John Paulson vom New Yorker Geldverwalter Paulson & Co gelang der wohl spektakulärste Coup des Börsenjahrs 2007: 12 Mrd Dollar Gewinn erzielte sein Hedge-Fonds Credit Opportunities, weil er genau das Gegenteil von dem machte, was die meisten anderen Banken und Fonds taten. Paulson setzte gegen den Subprime-Markt, ging short und profitierte vom Kursrutsch. Ein Plus von 340% brachte das seinem Fonds. Ein – allerdings viel kleinerer – Hedge-Fonds aus Santa Monica soll laut «Financial Times» gar 1000% eingefahren haben.
Paulson selbst machten der Subprime-Deal sowie Provisionen aus elf weiteren Hedge-Fonds stinkreich. Gut 2,7 Mrd Dollar verdiente er im vergangenen Jahr – so viel wie kein anderer Geldverwalter. Möglich wurde das durch Paulsons Contrarian-Ansatz – durch sein energisches Dagegenhalten zur rechten Zeit.
Ein Contrarian ist laut Lehrbuch ein Mensch, der die Weisheit der Masse bezweifelt. Ein Querdenker, der Dinge tut, die auf den ersten Blick nicht einsichtig sind oder gar provokativ. An der Börse kaufen Contrarians Wertpapiere, die in der Gunst ganz unten stehen, oder verkaufen solche, in die jeder schon investiert hat. Wer mit dieser Börsenstrategie Erfolg haben will, muss den Mut haben, unbeirrt gegen den Strom zu schwimmen, die Nerven, mögliche anfängliche Verluste auszusitzen, und das Händchen, beim Timing nicht ganz falsch zu liegen.
Als Vater des Contrarian View, der entgegengesetzten Meinung, gilt Andre Kostolany, als grösstes lebendes Beispiel Warren Buffett. Und der macht seinem Ruf Ehre: Die fallenden Kurse der Banken nutzte der zweitreichste Amerikaner in den vergangenen Monaten für die Aufstockung bestehender Positionen. Buffett kaufte Aktien von U.S. Bancorp, Bank of America und von der stark im Hypothekengeschäft engagierten Regionalbank Wells Fargo. Wenn man so will, steigt er also in Papiere ein, deren Probleme zuvor Paulson reich gemacht hatten. Dabei beweist Buffett Stehvermögen. Die Anteile, die er schon Mitte des vergangenen Jahres kaufte, bescherten ihm bisher nur Verluste. Einen Buffett kann das aber offensichtlich nicht erschüttern. Er denkt und investiert langfristig.
«Buy on bad news and sell on good news» heisst eine alte Börsenweisheit, die zu Buffett im Speziellen und den Contrarians im Allgemeinen passt. Ist die Stimmung gut, sollte man Aktien verkaufen, ist sie schlecht, sollte man kaufen. Buffett trennte sich im vergangenen Jahr passenderweise von seinem PetroChina-Investment, dessen Wert sich innerhalb von drei Jahren auf 3,5 Mrd Dollar versiebenfachte – wenn auch der Ausstieg nicht ganz auf dem Höhepunkt des Hypes gelang.Hinter der Weisheit «sell on good news» steckt dabei die Grundidee, dass in einer euphorischen Börsenphase die meisten Anleger bereits investiert sind und so nur noch wenig Liquidität für weitere Steigerungen vorhanden ist. In einer schlechten Phase hingegen halten viele Anleger Bargeld, was konsequenterweise zu steigenden Kursen führt, sobald wieder investiert wird.
Schwieriges Timing
Also: «Kaufen, wenn die Kanonen donnern», wie es Kostolany ausdrückte. Der richtige Zeitpunkt zum Handeln ist damit aber noch nicht bestimmt. Kanonen donnern mal länger, mal kürzer, mal mehr, mal weniger. Ein guter Contrarian muss daher abwägen: Zwischen Fundamentaldaten, die durch Bewertungskennzahlen widergespiegelt werden, und dem allgemeinen Zustand der Märkte. Er muss ein guter Rechner sein und gleichzeitig ein guter Psychologe, der einzuschätzen weiss, in welchem Masse das Handeln der Börsianer von Angst oder Gier geprägt wird. Die Lehre von den «Zittrigen und den Hartgesottenen» steht Pate, wenn Börsenpsychologen einschätzen, ob der Markt von einem Übermass an Pessimismus oder Optimismus beherrscht wird.
Daraus hat sich sogar eine Wissenschaft entwickelt: Bebavioral Finance. Die Top-Contrarians pflegen dabei ihren eigenen Stil. «Bei Buffett steht mehr die akribische Analyse im Mittelpunkt, bei Kostolany war es mehr die Beobachtung der Marktpsychologie», findet Hendrik Leber von der Acatis Vermögensverwaltung. Kostolany überliess die Fundamentalanalyse meist Analysten, deren Urteil er vertraute. Dafür schaute er sich genau an, wie die Marktteilnehmer agierten. So macht das auch Paulson. David Swensen, Contrarian und Geldverwalter der Yale-Universität, eifert eher Buffett nach.
Besonders Finanzaktien haben es den Contrarians derzeit angetan. Nicht nur Buffett investierte hier viel Geld. Auch George Soros, ein weiterer Altmeister der Branche, steckte Geld in eine Aktie aus dem Finanzbereich: In den gebeutelten US-Hypothekenfinanzierer Countrywide Financial.
Noch stärker taten sich Investoren hervor, die unter dem Sammelbegriff Staatsfonds im vergangenen Jahr für Aufsehen sorgten: Chinas Citic Securities, der verlängerte Investmentarm der Regierung, kaufte sich im Oktober mit 7% beim angeschlagenen US-Brokerhaus Bear Stearns ein. Im November war es die Abu Dhabi Investment Authority aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die sich einen fünfprozentigen Anteil an der Citigroup einverleibte. Den vorläufigen Schlusspunkt setze Singapurs GIC-Gruppe mit einem 13-Milliarden-Investment in die Schweizer UBS.