Euroschock hier, Euroschock da. Seit der Aufhebung des Euromindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank vor etwas mehr als 20 Monaten ist die Aufmerksamkeit der Wirtschaft, der Anleger und auch der Medien nur noch auf eine Währung gerichtet, auf die europäische Einheitswährung Euro.
Und noch immer sind die Klagen über die Schäden der abrupten Frankenaufwertung gegenüber dem Euro nicht abgeebbt. Dies, obschon sich seither gezeigt hat, dass die Schweizer Wirtschaft den Währungsschock weit besser verdaut hat, als viele Schwarzmaler befürchtet hatten. Weit nüchterner reagierte die Schweizer Aktienbörse auf den überraschenden Währungseingriff der Nationalbank. Nach einem kurzen Schreckenstaucher war der Kursschaden innert zweier Monate bereits wieder wettgemacht. Die Börsianer hatten nachgerechnet und dann kühl geurteilt: «Der Euro ist für uns praktisch irrelevant.»
Der Dollar ist die Währung, die zählt
In der Tat: Was für die Börse währungsmässig wirklich zählt, ist noch immer der Dollar, die weltweit nach wie vor mit Abstand wichtigste Währung. Vom Greenback war aber in den letzten Monaten kaum mehr die Rede. Er ist völlig aus den Schlagzeilen verschwunden. Doch im Schatten der Eurokrise hat sich der Dollar gegenüber den meisten anderen Währungen und speziell auch gegenüber dem Schweizer Franken stabilisiert oder sogar merklich gefestigt.
Seit dem Sommer vor zwei Jahren, als er zeitweise deutlich unter 80 Rappen gefallen war, beträgt der Kursgewinn rund einen Viertel. Dabei waren sich die Währungsexperten Mitte 2014 praktisch einig, dass es einen muskelgestählten Dollar in nächster Zukunft kaum mehr geben werde. «Zu massiv sind die Defizite von Staatshaushalt und Leistungsbilanz der USA», erklärten die Währungsgurus damals fast unisono.
Der leichte Anstieg des Dollars freut neben der Exportwirtschaft insbesondere auch die helvetischen Börsianer. Denn sie wissen: Stabilisiert sich der Wechselkurs der amerikanischen Währung oder steigt sie sogar, klettern nämlich früher oder später auch die Schweizer Aktienindizes. Im Verlauf der letzten drei Jahre hat sich dieser Zusammenhang ein weiteres Mal bestätigt. Und das geradezu verblüffend präzis. So hat der SMI innert drei Jahren um 2,5 Prozent zugelegt, der Greenback um 4,5 Prozent. Weitgehend parallel verliefen die Kursentwicklungen ebenfalls während der letzten zwölf Monate. Und seit dem leichten Schwächeanfall des Dollars im Frühling kommt auch die helvetische Börse nicht mehr so recht vom Fleck.
Dollarkurs und SMI im Gleichschritt
Die Dollarlastigkeit der Schweizer Börse ist mehr als eine bloss statistische Übereinstimmung, wie schon mehrfach in wissenschaftlichen Untersuchungen und in Bankstudien nachgewiesen worden ist. Sie lässt sich auch plausibel begründen: Die Entwicklung des SMI wird massgeblich durch die Veränderung der Aktienkurse der höchstkapitalisierten Gesellschaften unseres Landes, also Nestlé, Novartis, Roche, UBS und ABB, bestimmt. Diese gewichtigsten fünf Werte dominieren den SMI zu fast 70 Prozent.
Und bei allen diesen Unternehmen sind die Erträge stark von der Entwicklung des Dollarkurses abhängig. Nach Berechnungen von Christian Gattiker, Chefstratege und Leiter Research der Bank Julius Bär, macht der Dollaranteil bei Unternehmen aus dem Swiss Market Index (SMI) im Durchschnitt fast einen Drittel aus, bei den höchstkapitalisierten sind es sogar über 50 Prozent.
In Europa wird hingegen nur rund ein Viertel der Umsätze erwirtschaftet, in den einheimischen Gefilden bloss 8 Prozent. Bei Nestlé sind es sogar nur 2 Prozent. Für die SMI-Firmen sind Euro-Sorgen also tatsächlich von geringer Bedeutung. Zudem: Der Dollar ist noch immer die mit Abstand wichtigste Handelswährung der Welt, was bedeutet, dass sich die Schweizer Industrie auch auf dem deutschen und auf dem europäischen Absatzmarkt gegen eine vorwiegend in Dollar rechnende Konkurrenz durchzusetzen hat. Ein fallender Dollar hat deshalb für Schweizer Firmen nicht nur in den USA, sondern ganz generell, einen Wettbewerbsnachteil zur Folge.
Schweizer sind abhängiger vom Dollar als Europäer
Umso mehr, als die grossen Schweizer Unternehmen nach Untersuchungen des Brokerhauses Kepler Cheuvreux einen vergleichsweise deutlich grösseren Anteil an Dollar-Geschäften aufweisen als die europäische Konkurrenz. Kepler schätzt, dass sich der operative Gewinn der helvetischen Grossunternehmen bei einem Dollaranstieg um 10 Rappen im Durchschnitt etwa um 3,5 Prozent verbessert. Gewiss, die helvetischen Multis sind in den letzten Jahren verstärkt dazu übergegangen, sich gegen solche Währungsschwankungen abzusichern.
Kurzfristig durch derivative Kursabsicherungsinstrumente wie Devisenterminkontrakte oder durch Währungsoptionen, langfristig durch Auslagerung der Produktion in den Dollarraum oder durch die parallele Verschuldung in Dollar. Und über lange Frist zeigen sich in der Tat auch grafisch völlig unterschiedliche Kurvenverläufe von Dollar und Schweizer Aktienindizes.
Doch es bleibt ein Fakt: Kurz- und mittelfristig wird der Einfluss der US-Währung auf die schweizerischen Kursmessziffern Bestand haben. Auch neue Bankstudien zeigen bei zahlreichen Branchen und Firmen eine statistisch gut nachweisbare Dollarlastigkeit. Deutlich messbar ist der Dollar nach einer Untersuchung des Brokerhauses Kepler Cheuvreux beispielsweise bei den Banken-Blue-Chips Julius Bär, UBS und Credit Suisse sowie bei Actelion, Swatch Group und Lonza.
Banken sind besonders dollarlastig
Eifrige Schnäppchenjäger werden nun nachzurechnen versuchen, welche Firmen den grössten Nutzen aus der Stabilisierung der US-Währung ziehen könnten. Weitere schöne Währungsgewinne winken wegen des Basiseffekts nämlich speziell im zweiten Halbjahr. Nach Einschätzung von Kepler Cheuvreux liegt in dieser Periode ein zusätzlicher Gewinn von fast 10 Prozent drin. Als grösste potenzielle Gewinner hat das Brokerhaus neben den oben erwähnten Werten auch OC Oerlikon, AMS, Belimo, Sonova und Straumann eruiert, weil diese Unternehmen relativ viel Dollars einnehmen, aber vergleichsweise niedrige Kosten in Dollar aufweisen (siehe Box).
Umgekehrt werden die in Dollar rapportierenden Unternehmen wie Novartis, ABB, Syngenta und Logitech sowie LafargeHolcim von einem stärkeren Dollar nicht profitieren können. Doch aufgepasst: Allzu mechanische Auswahlverfahren sind bei Aktien nicht empfehlenswert. Sehr oft wird der – positive oder negative – Dollareffekt durch andere unternehmensspezifische Faktoren überdeckt. So haben sich in den letzten zwölf Monaten die Dollar-Profiteure Actelion und Swiss Re tatsächlich gut in Szene gesetzt, während die Grossbankentitel Swatch und Richemont von der Stabilisierung des Greenbacks bisher nicht oder nur teilweise mitgezogen worden sind. Die Branchenprobleme schlugen hier stärker ins Gewicht.
Insgesamt liegen im Zwölfmonatsvergleich aber tatsächlich Aktien von Unternehmen vorn, die ihre Umsätze überwiegend im Dollarraum (Amerika und Asien) erzielen. Voraussetzung für den weiteren Erfolg der Dollar-Strategie ist allerdings, dass sich der Greenback zumindest auf dem aktuellen Niveau halten kann: Weil die US-Wirtschaft konjunkturell bereits deutlich weiter ist als die europäische und japanische Wirtschaft, ist dies durchaus realistisch. Und solange die Sorgen um die Weiterexistenz der europäischen Währung nicht verschwinden, so lange wird der Dollar von Fluchtbewegungen aus dem Euro profitieren.
Transaktions- und Translationseffekt
Transaktionseffekt: Wenn Umsatz und Kosten nicht oder nicht im gleichen Ausmass im selben Währungsraum anfallen, kommt der Transaktionseffekt zum Tragen. Ein Unternehmen profitiert, wenn die Währung, in der die Einnahmen erzielt werden, steigt, während die Währung, in der die Kosten anfallen, fällt und umgekehrt. Bei einem steigenden Dollarkurs ist es für Schweizer Unternehmen günstig, wenn sie im Dollarraum hohe Einnahmen, aber kaum Kosten haben. Marge und Gewinn werden sich erhöhen.
Translationseffekt: Hier geht es um die Umrechnung von lokalen Ergebnisbeiträgen in die Bilanzwährung. Steigt der Wert der lokalen Währung gegenüber der Bilanzwährung, nehmen diese Beiträge zu. Bei einem höheren Dollar steigt also der Gewinn in der Bilanz in Franken gerechnet und umgekehrt.