Ekaterina Mavrenkova hat diese russischen Augen – ein durchscheinendes Grün und manchmal eine Sekunde Traurigkeit darin. Ihre Haare sind perfekt fixiert, an den Ohren stecken Perlen. Sie empfängt die Besucher in einem Raum mit dunklem Parkett. Die Bücherregale reichen bis unter die Decke. Von den quietschenden Trams und dem Leben draussen am Zürcher Römerhof hört man nichts. «Reiche Menschen», sagt Mavrenkova, «brauchen Hilfe.» Sie lächelt. Wieder ist es die Schweiz, die sie ihnen bietet.

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Mavrenkova ist Managing Partner der Firma Henley and Partners in Zürich. Das Büro ist Weltmarktführer in einer diskreten Branche. Es beschafft Niederlassungsbewilligungen und Pässe verschiedener Staaten. Die in den USA ausgebildete Ökonomin schiebt ein Buch über den Tisch. «The Global Residence and Citizenship Handbook» heisst es. Geschrieben hat es Mavrenkovas Mitarbeiter Christian Kälin. Der Zürcher Anwalt ist der Star der Branche. «Where liberty dwells, there is my country. Benjamin Franklin», steht in seinem Vorwort. Wo die Freiheit zuhause ist, da bin ich es auch.

Neue Pässe für Amerikaner

Nun kehren immer mehr Nachfahren von Benjamin Franklin ihrer Heimat den Rücken. 1780 Amerikaner gaben 2011 freiwillig ihren Pass ab – das sind sieben Mal so viele wie noch 2008. Der Hauptgrund ist der Internal Revenue Service (IRS), die Steuerbehörde des Landes. Das Gesetz verpflichtet jeden Amerikaner dazu, jährlich eine Steuererklärung einzureichen, wo auch immer er lebt und arbeitet. «Das hat jahrelang kaum jemanden interessiert», sagt ein amerikanischer Anwalt, der Bürger bei Streitereien mit dem IRS vertritt. 2008 trafen 214000 Dossiers in Washington ein – bei über 6 Millionen Amerikanern, die im Ausland leben.

Doch in den letzten Jahren droht das IRS in kürzer werdenden Abständen schriftlich mit drakonischen Strafen bis zu strafrechtlicher Verfolgung. Am Himmel ziehen die dunklen Wolken von Fatca auf, dem Gesetz, das dem IRS automatisch die Daten aus den Bankkonten im Ausland besorgt. Genau für diese Fälle sind die Schweizer zur Stelle. «Henley und Partner sind schlicht die Besten in diesem Business», sagt Anwalt Phil Hodgen.

Der gross gewachsene Hodgen, der eine runde Brille trägt, lebt in einem Vorort von Los Angeles. Er erzählt eine Anekdote nach der anderen. E-Mails beantwortet er innerhalb einer halben Stunde, unabhängig von der Uhrzeit. «Das Vermögen reicher Menschen ist ja meist versteckt», sagt er bei einem Treffen in Zürich. «Ausser in Beirut. Wenn Sie der Glitzertyp sind, dann müssen Sie unbedingt nach Beirut ziehen.» Hodgen ist oft in Beirut, ebenso häufig in Dubai, Genf und Hongkong. Seine Spezialität ist es, US-Amerikanern dabei zu helfen, ihre Staatsbürgerschaft korrekt und möglichst kostengünstig loszuwerden. Über mangelnde Arbeit kann sich der Anwalt nicht beklagen. «Es ist definitiv etwas im Gange», sagt Hodgen.

Mavrenkovas Zürcher Büro verhilft jede Woche einer oder zwei Familien zu einer persönlichen Lösung. Wie viele der Klienten US-Bürger sind, sagt die Chefin nicht. «It depends», ist ihre Antwort auf eine ganze Reihe von Fragen – nach ihrem Honorar, nach den gesamten Kosten für einen neuen Pass. Schliesslich nennt sie die Staaten, aus denen tendenziell viele ihrer Klienten stammen: Der Nahe Osten, die Länder der früheren Sowjetunion sowie die USA. Staaten «mit gewissen Turbulenzen», sagt Mavrenkova und lächelt.

Früher liessen sich Vermögenswerte an Orten wie in der Schweiz, Liechtenstein oder auf einer der vielen kleinen Inseln rund um die Welt verstecken, schreibt Anwalt Kälin in seinem Handbuch. «Heute aber bleibt angesichts des politischen und rechtlichen Klimas nur ein sinnvoller Rat: Lege offen oder zieh weg.» Ein neuer, allenfalls zweiter Wohnsitz sei nicht länger nur eine Option für Menschen aus politisch instabilen Ländern – sondern auch für jene aus Hochsteuerländern wie die USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Niederlande oder Grossbritannien. «Der Umzug in ein Land mit einem milderen Steuerklima ist eine zunehmend attraktivere Möglichkeit für viele, die nach ihrem Empfinden mehr als ihren fairen Anteil bezahlen und die den zunehmenden Abbau ihrer Privatsphäre nicht mögen.» Nicht nur ein Investmentportfolio müsse aus Sicherheitsgründen diversifiziert sein, so Kälin, sondern auch das «Niederlassungs- und Staatsbürgerschaftsportfolio».

Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit ist in der Steuerfluchtindustrie ein lukrativer Geschäftszweig gross geworden. Niederlassungsbewilligungen lassen sich heute ganz einfach kaufen. Wer sich in der Schweiz dazu verpflichtet, mindestens 150000 Franken jährlich pauschale Steuern zu zahlen, erhält den Schein. In Grossbritannien muss der Interessent 1 Million Pfund in britische Staatsanleihen oder britische Unternehmen investieren. Hongkong verlangt, dass 10 Millionen Hongkong-Dollar über sieben Jahre hinweg angelegt werden, in Malta muss der Neue zusätzlich Immobilien erwerben.

Die spezielle Rolle Österreichs

Drei Staaten bieten gegen Investitionen gar ihre Staatsbürgerschaft an: Die beiden Karibikstaaten St. Kitts and Nevis und Dominica sowie Österreich. Auf dem Weg in die Steueroase fällt eine Menge Papierkram an – und damit eine Gelegenheit, viel Geld zu verdienen.

«Wir beobachten schon eine Weile, was Henley und Partner macht», sagt ein Privatbankier im vertraulichen Gespräch. Nicht wenige von ihnen schickten ihre Klienten an den Zürichberg. «Ehrlich gesagt prüfen wir gerade, ob das ein möglicher Zukunftsmarkt für uns sein könnte», sagt der Mann. «Lassen Sie mich wissen, wie es läuft für Henley.» Noch einmal die Frage an Ekaterina Mavrenkova: Wie viel verlangen Sie für einen neuen Pass? «It depends», es kommt darauf an. Man spricht von einer Pauschalen von umgerechnet 500000 Franken. Mavrenkova lacht. «Das ist definitiv zu viel.»

Wer sich auf dem Weg hinunter in die Stadt noch einmal umdreht, sieht an der Fassade über Henleys Büro eine rot-schwarz-grüne Flagge hängen. Es ist die Flagge von St. Kitts and Nevis. Das Konsulat des Karibikstaats in der Schweiz liegt im 1. Stock über dem Büro von Ekaterina Mavrenkova. «Viele Leute finden, dass man Staatsbürgerschaften und Niederlassungsbewilligungen abwertet, indem man sie anbietet, schreibt Anwalt Kälin in seinem Buch. «Aber dieser veraltete Gedanke spiegelt nicht länger die wahre Natur der Einbürgerung durch Investition.»

 

Neue Heimat: Karibische Pässe für Superreiche

Staatsbürgerschaften
Niederlassungsbewilligungen sind für reiche Ausländer einfach zu beschaffen, Staatsbürgerschaften nicht. Ausländer müssen meist jahrelang in einem Land gelebt haben, bis dieses ihnen den Pass überlässt. In der Schweiz sind zwölf Jahre Pflicht, in Hongkong sieben, in Singapur zwei, in Kanada drei. Doch drei Staaten lassen mit sich reden, wenn der Interessent sich grosszügig zeigt.

St. Kitts and Nevis
Das Inselpaar in der Karibik zählt rund 50000 Einwohner. Bis 1983 war der Staat ein britisches Protektorat. Traditionell lebt die Insel vom Anbau von Zucker. Doch der fortschreitende Preiszerfall – unter anderem, weil die USA ihre Zuckerproduzenten massiv subventionieren – sowie eine misslungene Verstaatlichung haben die Industrie zerstört. Die staatliche St. Kitts and Nevis Sugar Industry Diversification Foundation (SIDF) soll nun in neue Wirtschaftszweige wie etwa den Tourismus investieren. Wer die SIDF mit 250000 Dollar unterstützt, kann nach einer Bearbeitungsfrist von bis zu vier Monaten Bürger des Ministaates werden. Ähnlich grosszügig zeigt sich Dominica. Der zwei Inseln weiter nördlich gelegene Staat verlangt gar nur 100000 Dollar für einen Pass. Dafür ist dieser Pass nicht ganz so praktisch: Bürger von St. Kitts and Nevis können weltweit in 131 Staaten visafrei einreisen (auch in die Schweiz), jene von Dominica nur in 82.

Österreich
Besonders attraktiv ist allerdings ein österreichischer Pass. Normalerweise müssen Personen zehn Jahre im Land leben, bevor sie ihn erhalten. Jedoch erlässt Paragraph 10, Absatz 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes diese Pflicht, «wenn die Bundesregierung bestätigt, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen der vom Fremden bereits erbrachten und von ihm noch zu erwartenden ausserordentlichen Leistungen im besonderen Interesse der Republik liegt». Die Minister können so auf Empfehlung der Beamten im Innen- und Wirtschaftsministerium Künstler, Sportler oder Investoren im Eiltempo einbürgern. Das Gesetz wird in Österreich immer wieder kritisiert, weil es keine klaren Kriterien enthält.