Kein Goldkettchen, kein Ring, nicht mal eine Uhr schmücken Roger Vers Handgelenke oder Finger. Dabei ist der Mann, der meist in einem schlichten, aber business-tauglichen Hemd und Jeans auftritt, Multimillionär – Bitcoin-Multimillionär. Sein Erfolgsrezept war es, schon früh an die digitale Währung geglaubt zu haben. Und weil er es noch immer tut und das aller Welt verkündet, nennt ihn die Branche nur noch: Bitcoin-Jesus. Kürzlich kam er auch in die Schweiz, machte Halt bei einem Branchentreffen in Lausanne. Angereist war er extra aus Japan. Für seine Kernbotschaft in Lausanne brauchte er exakt 5,8 Sekunden.

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«Jedermann irgendwo auf der Welt kann nun Geld senden – oder erhalten von irgendjemandem irgendwo auf der Welt, und der einzige Weg, Bitcoin zu stoppen, wäre, das gesamte Internet abzuschalten.» So lautet der Wortschwall, wenn Bitcoin Jesus nur Sekunden zur Verfügung stehen, um sein Gegenüber von den Vorzügen der Digitalwährung zu überzeugen. Ver wählt Alltagssprache, vermeidet Fachausdrücke und redet mit einem universalen Gültigkeitsanspruch.

Gläubige und Ungläubige

200 Leute – darunter viele Manager von Firmen wie Patek Philippe, Yahoo Europe oder Philip Morris – sind in den Plenarsaal der Kaderschmiede IMD in Lausanne gekommen, um Roger Ver zu sehen. Seine Kernbotschaft hören sie während seines 60-Minuten-Vortrags mindestens vier Mal: «Der Durchbruch von Bitcoin ist nicht zu stoppen.»

Dieser Überzeugung sind alle, die an die Kryptowährung glauben. In einem neuen Buch über die Bitcoin-Szene werden diese Menschen als «Gläubige» bezeichnet. Sie seien unfähig, Kritik anzunehmen, «blind» gegenüber Zahlen und ideologisch verbrämt. Dabei würden weniger Leute Bitcoin nutzen, um Waren und Dienstleistungen zu bezahlen, als es Mitglieder beim Frequent-Flyer-Programm der Kuwait Airways gebe, argumentiert der Buchautor Jeffrey Robinson. Bitcoin sei mikroskopisch in seiner Bedeutung. Das Phänomen tauche auf keiner Richter-Skala von irgendjemandem zu irgendetwas auf. Das zeigt: Im Eifer unterscheiden sich Bitcoin-Enthusiasten und -Kritiker keineswegs.

Kaum Schlaf während Tagen

Roger Ver hörte Ende 2010 zum ersten Mal von Bitcoin. «Von diesem Moment an verschlang ich alles, was das Internet dazu zu bieten hatte», erzählt er. 9 Tage und 9 Nächte lang habe er vor dem Computer gesessen, mit ein, zwei Stunden Schlaf zwischendurch, und nahm derweil kaum noch Nahrung zu sich. «Am neunten Tag brachte mich ein Freund in ein Spital, wo sie mich zunächst einmal sedierten und 20 Stunden in Tiefschlaf versetzten.» Wenig später begann er, für Zehntausende von Dollar Bitcoins zu einem Preis von unter 1 Dollar zu kaufen. Mittlerweile sind sie das 350-Fache wert.

Keine staatliche Kontrolle zu haben, Eigenverantwortung und eine gewisse Anonymität – das fasziniert ihn an Bitcoin. Solche Ideen prägten auch seine Politisierung im Jahr 2000. Nach der Lektüre von libertären Vordenkern kandidierte er als damals 20-jähriger für einen Parlamentssitz in Kalifornien. Daraus wurde zwar nichts. Doch in einer Wahlkampfdebatte zog er über staatliche Institutionen als «einen Haufen gestiefelter Gangster» her. Seine regierungsfeindliche Haltung verfestigte sich, als er 2002 zu zehn Monaten Haft verurteilt wurde, weil er ohne Lizenz über Ebay kleinere Sprengsätze verkaufte.

Ver ist überzeugt, dass er wegen seiner politischen Einstellung und nicht wegen seiner Knaller-Verkäufe verurteilt wurde. «Im Prozess verwiesen Bundesagenten auf meine Wortwahl aus dem Wahlkampf, und andere Online-Anbieter wurden nicht angeklagt», sagt er. Nachdem Haft und Bewährungsphase verstrichen waren, gab er die US-Staatsbürgerschaft ab und emigrierte. In jener Zeit – also noch vor der Bitcoin-Ära – hatte er bereits seine erste Million als selbstständiger Online-Händler von gebrauchten Speichermodulen für Computer verdient.

Doch bekannt wurde er erst mit Bitcoin. Inzwischen ist er Investor bei rund einem Dutzend Firmen, die mit Bitcoin, anderen Kryptowährungen oder der zugrundeliegenden Blockchain-Technologie zu tun haben. Dabei sind Anbieter von digitalen Brieftaschen, aber auch Online-Tauschbörsen, bei denen Dollar und Euro gegen Bitcoins getauscht werden.

Keine Kriege mehr

Zu seinem Übernamen kam er anlässlich eines Grillfestes. Dort stand er etwas abseits und erklärte zwei Dutzend Schulkindern, was Bitcoin ist. Die Schüler hätten an seinen Lippen gehangen, heisst es. Ein Beobachter bemerkte: «Das war wie Jesus und seine Jünger.»

Neben seiner simplen Sprache und einem Vortragstempo, das keinen Widerspruch duldet, setzt Bitcoin-Jesus auf Anschaulichkeit. In Lausanne bringt er die meisten Anwesenden dazu, noch während des Vortrags eine Bitcoin-Brieftasche vom Apple Store oder von Google Play auf ihr Handy zu laden. Dann verteilt er kleine Bitcoin-Beträge an die Neulinge und lächelt. «Das wird alles verändern», wirft er immer wieder ein.
Roger Ver ist überzeugt, dass mit Bitcoin künftig sogar Kriege verhindert werden. «Jeder Krieg der USA im letzten Jahrhundert ist durch Schulden finanziert worden», begründet er seine Überzeugung. Und diese seien daraufhin durch das Gelddrucken der Zentralbank Fed weginflationiert worden. Mit Bitcoin sei das nicht mehr möglich, da die Bitcoin-Geldmenge nicht von einer zentralen Instanz ausgeweitet werden könne. Dass es schon vor dem Aufkommen von Zentralbanken Kriege gab, bremst ihn allerdings nicht.

Am weiteren Erfolg der neuen Währung zweifelt er keine Sekunde. «Jeder Bitcoin wird bald Zehntausenden, wenn nicht 100 000 Dollar entsprechen», erklärt er. Trotzdem verteilt Ver seine Bitcoins bereits: Vergangenes Jahr stiftete er 1 Million Dollar in Bitcoin an eine US-Bildungsinstitution, die libertäres Gedankengut verbreitet. Und kürzlich spendete er 65 Bitcoins, also 22 000 Dollar, zur Verteidigung eines Bitcoin-Aktivisten vor Gericht. Den entsprechenden Dankes-Tweet («Der grosse Roger Ver spendete eben.») retweetete Bitcoin-Jesus gleich selbst.

Jeffrey Robinson: «BitCon: The Naked Truth About Bitcoin», 2014.