Plötzlich hatte Paul E. Singer ein gröberes Problem. Durch ein Leck in seinem sonst so verschwiegenen Hedgefonds-Imperium Elliott war vor ein paar Monaten ein vertraulicher Quartalsbericht nach aussen gelangt. Das amerikanische Fachmagazin «AR: Absolute Return+Alpha» publizierte Angaben daraus. Singer, der in Harvard Rechtswissenschaften studiert hat, forderte gerichtlich die Identität des Informanten ein.
Erfolg hatte sein Begehren nicht. Und Singer musste sich mit dem Magazin informell einigen. Die publizierten News waren aber auch kaum von jener Brisanz, wie man sich das in der Finanzbranche allenfalls erhofft hatte. Singer räumte in dem Bericht etwa bloss ein, dass der Markt derzeit nicht jene komplexen Restrukturierungsfälle liefere, welche nach seinem Ermessen «reizvoll» seien.
Nichtsdestotrotz sorgte der Zwischenfall für Aufregung, zumal sich alle Kunden Elliotts persönlich verpflichten müssen, keinerlei firmeninternes Wissen nach aussen zu tragen. Zudem ist das Briefpapier der Firma mit Wasserzeichen so gekennzeichnet, dass der Chef Rückschlüsse ziehen kann, welcher Mitarbeiter es jeweils verwendet hat.
Die Geheimniskrämerei zeigt Wirkung: Über den 66-jährigen Paul E. Singer - das «E» steht für Elliott - ist so gut wie gar nichts verbürgt. Stattdessen eilt ihm eine Menge schillernder Anekdoten voraus. Sie beschreiben ihn als extrem erfolgreichen Spekulanten und als Visionär, der 2007 vergeblich versuchte, die Finanzminister der G7-Länder vor der Systemkrise zu warnen. Zudem gilt er als glühender Sympathisant der amerikanischen Rechten, der Leute wie George W. Bush oder Rudolph «Rudy» Giuliani finanziell unterstützt hat. Hauptberuflich jedoch investiert Singer in Firmen und Länder mit Schulden oder einem riesigen Restrukturierungsbedarf. Dabei setzt er diese so lange unter Druck, bis genug Rendite abfällt - nötigenfalls auch vor Gericht.
Schweiz als Tummelfeld
Derlei Aussichten blühen nun auch der Basler Biotech-Firma Actelion. Seit letztem Oktober hat sich Singers Standbein in London, die Firma Elliott Advisors (UK), sukzessive an dem Schweizer Unternehmen beteiligt. Gründe dafür gibt es genug: Erstens findet in der Biotechnologie-Branche eine globale Konsolidierung statt, seit die Innovationen nicht mehr dieselben Wertsteigerungen wie früher liefern. Das eröffnet Spekulanten enorme Chancen. Zweitens bietet die Schweiz mit ihren Aktionärsbestimmungen beste Voraussetzungen, um mit Druckversuchen zum Erfolg zu kommen.
Das zeigt der Fall Actelion: Mittlerweile hält Elliott 6 Prozent am Basler Konzern und ist damit der grösste Einzelaktionär. Seit diesem Jahr macht nun der angelsächsische Hedgefonds gehörig Druck auf das Management. Er wirft der Führung vor, mit einer «Hochrisikostrategie» einen «beträchtlichen Teil des Unternehmenswertes zu zerstören». Zugespitzt hat sich die Lage insofern, als dass Actelion diese Vorwürfe bislang in den Wind schlägt und erst «zu gegebener Zeit» Stellung nehmen will. Was vielleicht bei Singer die falsche Taktik sein könnte.
Denn der New Yorker hat in der Vergangenheit genug bewiesen, wie entschlossen er zum Ziel gelangt. Dagegen wirkt der Schweizer Financier Martin Ebner, der in den 90er-Jahren als Shareholder-Aktivist agierte wie ein Sonntagsschüler. Singer zieht wirklich alle Register.
Seit bald 20 Jahren kauft er beispielsweise in überschuldeten Ländern Staatsanleihen, die unter ihrem Nominalwert notieren. Dann fordert er die Rückzahlung der Schulden ein. Klappt das nicht, geht er vor den Kadi und schlägt noch die Zinsen auf seine Forderungen. In Peru vervielfachte er so sein Engagement von 11 Millionen auf 58 Millionen Dollar; in Argentinien und der Republik Kongo agierte er ähnlich. In der Fachwelt nennt man solche Finanzinvestoren Vulture Funds, also Geier-Fonds: Zunächst kreisen sie über ihren Opfern, bevor sie über sie herfallen und schliesslich ausweiden. Seit der globale Trend eher dahin geht, Schulden zu erlassen, anstatt sie einzutreiben, ist das ein umstrittenes Unterfangen. Singer hält dem entgegen, die Korruption zu bekämpfen und die Staaten daran zu hindern, sich allzu leichtfertig aus der Schuldenfalle zu verabschieden.
Aber auch in der Unternehmenswelt hat sich Singer kaum je vor Megadeals gescheut. So legte er sich in der Vergangenheit mit kollabierenden Giganten wie Enron, Worldcom oder TWA an und verdiente eine schöne Stange Geld. In den letzten 30 Jahren bis Anfang 2008, so wird kolportiert, habe er mit seinen Fonds im Durchschnitt eine Jahresrendite von 14,7 Prozent erzielt, während der Referenzindex Standard & Poor’s 500 im selben Zeitraum und bei höherem Risiko nur 12,6 Prozent schaffte.
Über sein superdiskretes Imperium, das in New York, London, Tokio und Hongkong gerade mal 175 Personen beschäftigt, verwaltet Singer 17 Milliarden Dollar. Doch wer ist dieser Mann, der in der Regel sehr sanft spricht und mit seinem schütteren, silberweissen Haar und Bart eher an einen Literaturprofessor aus einem Roman von Philip Roth erinnert als an einen der reichsten Amerikaner?
Spekulieren mit Schulden
Geboren in der Agglomeration New Yorks studierte der Apothekersohn Psychologie in Rochester und später Rechtswissenschaften an der renommierten Universität Harvard in Cambridge, Massachusetts. Danach arbeitete er in zwei Anwaltskanzleien sowie für die Investmentbank Donaldson, Lufkin & Jenrette. Im Jahr 1977 machte er sich selbstständig, mit einem Kapital von 1,3 Millionen Dollar. Das Geld hatte er in der Familie und unter Freunden gesammelt. Anfangs verdiente er an Arbitrage-Geschäften auf Wandelanleihen. Dabei nutzte er geringste Preisschwankungen zwischen Papieren und den ihnen zugrundeliegenden Aktien aus. Nach dem Börsencrash von 1987 verlagerte er sich auf die Spekulation mit notleidenden Firmen und Staaten.
Geld für George W. Bush
In Kontinentaleuropa hat Singer seine Fühler schon seit geraumer Zeit ausgestreckt. Mehrmals bereits ging er nach bewährtem Strickmuster vor: Bei der Übernahme des familiengeführten Kosmetikkonzerns Wella durch Procter & Gamble sowie beim Kauf des Stellenvermittlers DIS durch den Schweizer Konzern Adecco startete Singers Elliott ihre Mission erst, als die Übernahmeformalitäten schon feststanden und das Gros der Aktionäre ihre Titel angedient hatten. Dann forderte der Hedgefonds einen höheren Kaufpreis und blockierte gerichtlich die an der Börse verbliebenen Titel. Beide Male zwang er so die mächtigen Konzerne, den Übernahmepreis zu erhöhen, worauf er seine Aktien mit Gewinn veräusserte.
Diesen Mann als blossen Corporate-Raider abzukanzeln, greift indessen zu kurz. Seinen schärfsten Kritikern nimmt er den Wind aus den Segeln, weil er sich seit Jahr und Tag auch publizistisch, gesellschaftlich und politisch engagiert. Er schreibt gelegentlich für das «Wall Street Journal» und unterstützt über seine Familienstiftung Interessengruppen und Wohltätigkeitsorganisationen. So fördert er Ausbildungsprogramme, setzt sich für die Rechte von Schwulen und Lesben ein oder sponsert musikalische Talente und die New Yorker Polizei.
Am meisten Aufsehen erregte Singer in diesem Jahrzehnt aber mit seiner politischen Parteinahme für die Republikaner. Im Jahr 2004 alimentierte er den Wahlkampf von George W. Bush mit viel Geld, genauso wie 2007 die zuletzt gescheiterten Ambitionen des einstigen New Yorker Bürgermeisters Rudolph Giuliani auf dem Weg ins Weisse Haus. Im Nachgang zur Finanzkrise hat Singer seine politischen Präferenzen etwas adjustiert; nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass er bereits 2006 an einer Konferenz des Finanzpublizisten James Grant in New York vor den Gefahren der Collaterized Debt Obligations (CDO) mobilisierte also jener hochkomplexen Finanzprodukte, welche die Subprime-Krise auslösten. Und 2007 warnte er mit seinem Kollegen, dem Hedgefonds-Manager Jim Chanos, an einem Treffen der G7-Finanzminister in London vor einem Kollaps des Finanzsystems - ohne Resonanz, was ihn bis heute wurmt. So besehen, erstaunt es nicht, dass Singer die Politik in den USA pauschal kritisiert: Diese beruhe bloss noch auf einer masslosen Ausweitung der Geldmenge.
Je heikler die Situation wird, desto eher kann Singer seine Geier-Strategie forcieren. Darum erstaunt es kaum, dass das Management bei Actelion mauert. Die Londoner Elliott Advisors verlangt einen Ausschuss, um «alle gegebenen Optionen» zu prüfen, die «einen maximalen Unternehmenswert» schaffen könnten. Zudem fordern sie, dass die «Hochrisikostrategie» der Firma überdacht und die Corporate Governance reorganisiert werde.
Das alles deutet darauf hin, dass Singer Actelion entweder einem Grossen in der Branche andienen oder einen Übernahmekampf anzetteln will - in beiden Fällen dürfte der Kurs steigen, sodass Singer nach getaner Schlacht als Sieger von dannen ziehen könnte.
Die ganz feine Art ist das sicher nicht. Angesichts der Beharrlichkeit, die Singer in seiner 34-jährigen Karriere an den Tag gelegt hat, wäre man in Allschwil aber gut beraten, mit dem rüstigen Mittsechziger auf Tuchfühlung zu gehen.