeinsam um.
Selbstmord gehört glücklicherweise nicht mehr zum Ehrenkodex gescheiterter Bankiers. Zudem müssen wir leider hoffen, dass Bund und Nationalbank noch einmal alles versuchen würden, um auch eine zu grosse UBS vor dem Untergang zu bewahren. Wenn man aber Dürrenmatts Aufforderung ernst nimmt, Geschichten bis zum schlimmstmöglichen Ende fertig zu denken, dann kommt ein umgekehrtes Zukunfts-Szenario ins Bild: Die UBS rettet die Eidgenossenschaft - so wie der amerikanische Bankier J.P. Morgan 1895 mit einem Grosskredit die USA rettete. Das würde dann jene bestätigen, denen die heutige UBS immer noch zu klein ist.
Der Volkswirtschaftler Urs Birchler (73) war von 2009 bis 2016 Professor am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich. Zuvor war er nebst anderen Lehrtätigkeiten fast 30 Jahre bei der Schweizerischen Nationalbank tätig, zuletzt als Direktor der damaligen Organisationseinheit Finanzstabilität. Birchler war zudem Leiter der Forschungsgruppe im Basler Ausschuss für Bankenregulierung bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel und als Präsident des European Money and Finance Forum tätig. Birchler hat eben das Buch «Das Einmaleins des Geldes» publiziert. Mit Monika Bütler schrieb er 2007 das Buch «Information Economics».
Dieser Artikel erschien zuerst auf cash.ch unter dem Titel: "«Die UBS darf dank impliziter Staatsgarantie bergab fahren»".