Die Mobiliar wächst im Nichtlebengeschäft bereits seit Jahren deutlich über Markt. Wie schafft sie das in einem gesättigten Schweizer Markt?
Das Wichtige für uns ist, dass wir in allen strategischen Geschäftsfeldern und Branchen wachsen, in denen wir wachsen wollen. Was unseren Erfolg aus meiner Sicht ausmacht: Die Mobiliar fährt konsequent ein dezentrales Modell mit Unternehmer-Generalagenturen, welche im Unterschied zu vielen Wettbewerbern die gesamte Wertschöpfungskette abdecken - von Vertragsabschlüssen über Kundenservice bis hin zur Schadenabwicklung. Durch diese Kombination haben die Generalagenten nicht nur die reine Vertriebssicht, sondern werden in ihrer Region als Unternehmer wahrgenommen, die auch den Servicegedanken leben. Das zeigt sich insbesondere bei Schadenfällen, von denen die Agenturen mehr als 90 Prozent vor Ort erledigen. Es entsteht eine besondere Kundennähe und Agenturen können schnellere Entscheidungen treffen - ohne weitere regionale Direktionen dazwischen. Die Schweiz funktioniert nun einmal kleinräumig, das kommt uns mit der dezentralen Organisation sehr entgegen.
Thomas Trachsler ist seit über 35 Jahren bei der Mobiliar und bekleidete zahlreiche Fach- und Führungsfunktionen in verschiedenen Bereichen. Seit 2010 ist der Mitglied der Geschäftsleitung und übernahm vor rund zweieinhalb Jahren die Aufgabe als Leiter Versicherungen.
Gleichzeitig hat die Mobiliar eine der geringsten Fluktuationen unter Mitarbeitenden, spielt das eine Rolle?
Natürlich, die Mitarbeitenden sind die Basis. Ich verwende da immer folgende Gleichung: Zufriedene Mitarbeitende ergeben zufriedene Kunden. Zufriedene Kunden sind loyaler und helfen uns, profitabel über Markt zu wachsen. Die Mobiliar-Ansprechpartner bleiben über Jahre erhalten, das goutieren die Kunden. Deshalb haben wir auch eine sehr niedrige Churn Rate.
Aber läuft man da nicht auch Gefahr, bequem zu werden, wenn es zu wenig Bewegung gibt?
Das ist eine sehr berechtigte Frage. Dessen sind wir uns bewusst und hinterfragen uns auch in der Geschäftsleitung permanent, worauf wir achten müssen und welche Fokusthemen wir bearbeiten sollen. Diesen Druck müssen wir uns selbst machen, den macht uns als Genossenschaft ja kein Aktionär. Das ist uns bislang gut gelungen, in der Vergangenheit haben wir jedenfalls keine Entwicklung verschlafen.
Den Druck müssen wir uns selbst machen, den macht uns kein Aktionär.
Thomas Trachsler, Mobiliar
Die Mobiliar investiert auffallend stark in Start-ups und digitale Plattformen - ist das eine Art Kompensation der fehlenden Internationalität?
Da würde ich zwei Seiten betrachten: Einerseits investieren wir sehr viel unseres Gewinns in die Modernisierung des Geschäfts und des Geschäftsmodells, wie den Ausbau unserer Agenturen oder die Digitalisierung. Wir schauen aber bewusst auch in anderen Märkten, wie das Beispiel unserer Tochtergesellschaft Bexio zeigt, die auf Buchhaltungssoftware spezialisiert ist. Als wir dort eingestiegen sind, hatten sie 8’000 Kunden, heute sind es fast 70’000 - es beginnt also zu skalieren. Wichtig ist aber auch: Kleine und mittlere Betriebe, die sich für digitale Buchhaltungssoftware interessieren, sind nach unserer Erfahrung auch offen für digitale Versicherungslösungen und -services. Da kommen wir wieder ins Spiel. Diese Testfelder brauchen wir, weil sie so dem Kerngeschäft helfen können.
Bei der Verteilung unserer Mittel hat das Kerngeschäft absolute Priorität.
Thomas Trachsler, Mobiliar
Entfernt man sich durch eine solche Strategie nicht eher vom Kerngeschäft?
Diese Gefahr besteht natürlich immer. Das ist aber auch eine Frage des Management-Fokus. Bei der Verteilung unserer Mittel hat das Kerngeschäft absolute Priorität. Gleichzeitig braucht es aber auch eine gewisse Offenheit zu schauen, was sonst noch funktioniert und wo die Mobiliar mittelfristig mit solchen Beteiligungen Geld verdienen und diese ins Kerngeschäft integrieren kann. Um bei Bexio zu bleiben: Das Einverständnis der Kunden vorausgesetzt, kann uns beispielsweise mitgeteilt werden, wenn eine Firma neue, teure Maschinen angeschafft hat. Ist der Bexio-Kunde gleichzeitig auch bei der Mobiliar versichert, können wir dem Kunden entgegenkommen und auf einen Unterversicherungssausschluss verzichten. So nutzen wir eine digitale Plattform in Verbindung zu unserem physischen Modell. Unsere Beteiligungen dienen also dem Kerngeschäft, müssen aber selbst auch profitabel werden.
Trägt die Vertriebsorganisation diese Strategie mit oder besteht nicht doch die Gefahr einer Kannibalisierung?
Die Frage haben wir für uns schon lange beantwortet. Wir fahren das Modell «Gleiches Produkt zum gleichen Preis» - egal, über welchen Vertriebskanal. Das ist unser Tarifierungsansatz und wir haben die Kanäle nie gegeneinander ausgespielt. Der Kunde entscheidet, auf welchem Weg er zu uns kommt. Aber die Leistung und der Preis sind in der Regel in allen Kanälen gleich. Wir wollten ganz bewusst keine Zwei-Klassen-Gesellschaft, für uns hat die Marke Mobiliar einen hohen Wert, wir sehen uns als Qualitätsversicherung. Das ist unsere Strategie, die wir konsequent leben - und die Nachteile nehmen wir in Kauf. Auf besonders preisaffine Kunden verzichten wir bewusst.
Wir sagen bei den Prämien: Mit Anstand runter - und mit Anstand rauf.
Thomas Trachsler, Mobiliar
Selbst die digitalaffine Generation Z schliesst ihre Verträge mehrheitlich offline ab. Hat das Einfluss auf Ihre Digitalisierungsstrategie?
Das hat für uns keinen Einfluss, wir entwickeln uns mit dem Kundenbedürfnis mit. Eine Versicherung ist kein Konsumgut wie eine Tafel Schokolade, die man am Kiosk kauft und dann ist das Vertragsverhältnis beendet. Bei Versicherungen wird zunächst eine Prämie für eventuelle Risiken bezahlt, dann beginnt das Leistungsversprechen über mehrere Jahre zu laufen. Bei der Digitalisierung muss unterschieden werden: Was ist der Abschluss-, was der Service- und was der Schadenprozess? Bei den beiden letztgenannten gibt es auch digital viel mehr Interaktion. Der Abschluss ist also nicht unbedingt der relevanteste Teil. Wir investieren weiterhin hohe Summen in allen Bereichen, vor allem aber auch in die digitalen Service- und Schadenprozesse.
Auf welche Wachstumsbereiche legen Sie künftig ein besonderes Augenmerk?
Die Mobiliar hat es als Allbranchenversicherer in den letzten Jahren geschafft, konstant in allen Bereichen zu wachsen. Sei es beispielsweise bei Hausrat-, Motorfahrzeug- oder Rechtsschutzversicherungen. Wir verfügen über einen sehr ausgewogenen Portfolio-Mix, der uns eine gute Stabilität verleiht. Deshalb schauen wir, dass wir weiterhin ausgewogen wachsen, damit wir einen möglichen Wegbruch in einem Segment - wenn jetzt zum Beispiel Google eines Tages selbstfahrende Autos versichern würde - jederzeit durch andere Segmente kompensieren können. Wir werden unseren Kunden zu allen Versicherungsfragen ganzheitliche Lösungen anbieten, sei es bei Cyberrisiken oder auch Wetterversicherungen für Bauern. Unser Fokus bleibt also breit.
Wir sagen bei den Prämien: Mit Anstand runter - und mit Anstand rauf
Thomas Trachsler, Mobiliar
Die vergangenen Jahre waren geprägt von einem intensiven Preiswettbewerb. Jetzt steigen die Preise auf breiter Front. Wie positioniert sich die Mobiliar diesbezüglich?
Natürlich sind wir auch davon betroffen. Man muss hier aber nach den Segmenten unterscheiden. Der Soft Market hat im Unternehmensgeschäft viel stärker durchgeschlagen - so wie jetzt auch im härteren Markt. Im Privatkundenbereich sind die Preiserhöhungen weniger akzentuiert. Wir versuchen, die Schadeninflation über Präventionsmassnahmen oder die Schadenerledigung abzufedern und haben auch ein Auge auf die Prämienentwicklung. Aber wir verfolgen jetzt keine dezidierte «Hard Market»-Strategie. Wir sagen bei den Prämien: Mit Anstand runter - und mit Anstand rauf.
Die Mobiliar zahlt viel Geld für Hochwasserschutz-Projekte und investiert auch in die Klimaforschung - Stichwort Prävention. Sehen Sie daraus konkrete Effekte?
Als Genossenschaft sind wir schon gemäss unserer Statuten der Gesellschaft verpflichtet. Aber das tun wir gerne, zumal das Engagement auch einen grossen Nutzen mit sich bringt – nicht nur für unsere Kundinnen und Kunden, sondern für die ganze Gesellschaft. Auch da gebe ich ein konkretes Beispiel: Bei einem Hotel-Restaurant am Thunersee kam es vor einigen Jahren aufgrund von Überschwemmungen zu versicherten Schäden von rund einer Million Franken. 2021 gab es nach starken Niederschlägen den gleichen hohen Wasserstand. Aber dank unserer präzisen Wetter-Warnmeldungen konnten wir rechtzeitig die Feuerwehr einschalten und das Gebäude mit mobilen Deichen schützen. Der Schaden betrug diesmal noch 100’000 Franken. Da müssen Sie keinen Business Case mehr rechnen.