Kein Tag vergeht ohne Meldungen über die fortschreitende Verbreitung der neuen Digitalwährung: «Brasilianischer Immobilienmakler verkauft Appartements gegen Bitcoins», heisst es. Oder: «Essen in Zürcher ETH-Mensa neu gegen Bitcoins.» Ebenso: «Startup aus Zug will Banken und ganze Länder beraten.» Die Indizienkette für die wachsende Akzeptanz der Internetwährung bei den sogenannten Early Adopters, den frühen Anwendern, könnte beliebig erweitert werden.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Doch das Entscheidende passiert derzeit in der Politik. Behörden überall auf der Welt klären ihre Haltung zur neuen Währung und produzieren einen Bericht nach dem anderen. Das jüngste Beispiel lieferte vergangene Woche die Bank of England. Die Erwartungen an die in der Finanzwelt angesehenen Chefanalytiker der britischen Nationalbank waren gross - und sie wurden nicht enttäuscht: So klare Worte zum Phänomen Bitcoin fand bisher keine andere geldpolitische Stelle.

Möglicher Machtverlust

Die Kernaussage der 30 Textseiten lautet: Bitcoin hat theoretisch das Potenzial, das Bankgeschäft, ja die Wirtschaftsstruktur grundlegend zu ändern und den Einfluss der Nationalbank zu schmälern. Es ist eine Zäsur, denn noch nie wagte eine solch einflussreiche Institution, die eigene Machtbasis öffentlich zu thematisieren und im Ansatz als möglicherweise bedroht darzustellen - durch etwas, das heute erst einmal das Dasein einer ökonomischen Marginalie fristet.

Falls sich Bitcoin in Grossbritannien als Zahlungsmittel vollständig durchsetzen sollte, so heisst es im Bericht, «wäre die Fähigkeit der Nationalbank, die Preise und die Wirtschaftsaktivität zu beeinflussen, ernsthaft beschädigt». Sie könnte dann ihren Auftrag nicht mehr erfüllen. Natürlich sei das nur ein hypothetisches Risiko, das unwahrscheinliche Szenario sei aber vorstellbar.

Neuartiges Bankensystem

Zudem sieht die Bank of England Szenarien, in denen die finanzielle Stabilität nicht mehr gewährleistet werden könne. Auch wenn digitale Währungen «heute keine materiellen Risiken» darstellten, so fragt sich die Bank of England doch, ob die Technologie, auf der Bitcoin basiert, ein neuartiges Bankensystem hervorbringen könnte.

Solche Gedankenspiele sind von Schweizer Institutionen bisher nicht zu vernehmen. Da hiess es diesen Sommer schlicht: «Für die Ausübung des Nationalbank-Mandates stellen bestehende virtuelle Währungen kein Problem dar.» So steht es im Bericht des Bundesrates zu digitalen Währungen. Einen Ausblick in Szenarien findet sich im 30-seitigen Positionspapier, an dem sowohl die Aufsicht Finma wie auch die Nationalbank SNB beteiligt waren, nicht.

Argument Konsumentenschutz

Damit teilt die Schweiz im Wesentlichen den Standpunkt der EU. Auch dort beschränkten sich staatliche Institutionen vornehmlich darauf, Konsumenten und Investoren vor Bitcoin zu warnen. Als Gefahren werden etwa hohe Wertschwankungen und möglicher Diebstahl genannt. Potenzieller Machtverlust für staatliche Institutionen oder denkbare Umwälzungen für die Finanzbranche werden öffentlich kaum thematisiert.

Dabei gibt es fortlaufend Beispiele von Staaten, welche das Vordringen der kryptographischen Währungen mit allen Mitteln unterbinden wollen. Diese Woche stellte Bangladesch jegliches Handeln mit Bitcoins unter Strafe mit Gefängnis von bis zu zwölf Jahren. Russland kündigte letzte Woche an, Bitcoin nächsten Frühling zu verbieten. Die Gesetzesarbeiten dafür sind offenbar angelaufen. Bolivien ging vor einigen Wochen diesen Weg.

Und es gibt weitere Beispiele für diese Entwicklung, vor allem in Ländern mit einer schwachen Währung, Kapitalflucht oder autoritären Staatsformen. China, wo ganze Server-Farmen das weltweite Bitcoin-Netzwerk unterhalten und zumindest Teile der Elite privat Bitcoins besitzen, sendet keine eindeutigen Signale aus.

Blick auf New York

Im Westen richtet sich der Blick vor allem auf New York. Dort ist die Finanzmarktaufsicht in diesen Wochen daran, die neue Währung respektive den Umgang damit zu regulieren. Inzwischen steht viel auf dem Spiel.

Hunderte von Jungunternehmen sind entstanden. Venture Fonds haben dieses Jahr bereits über 100 Millionen Dollar investiert. In Kürze soll der erste Bitcoin-Fonds (ETF) an der New Yorker Börse an den Start gehen. Einen entsprechenden Antrag haben die frühen Facebook-Investoren Tyler und Cameron Winklevoss eingereicht.

Sollte die Börsenaufsicht SEC zustimmen, könnten beispielsweise auch Pensionskassen in Bitcoins anlegen. «Wir können es uns nicht leisten, Bitcoin schlecht zu regulieren», sagte New Yorks Finanzaufsichtschef Benjamin Lawsky vor drei Wochen. Und eine grundsätzlich repressive Haltung liesse bereits zahlreiche renommierte Investoren mit Verlusten zurück. Virgin-Gründer Sir Richard Branson ist nur einer davon. Das New Yorker Regelwerk, die sogenannte Bit-Licence, wird Strahlkraft haben und die nächsten Schritte auch in Europa prägen.

Noch immer fragil

Doch die Bank of England schaut weiter. Zweiter Kernpunkt ihres Reports ist die Ansicht, dass nicht Bitcoin als Währung die wirkliche Innovation ist, sondern die der Währung zugrunde liegende Technologie. Diese erlaubt es, allerlei Finanztransaktionen zwischen Marktteilnehmern ohne zwischengeschaltete Banken auszuführen. «Das könnte weitreichende Konsequenzen haben», schreibt die britische Nationalbank, und «die Finanzindustrie weit über den Zahlungsverkehr hinaus betreffen.»

Ob es so weit kommt, weiss niemand. Denn auch abseits der politischen Bühnen bleiben Fragen. Erst kürzlich erklärte Bitcoin-Chefprogrammierer Mike Hearns, die Währung sei noch immer sehr fragil. Sicher ist nur, dass man weltweit bereits bei über 40'000 Unternehmen zumindest online mit Bitcoin zahlen kann, auch bei grossen Konzernen wie dem Computerhersteller Dell oder dem Reiseportal Expedia.

Allerdings nutzen erst wenige Konsumenten das Angebot. Die Einstiegshürden in die Bitcoin-Welt sind noch immer hoch. Und es wäre nicht das erste Mal, dass Konsumenten ausgeklügelte, aber benutzerunfreundliche Anwendungen verschmähen und Alternativen suchen.