Werden Verkaufsflächen aus den Innenstädten verschwinden und Shoppingcenter durch Onlinehandel ersetzt? Eines steht fest, die Ertragskraft von Retailflächen als Nutzung für Immobilien-Investoren sinkt, da der Retailmarkt eine strukturelle Veränderung durchgeht. Aufgrund des anhaltenden Tiefzinsumfeldes bleiben Investitionen in Retailflächen jedoch weiterhin ein attraktives Anlagevehikel. Dies bestätigen die generell sinkenden Renditen in der Schweiz.
Online-Handel bedroht Retailer
In den Städten fand in den letzten sechs Monaten eine Reduktion der Nettorenditen beim High Street Einzelhandel um etwa 30 Basispunkte statt. Ausserhalb der Städte war die Kompression noch stärker. Im Gegensatz zum High Street sind beim Non-High Street Einzelhandel die Renditen in etwa stabil geblieben. Die Nachfrage für Retailflächen ist auf Investorenseite besteht weiterhin, jedoch steigt die Leerstandsquote. Die früheren Wartelisten von Mietinteressenten sind praktisch vollständig abgebaut. Als Hauptgrund für die erschwerte Vermietung im stationären Einzelhandel wird häufig das starke Wachstum des Onlinehandels angegeben. Das Umsatzwachstum von Onlineanbietern hat in den letzten Jahren tatsächlich dasjenige des stationären Handels bei weitem übertroffen. Der Anteil des Onlinehandels am gesamten Schweizer Detailhandel ist mit rund 7 Prozent noch immer im überschaubaren Rahmen. Die Spitze des Onlinehandels bilden Digitec, gefolgt von Zalando, Amazon und Nespresso.
Bei der Analyse der Abschwächung des Einzelhandelsmarkts wird oftmals ausser Acht gelassen, dass sich in den letzten Jahren die Kaufgewohnheiten und Ansprüche der Konsumenten grundlegend verändert haben. Die Lösung für Retailflächen liegt in einer Kombination aus Online- und Offlineverkauf. Amazon ist seit jeher berühmt seine Strategie den Kundenbedürfnissen nicht nur anzupassen, sondern auch neue Trends zu kreieren und somit den Einzelhandel zu revolutionieren.
Konzept Amazon 4-star und Amazon Go
Erst kürzlich hat sich der Onlinegigant mit zwei Konzepten – Amazon 4-star und Amazon Go – in den stationären Einzelhandel gewagt. Amazon Go revolutioniert den Food-Einzelhandel, wobei der Kunde sich mithilfe des Smartphones beim Eingang einloggen kann, und durch künstliche Intelligenz sofort erkannt wird, was der Kunde vom Gestell nimmt. Beim Verlassen des Geschäftes wird die Ware direkt abgebucht und die Rechnung ist auf dem Smartphone einsehbar. So kann der Kunde ohne an der Kasse anstehen zu müssen, oder Geld in die Hand zu nehmen, den Alltagseinkauf erledigen. Um den Non-Food Bereich abzudecken, wurde Amazon 4-stars lanciert, bei welchem Produkte die 4 Sterne oder mehr auf der Amazon Plattform erhalten haben, im Laden ausgestellt werden. Die Verkaufsstelle soll direkt wiedergeben, was die Amazon Kunden lieben und kaufen. Amazon 4-star ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass der Einzelhandel sich von klassischen Verkaufsstellen zunehmend zu Showrooms wandeln wird. Der Konsument hat die Möglichkeit die Produkte anzusehen und zu testen, wird kompetent beraten und kann die gewünschte Ware direkt online kaufen und sich liefern lassen. Da ein Showroom nicht die Kostenstruktur beibehalten muss, die mit einem grossen Geschäfte-Netzwerk verbunden ist, können Showrooms für Einzelhändler sehr wirtschaftlich sein. Amazons neue Verkaufsmodelle wurden hauptsächlich durch Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz ermöglicht.
Technologische Fortschritte haben Vor- und Nachteile
Technologie ist deshalb ein Schlüsselelement, um erfolgreich Synergien zwischen stationären Verkaufsflächen und dem Onlinehandel zu kreieren. Das Smartphone hat sich von einem Recherchetool zu einem festen Bestandteil des Kaufprozesses entwickelt. Um ein optimales Kauferlebnis zu garantieren, sollte deshalb in nutzerfreundliche Webseiten investiert werden, die den vollen Funktionsumfang anbieten. Heutzutage ist es nicht mehr eine substanzielle Herausforderung genügend Kundendaten zu erhalten, sondern aus den Unmengen an Daten relevante Schlüsse zu ziehen.
Einerseits eröffnen technologische Fortschritte den Konsumenten und Einzelhändlern viele neue, spannende Möglichkeiten zu interagieren, sowie das Kauferlebnis masszuschneidern. Andererseits erhöht sich auch das Risiko für alle Arten von Cyberangriffen, einschließlich Data Hacking. Um vertrauenswürdig zu sein, ist deshalb die Bereitstellung sicherer Plattformen für jeden Berührungspunkt mit den Kunden ein Muss. Nur so lässt es sich auch in Zukunft weiterhin entspannt einkaufen.
*Marie Seiler, wipswiss Mitglied und Head Advisory Real Estate PwC