Herr Jenny, man hört hinter den Kulissen, dass Aon weltweit 20 Prozent Personal einsparen muss. In der Schweiz werde das via Kurzarbeit abgefedert. Was ist dran an diesem Gerücht?
Es ist falsch, dass weltweit Personal eingespart wird. Im Gegenteil: Wir stützen durch eine globale Solidaritätsaktion unsere Mitarbeitenden vor Stellenverlust. In der Schweiz geschieht dies durch einen vorübergehenden freiwilligen Teillohnverzicht des Managements und durch einen vorübergehenden Einstellungsstopp. Diese Aktion steht jedoch in keinem Zusammenhang mit einem Antrag auf Kurzarbeit, den wir zwar angedacht, letztlich aber nicht umgesetzt haben. Auf Entscheid des globalen Managements wird Aon in keinem Staat weltweit Kurzarbeit beantragen.

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Mussten Sie Mitarbeitende entlassen oder ist das geplant?
Es sind keine Entlassungen geplant. Und wie vorher erwähnt, setzen wir alles daran, dass das so bleibt. 

In welchen Kundenbranchen müssen Sie derzeit Federn lassen? Und wo können Sie halten respektive ausbauen?
Viele mittelgrosse Unternehmen sistieren zurzeit aufgrund der wirtschaftlichen Lage Investitionsprojekte. Betroffen sind dabei insbesondere M&A-Projekte, solche aus dem Baubereich, IT-Projekte oder Auslandprojekte. Parallel erfahren wir zurzeit aufgrund von auferlegtem Kostendruck unserer Kunden einen Rückgang bei zusätzlichen Beratungstätigkeiten. Wir sehen mittelfristig aber eine erhöhte Nachfrage für Beratungsleistungen im Bereich des Risk Managements. Dazu beigetragen haben die Folgen und Diskussionen rund um die Covid-19-Pandemie und das breitere Verständnis für die Bedeutung von Risk Management.

«Die Corona-Krise hält auch uns auf Trab. Sie bietet aber auch Chancen.»

Vor eineinhalb Jahren sagten Sie in einem Interview mit uns, dass Sie gerne stärker im Bereich öffentliche Hand inklusive Spitäler und Gesundheitswesen vertreten sein möchten, dazu aber zuerst noch die Ressourcen aufbauen müssen. Wie weit sind Sie bisher gekommen?
Hier konnten wir einzelne Kunden gewinnen und Fortschritte erzielen, es ist aber noch ein ganzes Stück Weg vor uns. Nicht unerwartet ist die Suche nach qualifizierten Mitarbeitenden in diesem Bereich die grösste Herausforderung. 

Hat Ihnen Corona keinen Strich durch die Rechnung gemacht?
Die Corona-Krise hält auch uns auf Trab. Sie bietet aber auch Chancen: Die Erkenntnis, dass professionelles Risiko- und Krisenmanagement im Ereignisfall über «sein» oder «nicht sein» einer Unternehmung und damit vieler Arbeitsplätze entscheiden können, dürfte massiv verstärkt worden sein. Die Corona-Krise bietet uns den augenscheinlichsten Leaving Case. Das Risikomanagement steht heute mehr denn je im Zentrum unternehmerischen Denkens und der Bedarf an innovativen Lösungen dürfte exponentiell gestiegen sein.

Wie haben sich aus Ihrer Sicht die Anforderungen seitens der Kundschaft verändert?
Wie Sie auch wissen, gibt es nicht «den» Kunden oder «den» Leser. Unterschiedliche Kundengruppen haben unterschiedliche Anforderungen. Ganz grundsätzlich sind die Ansprüche aber gewachsen. Die Erwartung an eine professionelle Beratung ist gestiegen. Der Kunde ist reifer geworden. Und er hat mehr Informationen zu Detailthemen zur Verfügung. Die Kunden werden sich der volatilen Welt bewusster. Die Risikoawareness steigt. Dabei sind traditionelle Risiken banaler geworden. Die neue, komplexe, globale, digitale Welt verunsichert die Menschen. Wir sehen es als unsere Aufgabe, unsere Kunden bei der Bewältigung von Risiken zu beraten und zu begleiten und bei Bedarf innovative Lösungen für sie zu finden.

Seit Jahren spricht man in der Brokerbranche von einer Konsolidierung, die gemäss meiner Beobachtung bisher eher harzig vorankommt. Ihre Einschätzung für die nächsten zwei Jahre?
Sie geht weiterhin voran, wenn vielleicht auch gut schweizerisch etwas gemächlicher als in unseren Nachbarländern. Die derzeitige Krise dürfte jedoch beschleunigend wirken. Kleinere, eigentümergeführte Unternehmen könnten aufgrund strategischer Überlegungen früher als geplant ihre Geschäfte übergeben. Doch auch wenn eine leichte Beschleunigung möglich ist, haben die eigentlichen treibenden Kräfte nicht viel mit Corona zu tun. Die zunehmende Regulierung, die Globalisierung, die Digitalisierung und natürlich auch die gestiegenen Anforderungen seitens der Kunden sind letztlich die Treiber.

«Versicherungen verkaufen zunehmend direkt über ihre eigenen Tools, Apps und künftig vielleicht auch über Amazon-ähnliche Plattformen.»

Wo liegen die Schwerpunkte? Eher bei einer skalengetriebenen oder inhaltlich-qualitativen Konsolidierung?
Es geht um Volumen und um Know-how. Das ist immer so gewesen und dürfte auch so bleiben.

Versicherungen verkaufen zunehmend direkt über ihre eigenen Tools, Apps und künftig vielleicht auch über Amazon-ähnliche Plattformen. Damit dürfte Ihnen weiterhin Volumen wegbrechen.
Wir verkaufen keine Versicherungen. Wir begleiten und beraten Kunden bei Fragen, ob sie Risiken transferieren – in anderen Worten versichern, minimieren oder gar selbst tragen – können. Natürlich bieten wir auch standardisierte Produkte an, aber ein Vergleich und damit ein ausgewiesener Mehrwert für die Kunden steht dabei im Vordergrund. Ich will damit nicht sagen, dass die zunehmende Digitalisierung und der Direktvertrieb über Tools, Apps und dergleichen unser Geschäft nicht verändern wird, aber ich glaube, es sind zwei unterschiedliche Ansätze, welche nebeneinander bestehen werden. Die Kundenbedürfnisse sind unterschiedlich und es gibt kein «one size fits for all» – und das ist gut so.

Was für eine Rolle spielen Vergleichsplattformen für Broker?
Zu Beginn haben diese Plattformen einen sehr begrenzten Mehrwert geliefert, sie beschränkten sich fast ausschliesslich auf den Preis. Sie haben sich in der Zwischenzeit sicherlich verbessert. Für unsere Kunden ist der Preis ein wichtiges Thema, aber bei weitem nicht das einzige. 

Wie geht Aon Schweiz mit dem verstärkten Kostendruck auch durch die Digitalisierung um?
Der Kostendruck ist in unserer, wie auch in anderen Branchen, allgegenwärtig. Das niedrige Zinsumfeld, die wachsende Anzahl Anbieter, die erhöhte Preissensibilität, der weiche Markt, der harte Markt und nicht zuletzt die zunehmende Digitalisierung machen das Thema Kostendruck seit vielen Jahren zu einem «treuen» Wegbegleiter. Die Digitalisierung ist aber auch eine Chance, Dinge künftig besser und effizienter zu tun und wertvolle Ressourcen besser einzusetzen.

Wie weit sind Sie eigentlich mit der Automatisierung und Digitalisierung von Prozessabläufen im Kontakt mit Kunden und Versicherern?
Als gesamte Branche sind wir noch nicht dort, wo wir sein wollen. Leider verlaufen Bemühungen um die Einigung hinsichtlich Marktstandards langsamer, als ich mir wünschen würde. Es gibt viele sehr gute Tools auf dem Markt, viele Kunden nutzen deren Vorteile schon; von einer wirklichen Digitalisierung, von integrierten Prozessen wie wir sie aus der Industrie kennen, sind wir als gesamte Branche noch entfernt. Aon investiert viel in die digitale Zukunft, unsere zwei Innovationszentren in Europa und Asien arbeiten daran und ich glaube, dass die Covid-19-Krise gewisse Entwicklungen rund um die Digitalisierung generell beschleunigen wird. 

Welchem Bezahlmodell geben Sie die grössten Zukunftschancen? Courtagen oder Beratungshonorar?
Beiden Modellen. Auch hier ist die Schweiz auf der Höhe. Einerseits beruhen die Bezahlmodelle auf Transparenz, anderseits auf der Wahlmöglichkeit der Kunden in Bezug auf die individuelle Lösung. There is no «One size fits all»-Lösung!

Der Brokerverband Siba möchte ein branchenspezifisches Aufsichtsorgan errichten, um im Markt einen gewissen Standard zu garantieren. Wie beurteilen Sie das?
Qualitätsstandards sing gut und wichtig. Sie stärken das Vertrauen in unseren Berufsstand und wirken schwarzen Schafen entgegen 

Eine Frage zum Nachwuchs: Wie sieht eigentlich das Anforderungsprofil für künftige Broker aus?
Das hat sich in den letzten Jahren stark verändert. War in den vergangenen Jahren eher reines Fachwissen gefragt, stehen je länger, je mehr auch branchenfremde Berufserfahrung, Sprachen und breites Allgemeinwissen im Suchprofil. Der Aufgabenbereich ist breiter geworden, die Anforderungen der Kunden höher. Erwartet werden eine klare Problemerfassung und begründete Empfehlungen sowie der Vergleich mit Peers. Das vernetzte Denken und die rasche Auffassungsgabe sind nicht zwingend Schulstoff. Ebenfalls zentral ist die Nachfrage nach internationaler Erfahrung, und zwar in allen Kundensegmenten. 

Dann noch eine persönliche Frage: Sie sind nach wie vor auch für die Aon-Ländergesellschaft Österreich verantwortlich, eine Zusatzaufgabe, die eigentlich temporär hätte sein sollen. Warum klemmt es in Wien?
Naja, mit Klemmen hat das in diesem Fall nichts zu tun. Wir mussten erkennen, dass die Integration einer grösseren Akquisition noch nicht abgeschlossen war, und haben deshalb die Suche eines Nachfolgers zunächst nicht priorisiert. Dann kam Covid-19 und im Moment gestaltet sich die Suche aus verständlichen Gründen etwas schwieriger. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben; mittelfristig ist es unverändert richtig, dass ein Österreicher oder eine Österreicherin das Geschäft in Österreich führen sollte und ich meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin selbstverständlich so lange wie gewünscht und benötigt mit Rat und Tat zur Verfügung stehen werde. Kontinuität ist fundamental in unserem Geschäft.